Saab 9-5, Mercedes CLC
Also, erst mal Entschuldigung, aus zwei Gründen. Erstens geht es im folgenden Text schon wieder um einen großen Mercedes (und schon wieder gibt es Kritik). Und zweitens wird das was jetzt kommt eventuell einmal mehr nach "früher war alles besser" klingen – ein öde Message, vor Allem, wenn es um Autodesign geht. Aber vielleicht finden wir unterwegs einen Wegweiser in die Zukunft. Wir sind gespannt, wohin er zeigt.
Die beiden so unterschiedlichen Autos, um die es hier geht sind beide Kinder einer Krise, die seit gut zwei Jahren die Autoindustrie bremst.
Beim Saab 9-5 liegt das auf der Hand: Fast wäre er gar nicht mehr auf den Markt gekommen, denn Saab, die vernachlässigte Tochter des schwer kranken Konzerns GM war eigentlich am Ende. Was nun mithilfe der verrückten holländischen Sportwagenmanufaktur Spycker doch noch auf die Straße rollt, ist im Kern ein reines GM-Fahrzeug, genauer gesagt: ein Opel Insignia im Maßanzug. Man könnte meinen, dass ein Produkt, das unter solchen schwierigen und wechselhaften Bedingungen entsteht, nach Murks aussehen muss. Und was steht nun vor uns? Ein souveräner Charakterkopf, ein beeindruckendes, beeindruckend einfaches Design mit einer vollkommen unverwechselbaren Silhouette, ein trotz seiner Größe authentischer Saab. Die (anonymen) Designer haben es geschafft, trotz der normal geneigten Frontscheibe die klassische hohe Stirn erscheinen zu lassen, von dort aus fließt das leicht nach hinten geneigte Dach in ein langes Heck hinein, das sehr nach Saab aussieht und gleichzeitig optisch kräftig anschiebt.
Das ist eine Autobahn-Limousine klassischer Prägung und man denkt an die alte Saab-Werbung, auf der, in Gewitterstimmung fotografiert, ein 900 über eine regennasse Autobahn prescht, Headline: "Da draußen hilft Ihnen kein Statussymbol." Das Auto als schnelles Zuhause – Diese Botschaft hat Saab wie kaum eine andere Marke verkörpert, und sie ist hier, beim 9-5 wieder erkennbar.
Dabei hilft sehr, wie die Seitenfenster mit der Frontscheibe eine optische Einheit bilden, und besonders solide wirkt das, weil das Blech von oben und von unten her zu diesen Fensterflächen hin großzügig angeformt ist, so dass das Glas aus einer Fläche geschnitten scheint, fast Bullaugen-haft. An der Wurzel der A-Säule sieht man am besten, was da passiert und wie hier Plastizität und Grafik zusammenspielen. Bullig aber nicht dominant wirkt das.
Unterhalb der Seitenscheiben markiert ein stumpfer Knick die Schulter des Autos, ganz klassisch, und von dort fällt die Seite glatt und ohne jeden weiteren dynamisch gekurvten Akzent bis zum Schweller ab. Das stimmt nicht ganz, denn hinter den Vorderrad beginnt eine Art Hohlkehle, die an die seitlichen Luftauslässe starker Sportwagen erinnert, dem Wagen optisch vorne etwas Gewicht nimmt und ihm mehr Länge und Eleganz gibt. Diese konkave Fläche läuft nach hinten vollkommen plausibel aus und verschwindet in der vor dem hinteren Radhaus weich ausgeformten Fläche sozusagen gerade noch rechtzeitig, um nicht mit der hintern Türfuge in Kollision zu kommen. Das ist so lässig und simpel, dass man fast überrascht ist, wenn man feststellt: Dieses Thema wurde in der Heckschürze noch einmal aufgenommen, und hier entstehen in der Fortsetzung des Schwellers auf beiden Seiten Lichtkanten, die in verblüffend klarer Weise die trapenzförmigen Auspuff-Endblenden einfassen. Das alles sieht so aus, als müsste man sich vor die Stirn klatschen, weil man noch nicht selbst darauf gekommen ist – und ist gleichzeitig neu und dynamisch.
Man kann über die Heckleuchtengrafik streiten (sollte dabei aber bedenken, dass Saab auf dem Amerikanischen Markt seine Rolle spielen möchte) und man kann die etwas zu weich geratene Fuge um die etwas zu kleine Fläche der Heckklappe unterhalb der durchgehenden blanken Leiste kritisieren. Was die Front angeht, holen wir Atem um zu meckern – und verstummen dann, ehe wir ein Wort gesagt haben: Das sieht stark aus, aber einmal nicht aggressiv; das sagt klar und deutlich "Saab" ohne irgendein Retro-Zitat; und das ist mit einem feinen, leichten Spiel blanker Akzente eine weitere Stelle, wo sich die beinahe rührende Detailverliebtheit der Saab-Gestalter zeigt.
