Griechischer Rentner erschiesst sich vor dem Parlament wegen Krise

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“Ich bin Rentner. Unter diesen Bedingungen will ich nicht weiterleben. Ich weigere mich, mein Essen im Müll zu suchen. Deswegen habe ich beschlossen, meinem Leben ein Ende zu setzen”, lautete der Text auf dem Zettel, den er in der Tasche trägt. Der Mann, 77 Jahre alt, ehemaliger Apotheker, den die Schulden bedrängten, schoss sich in den Kopf und starb gestern wenige Meter vor dem griechsischen Parlament morgens kurz vor neun. Ein öffentlicher Freitod, der eine Welle von Zorn und Schmerz im Land auslöste. Ein Ende, das immer mehr Menschen suchen in einem Land im Würgegriff der Sparprogramme.

Die Botschaft in der Tasche klagt die Regierung an, “jede Hoffnung auf Überleben zunichte” zu machen. In einer Nachricht des Rentners, die vom Internet-Portal der Zeitung To Vima verbreitet wurde, heisst es: “Ich glaube, dass diese Jugend ohne Zukunft eines Tages zu den Waffen greifen und auf dem Syntagma-Platz (Athen, dort verlor der Mann sein Leben) diejenigen hängen wird, die ihr Land verraten haben, wie es einst Mussolini tat 1945.” – Die Parallele zum italienischen Faschisten ist laut dem Text “die Besatzerregierung” in Athen, der der zu Tode gekommene Rentner den Begriff “Tsolakoglu” zuschreibt unter Bezug auf den Premierminister, der 1941 mit den Nazis zusammenarbeitete.

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Die Bewegung der Erzürnten (Vorläufer der Indignados in Spanien), die seit dem vergangenen Sommer praktisch eingeschlafen war, nahm den Freitod als neues Symbol für den Aufbruch; doch die Demo vor dem Parlament unter dem Motto “Wir werden uns an solche Toten nicht gewöhnen” endete gestern Abend mit gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Gruppen von vermummten Demonstranten und den Sicherheitskräften. Zwölf Personen wurden festgenommen.

Diejenigen Politiker, die gegen Kürzungsprogramme und Sparpakete sind, beeilten sich, Kapital aus dem Vorfall zu schlagen. Yorgos Karatzaferis, Parteichef der Laos (vierte Partei im Parlament): “Wenn die Leute anfangen, sich auf dem Syntagma-Platz umzubringen, ist es das Ende, die soziale Kohäsion ist explodiert.” – Antonis Samarás, wahrscheinlich Regierungschef nach den kommenden Wahlen, zeigte sich erschüttert von der Nachricht, während der Chef der Sozialdemokraten, Evangelos Venizelos, betonte, das Geschehene sei so ungeheuerlich, “dass jeder politische Kommentar irrelevant und überflüssig ist.” Premierminister Lukas Papademos rief seine Mitbürger “in diesen kritischen Stunden” dazu auf, “diejenigen nicht allein zu lassen, denen es schlecht geht.”

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Der Präsident des Apothekerverbandes: “Es gibt sehr wohl einen moralischen Aspekt in dieser Sache, die Regierung hat die Menschen in die Verzweiflung getrieben!” – Seit Anfang 2010 sind die Renten um 15% gekürzt worden. Wer mehr als 1.200 Euro bezog, musste zusätzlich auf weitere 20 Prozent verzichten. Nach einem Hinweis auf seine niedrige Rente “für die ich 35 Jahre lang eingezahlt habe”, schliesst die Nachricht so: “Ich finde keine andere angemessene Antwort auf diese Krise als einen würdigen Abschied, bevor ich in den Müllcontainern nach Essen suchen muss.”

Trotzdem die Selbstmord-Rate in Griechenland seit dem Beginn der Krise um 40 Prozent zugenommen hat, wie das Gesundheitsministerium mitteilte, können die Griechen diesen Live-Freitod nicht fassen, aber alle verstehen die Gründe: “Die Menschen haben Hunger”, sagt eine Frau, ebenfalls Rentnerin, “ich kenne Familien, die nicht einmal genug Geld haben, um Milch für ihre kleinen Kinder zu kaufen.”

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Tagtäglich berichten die Zeitungen, fast wie nebenbei und auf den hinteren Seiten, von hunderten von “ruinierten kleinen Ladenbesitzern”, die vom Balkon oder in eine Schlucht stürzten oder bei “einem bestimmten Unfall” ums Leben kamen: von Überdosis bis zu aufgeschnittenen Venen, spezifiziert wird nicht, das Thema Selbstmord ist in Griechenland ein Tabu. Die Orthodoxe Kirche weigert sich, diejenigen würdig zu Grabe zu tragen, die den Freitod suchten, daher der Schleier des Schweigens über dem Thema. Eine Todes-Zensur, die mit diesem Live-Freitod vor dem Parlament zu Ende gehen könnte.


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