Dieses Auto ist cool, das Design hat Qualität und Substanz, und von Krise sieht man hier gar nichts. Man möchte dem ungenannten Team, das diese Leistung vollbracht hat, herzlich die Hände schütteln.
Zwischenbemerkung: Die Fotos vom Saab habe ich 2009 auf der IAA gemacht. Den CLS sieht man im Moment am besten hier: AMS, Mercedes CLS
Wenn Mercedes das Erfolgsmodell CLS neu auflegt, dann denkt sowieso niemand an Krise. Die Marke lebt, und zwar gut. Der erste CLS hat praktisch eine ganze Fahrzeugklasse vollkommen neu belebt, nämlich das große Coupé mit vier Türen, und ist dafür ebenso bekannt geworden wie für sein provokantes Design, das ein durchaus spannendes Thema mit fast schockierender Konsequenz umsetzte. Das gab viel Kritik, aber es war ein nicht zu ignorierendes Statement, ja, auch von Stärke. So wie früher sagte dieser Mercedes: Wir dürfen das.
Es ist immer schwer, für derart ikonische Würfe Nachfolger zu entwickeln. Und deswegen hat Mercedes erst einmal angekündigt. Die Erwartungen wurden programmiert und die Richtung angegeben: "Eine Generation Vorsprung" heißt nun die Devise. Wir analysieren den Satz nicht und nehmen nur zur Kenntnis, dass etwas ganz Neues kommt.
Und tatsächlich: Zunächst ist da eine gewisse Begeisterung angesichts des neuen CLS, denn den Mercedes-Designern ist es gelungen, ein formales Thema aus der Geschichte des Hauses in eine glaubwürdig moderne Form zu gießen: Vom Vorderrad aus schwingt eine Kotflügellinie über beinahe die ganze Fahrzeuglänge und wird vor dem Hinterrad von einem zweiten, etwas kompakteren Schwung aufgefangen. Genauer kann man die Pracht der großen Limousinen und Coupés der 30er Jahre wohl kaum auf eine Karosserie von heute übertragen. In der Seitenansicht wird erkennbar, dass hier eine echte Mercedes-Kontur geschaffen wurde, mit weit nach hinten geschobenem Screenhouse, langem hinteren Überhang, einem großzügigen Dachschwung und einer hoch und kräftig wirkenden Front. Und dann sehen wir die Flanken des Wagens. Wie sich diese Seitenlinie straff und knapp über den vorderen Radausschnitt spannt, das hat schon was. Vergessen wir mal kurz, dass das eine Oberflächengrafik ist und nur wenig (nämlich an der Front) mit der Plastizität des Autos zu tun hat. Es kommt einfach gut, warum also nicht? Doch dann bleibt unser Blick an der Stelle hängen, zur der diese Linie ihn hinführt, zwingend und mit großer Spannung leitet sie den Betrachter – mitten in das größte Chaos. Das entsteht, weil hier, im Bereich der hinteren Tür, eine Form – oder besser, eine durch die Form markierte Grafik – mit einer zweiten, durch die technischen Gegebenheiten bestimmten Grafik überlagert wird. Mit anderen Worten: Die Türfuge tut so, als gäbe es das Drama nicht, das sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft abspielt, und auch die den Tankdeckel umfassende Fuge liegt so zufällig auf dem Volumen, dass das kleine Blechteil zwei starke Biegungen braucht. Beide Fugenlinien stören nach Kräften. Den Rest gibt der ganzen Situation dann der direkt über dem neuralgischen Punkt eingesetzte Mercedes-Standardtürgriff, der mit seiner schräg-ovoiden Griffschale ein denkbar wildes plastisches Eigenleben führt. Entschuldigung, aber die Stelle schreit nach einer Alfa-Türgrifflösung, und für ein viertüriges Coupé dieser Machart wäre ein Griff in der Seitenscheibe durchaus in Ordnung. Aber hier passt eben gar nichts.
Leider gibt es noch eine zweite Stelle an dem Auto, an der nichts passt: Die Front, oder sagen wir besser, der Bereich um die Scheinwerfer. Ich erspare dem Leser und mir die detaillierte Analyse. Die innere Kante des Scheinwerfers sieht jedenfalls aus, als hätte ein nervöser Praktikant sie mit zitternden Händen aufs Claymodell getaped, unter anderem entsteht dadurch an der den Grill einfassenden Fläche ein grausamer dreieckiger Fortsatz, der natürlich den Blick magisch anzieht und massiv stört. Unterhalb der Leuchten wird die ganze Geschichte auf einmal unheimlich gerade und geometrisch, fast Lamborghini-mäßig in ihrer Facettenhaftigkeit, und man fragt sich, ob das Frontend überhaupt zu diesem Auto gehört. Wurde es etwa in letzter Minute geändert (und eine Grafik des Wagens im Display, mit einer anders gestalteten Front, legt diesen Verdacht nahe)? Wie auch immer: Die Botschaft, die der Sehende sieht ist die, dass hier sehr viel in sehr kurzer Zeit gewollt wurde. Und das bringt uns zur Krise…
Eine Frau aus gutem Hause, erfolgsverwöhnt, schön und wohlhabend muss eines Tages feststellen, dass ihre Schönheit nachlässt. Sie wird nicht jünger, da kann man nichts machen. Ein Blick aufs Konto sorgt für den zweiten Schreck: die zur Verfügung stehenden Mittel sind zwar immer noch erheblich, aber es wird klar, dass sie absolut nicht unerschöpflich sind. Beim Gartenfest wird sie ein Kleid tragen, dass sie schon einmal anhatte. Sie wird sich sehr viel Mühe mit dem Make-Up geben, und in dem unerschütterlichen Willen, jung und attraktiv zu wirken wird sie auf traurige Weise übertreiben. Ihren wertvollen und edlen Schmuck ergänzt sie mit zwei spektakulären Teilen fragwürdiger Herkunft und unklaren Wertes, denn ihr steht der Sinn nach mehr Glanz. Mit einem Wort: Es besteht die Gefahr, dass sie zur tragischen Figur wird.
Die alte Dame Mercedes sollte darauf achten, wer sie berät. Ehrgeiz ist nicht immer der beste Antrieb, und das gilt wohl um so mehr, wenn man aus gutem Hause kommt.
Ach, der Wegweiser? Ich würde sagen, er zeigt weg von oberflächlichen Effekten Richtung Substanz, einmal mehr.
Also, erst mal Entschuldigung, aus zwei Gründen. Erstens geht es im folgenden Text schon wieder um einen großen Mercedes (und schon wieder gibt es Kritik). Und zweitens wird das was jetzt kommt eventuell einmal mehr nach "früher war alles besser" klingen – ein öde Message, vor Allem, wenn es um Autodesign geht. Aber vielleicht finden wir unterwegs einen Wegweiser in die Zukunft. Wir sind gespannt, wohin er zeigt.
Die beiden so unterschiedlichen Autos, um die es hier geht sind beide Kinder einer Krise, die seit gut zwei Jahren die Autoindustrie bremst.
Beim Saab 9-5 liegt das auf der Hand: Fast wäre er gar nicht mehr auf den Markt gekommen, denn Saab, die vernachlässigte Tochter des schwer kranken Konzerns GM war eigentlich am Ende. Was nun mithilfe der verrückten holländischen Sportwagenmanufaktur Spycker doch noch auf die Straße rollt, ist im Kern ein reines GM-Fahrzeug, genauer gesagt: ein Opel Insignia im Maßanzug. Man könnte meinen, dass ein Produkt, das unter solchen schwierigen und wechselhaften Bedingungen entsteht, nach Murks aussehen muss. Und was steht nun vor uns? Ein souveräner Charakterkopf, ein beeindruckendes, beeindruckend einfaches Design mit einer vollkommen unverwechselbaren Silhouette, ein trotz seiner Größe authentischer Saab. Die (anonymen) Designer haben es geschafft, trotz der normal geneigten Frontscheibe die klassische hohe Stirn erscheinen zu lassen, von dort aus fließt das leicht nach hinten geneigte Dach in ein langes Heck hinein, das sehr nach Saab aussieht und gleichzeitig optisch kräftig anschiebt.
Das ist eine Autobahn-Limousine klassischer Prägung und man denkt an die alte Saab-Werbung, auf der, in Gewitterstimmung fotografiert, ein 900 über eine regennasse Autobahn prescht, Headline: "Da draußen hilft Ihnen kein Statussymbol." Das Auto als schnelles Zuhause – Diese Botschaft hat Saab wie kaum eine andere Marke verkörpert, und sie ist hier, beim 9-5 wieder erkennbar.
Dabei hilft sehr, wie die Seitenfenster mit der Frontscheibe eine optische Einheit bilden, und besonders solide wirkt das, weil das Blech von oben und von unten her zu diesen Fensterflächen hin großzügig angeformt ist, so dass das Glas aus einer Fläche geschnitten scheint, fast Bullaugen-haft. An der Wurzel der A-Säule sieht man am besten, was da passiert und wie hier Plastizität und Grafik zusammenspielen. Bullig aber nicht dominant wirkt das.
Unterhalb der Seitenscheiben markiert ein stumpfer Knick die Schulter des Autos, ganz klassisch, und von dort fällt die Seite glatt und ohne jeden weiteren dynamisch gekurvten Akzent bis zum Schweller ab. Das stimmt nicht ganz, denn hinter den Vorderrad beginnt eine Art Hohlkehle, die an die seitlichen Luftauslässe starker Sportwagen erinnert, dem Wagen optisch vorne etwas Gewicht nimmt und ihm mehr Länge und Eleganz gibt. Diese konkave Fläche läuft nach hinten vollkommen plausibel aus und verschwindet in der vor dem hinteren Radhaus weich ausgeformten Fläche sozusagen gerade noch rechtzeitig, um nicht mit der hintern Türfuge in Kollision zu kommen. Das ist so lässig und simpel, dass man fast überrascht ist, wenn man feststellt: Dieses Thema wurde in der Heckschürze noch einmal aufgenommen, und hier entstehen in der Fortsetzung des Schwellers auf beiden Seiten Lichtkanten, die in verblüffend klarer Weise die trapenzförmigen Auspuff-Endblenden einfassen. Das alles sieht so aus, als müsste man sich vor die Stirn klatschen, weil man noch nicht selbst darauf gekommen ist – und ist gleichzeitig neu und dynamisch.
Man kann über die Heckleuchtengrafik streiten (sollte dabei aber bedenken, dass Saab auf dem Amerikanischen Markt seine Rolle spielen möchte) und man kann die etwas zu weich geratene Fuge um die etwas zu kleine Fläche der Heckklappe unterhalb der durchgehenden blanken Leiste kritisieren. Was die Front angeht, holen wir Atem um zu meckern – und verstummen dann, ehe wir ein Wort gesagt haben: Das sieht stark aus, aber einmal nicht aggressiv; das sagt klar und deutlich "Saab" ohne irgendein Retro-Zitat; und das ist mit einem feinen, leichten Spiel blanker Akzente eine weitere Stelle, wo sich die beinahe rührende Detailverliebtheit der Saab-Gestalter zeigt.
Dieses Auto ist cool, das Design hat Qualität und Substanz, und von Krise sieht man hier gar nichts. Man möchte dem ungenannten Team, das diese Leistung vollbracht hat, herzlich die Hände schütteln.
Zwischenbemerkung: Die Fotos vom Saab habe ich 2009 auf der IAA gemacht. Den CLS sieht man im Moment am besten hier: AMS, Mercedes CLS
Wenn Mercedes das Erfolgsmodell CLS neu auflegt, dann denkt sowieso niemand an Krise. Die Marke lebt, und zwar gut. Der erste CLS hat praktisch eine ganze Fahrzeugklasse vollkommen neu belebt, nämlich das große Coupé mit vier Türen, und ist dafür ebenso bekannt geworden wie für sein provokantes Design, das ein durchaus spannendes Thema mit fast schockierender Konsequenz umsetzte. Das gab viel Kritik, aber es war ein nicht zu ignorierendes Statement, ja, auch von Stärke. So wie früher sagte dieser Mercedes: Wir dürfen das.
Es ist immer schwer, für derart ikonische Würfe Nachfolger zu entwickeln. Und deswegen hat Mercedes erst einmal angekündigt. Die Erwartungen wurden programmiert und die Richtung angegeben: "Eine Generation Vorsprung" heißt nun die Devise. Wir analysieren den Satz nicht und nehmen nur zur Kenntnis, dass etwas ganz Neues kommt.
Und tatsächlich: Zunächst ist da eine gewisse Begeisterung angesichts des neuen CLS, denn den Mercedes-Designern ist es gelungen, ein formales Thema aus der Geschichte des Hauses in eine glaubwürdig moderne Form zu gießen: Vom Vorderrad aus schwingt eine Kotflügellinie über beinahe die ganze Fahrzeuglänge und wird vor dem Hinterrad von einem zweiten, etwas kompakteren Schwung aufgefangen. Genauer kann man die Pracht der großen Limousinen und Coupés der 30er Jahre wohl kaum auf eine Karosserie von heute übertragen. In der Seitenansicht wird erkennbar, dass hier eine echte Mercedes-Kontur geschaffen wurde, mit weit nach hinten geschobenem Screenhouse, langem hinteren Überhang, einem großzügigen Dachschwung und einer hoch und kräftig wirkenden Front. Und dann sehen wir die Flanken des Wagens. Wie sich diese Seitenlinie straff und knapp über den vorderen Radausschnitt spannt, das hat schon was. Vergessen wir mal kurz, dass das eine Oberflächengrafik ist und nur wenig (nämlich an der Front) mit der Plastizität des Autos zu tun hat. Es kommt einfach gut, warum also nicht? Doch dann bleibt unser Blick an der Stelle hängen, zur der diese Linie ihn hinführt, zwingend und mit großer Spannung leitet sie den Betrachter – mitten in das größte Chaos. Das entsteht, weil hier, im Bereich der hinteren Tür, eine Form – oder besser, eine durch die Form markierte Grafik – mit einer zweiten, durch die technischen Gegebenheiten bestimmten Grafik überlagert wird. Mit anderen Worten: Die Türfuge tut so, als gäbe es das Drama nicht, das sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft abspielt, und auch die den Tankdeckel umfassende Fuge liegt so zufällig auf dem Volumen, dass das kleine Blechteil zwei starke Biegungen braucht. Beide Fugenlinien stören nach Kräften. Den Rest gibt der ganzen Situation dann der direkt über dem neuralgischen Punkt eingesetzte Mercedes-Standardtürgriff, der mit seiner schräg-ovoiden Griffschale ein denkbar wildes plastisches Eigenleben führt. Entschuldigung, aber die Stelle schreit nach einer Alfa-Türgrifflösung, und für ein viertüriges Coupé dieser Machart wäre ein Griff in der Seitenscheibe durchaus in Ordnung. Aber hier passt eben gar nichts.
Leider gibt es noch eine zweite Stelle an dem Auto, an der nichts passt: Die Front, oder sagen wir besser, der Bereich um die Scheinwerfer. Ich erspare dem Leser und mir die detaillierte Analyse. Die innere Kante des Scheinwerfers sieht jedenfalls aus, als hätte ein nervöser Praktikant sie mit zitternden Händen aufs Claymodell getaped, unter anderem entsteht dadurch an der den Grill einfassenden Fläche ein grausamer dreieckiger Fortsatz, der natürlich den Blick magisch anzieht und massiv stört. Unterhalb der Leuchten wird die ganze Geschichte auf einmal unheimlich gerade und geometrisch, fast Lamborghini-mäßig in ihrer Facettenhaftigkeit, und man fragt sich, ob das Frontend überhaupt zu diesem Auto gehört. Wurde es etwa in letzter Minute geändert (und eine Grafik des Wagens im Display, mit einer anders gestalteten Front, legt diesen Verdacht nahe)? Wie auch immer: Die Botschaft, die der Sehende sieht ist die, dass hier sehr viel in sehr kurzer Zeit gewollt wurde. Und das bringt uns zur Krise…
Eine Frau aus gutem Hause, erfolgsverwöhnt, schön und wohlhabend muss eines Tages feststellen, dass ihre Schönheit nachlässt. Sie wird nicht jünger, da kann man nichts machen. Ein Blick aufs Konto sorgt für den zweiten Schreck: die zur Verfügung stehenden Mittel sind zwar immer noch erheblich, aber es wird klar, dass sie absolut nicht unerschöpflich sind. Beim Gartenfest wird sie ein Kleid tragen, dass sie schon einmal anhatte. Sie wird sich sehr viel Mühe mit dem Make-Up geben, und in dem unerschütterlichen Willen, jung und attraktiv zu wirken wird sie auf traurige Weise übertreiben. Ihren wertvollen und edlen Schmuck ergänzt sie mit zwei spektakulären Teilen fragwürdiger Herkunft und unklaren Wertes, denn ihr steht der Sinn nach mehr Glanz. Mit einem Wort: Es besteht die Gefahr, dass sie zur tragischen Figur wird.
Die alte Dame Mercedes sollte darauf achten, wer sie berät. Ehrgeiz ist nicht immer der beste Antrieb, und das gilt wohl um so mehr, wenn man aus gutem Hause kommt.
Ach, der Wegweiser? Ich würde sagen, er zeigt weg von oberflächlichen Effekten Richtung Substanz, einmal mehr.