Griechenland 2016 – Tag 4: Von streunenden Hunderudeln, Gedanken über Sonnencreme und Judith-Büchern

Es ist 7.45 Uhr, als ich aufwache. Wenn sich meine Schlafphase weiterhin in gleichem Maße sukzessive ausdehnt, werde ich am letzten Urlaubstag richtig lange ausschlafen. Wie so ein junger Mensch.

Die Temperaturen und die leichte Brise sind sehr angenehm und bieten leider keinerlei Ausreden, das für heute eingeplante Joggen ausfallen zu lassen. Da ich diesmal auf eine hündische Laufbegleitung verzichten möchte, schlage ich die andere Richtung des Feldwegs ein. Er verläuft parallel zum Strand und erlaubt einen freien Blick aufs Meer. Das ist sehr schön. Auf der anderen Seite erlaubt er einen freien Blick auf viel trockene Vegetation, illegal entsorgten Müll und ein paar vereinzelte, wahllos in die Gegend gestellte Ferienbungalows die als Zeugnis mangelnden architektonischen Talents gelten können. Das ist nicht so schön.

Irgendwann tauchen am Strand ein paar selbst gebaute Hütten auf. Eigentlich eher Verschläge aus Zeltstangen mit improvisierten Dächern aus verdorrtem Gestrüpp. Wirkt ein wenig wie eine Filmkulisse von „Lost“, wo die überlebenden Passagiere von Oceanic Flight 815 am Strand hausen und von dem schwarzen Smoke-Monster drangsaliert werden.

Lost-Filmkulisse. Mit Smoke-Monster. (Nicht im Bild.)

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 27. Jul 2016 um 13:29 Uhr

Folge dem Feldweg weiter, der eine langgezogene Linkskurve macht. Dahinter treffe ich nicht auf eine übersinnliche Raucherscheinung, sondern in circa 30 Metern Entfernung liegt ein schwarz-weißer Haufen mitten auf dem Weg. Irgendein atavistischer Instinkt, der in prähistorischen Zeiten den Urmenschen davor bewahrte, sich naiv einem Säbelzahntiger zu nähern, um ihm den Kopf zu tätscheln, und der noch nicht gänzlich von zivilisatorischen Errungenschaften wie Smartphones, Video-Streaming-Diensten und veganen Smoothies verschüttet wurde, signalisiert mir, Vorsicht walten zu lassen.

Und mein innerer Homo Sapiens hat Recht. Plötzlich entknäult sich der Haufen und verwandelt sich in ein Rudel streunender Hunde. So viel zu meinem Plan, heute auf hündische Laufbekanntschaften zu verzichten.

Vom Joggen in Berliner Grünanlagen weiß ich, dass man nichts zu befürchten hat, wenn man auf zwei oder mehrere Hunde trifft. Die sind dann mehr damit beschäftigt sich gegenseitig am Anus zu beschnuppern als bleiche, mäßig trainierte Jogger in Stücke zu zerreißen. Bin mir aber unsicher, ob dies eine exklusive Verhaltensweise domestizierter, deutscher Hunde ist. Möglicherweise scheren sich griechische Straßenköter, die schon länger nichts mehr gegessen haben, sich nicht um sozial erwünschte Hundekonventionen.

Der größte der Hunde, wahrscheinlich der Rudelführer, hebt demonstrativ sein Bein und pinkelt auf den Feldweg, um sein Revier zu markieren.

Hündische Laufbegleitung. Symbolbild.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 27. Jul 2016 um 13:20 Uhr

Überlege kurz, ob ich es ihm gleichtun soll, damit er versteht, dass ich mich von ein bisschen Hundepisse nicht einschüchtern lasse. Nehme aber Abstand davon, denn erstens bin ich eingeschüchtert und zweitens habe ich Schwierigkeiten, Wasser zu lassen, wenn ich beobachtet werde. Da läuft dann gar nichts. Da ist die Harnröhre der reinste gordische Knoten.

Die Hunde machen ein paar Schritte in meine Richtung und bellen im Chor. Hätte jetzt gerne meinen Bonner Freund an meiner Seite. Nicht weil er wahnsinnig gut mit Hunden kann und so eine Art ‚Hundeflüsterer‘ ist. Nein, er ist ein gutes Stück größer als ich und wäre von uns beiden die deutlich attraktivere Beute. Das würde meine Chancen, unbeschadet aus dieser Situation zu kommen, deutlich erhöhen. Gute Freunde stehen nun einmal füreinander ein. (Selbstverständlich würde ich mich für den Bonner Freund ebenfalls jederzeit opfern, böte sich dazu die Gelegenheit. Und wenn ich gerade keine anderen Termine hätte.)

Streunende Hunde scheinen das kleinste Problem zu sein.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 26. Jul 2016 um 23:57 Uhr

Da ich aber auf mich alleine gestellt bin, beschließe ich, den Rückzug anzutreten und laufe zurück nach Psakoudia. Nachdem ich gut acht Kilometer hinter mich gebracht habe und den Ort mehrfach durchquert habe, was mir zunehmend skeptischere Blicke der älteren Dorfbewohner einbringt, beende ich meinen heutigen Lauf und gehe Brötchen holen.

Suche dazu diesmal eine andere Bäckerei auf, denn zur Förderung einer nachhaltigen Fremdenverkehrsindustrie gebietet es sich, seine pekuniäre Gunst gleichmäßig auf den lokalen Einzelhandel zu verteilen. Möglicherweise hätte die Bäckerin, die ich heute beehre, aber auf meinen Besuch gerne verzichtet. Stelle nämlich in dem Laden fest, dass ich Ausdünstungen wie eine Horde brünstiger Jung-Bisons verströme, was für die anderen Kunden olfaktorisch recht herausfordernd ist. Außerdem ist der 10-Euro-Schein, den ich aus der Innentasche meiner Laufshorts fingere, etwas klamm von meinem tsunamiartigen Transpirationsfluss und müffelt auch ein wenig, so dass die Verkäuferin kurz davor ist, mir die Brötchen zu schenken.

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Bevor wir nach dem Frühstück an den Strand gehen, legen wir heute angesichts unserer dermatologisch grenzwertigen Hautröte besonders viel Wert auf das Eincremen. (Dies möchte ich hier besonders betonen, um den möglicherweise aus dem gestrigen Blogeintrag resultierenden ungünstigen Eindruck, wir nähmen die Gefahren, die von Sonnenbestrahlung ausgeht, auf die leichte Schulter, zu zerstreuen. Dies ist mitnichten der Fall. Unsere sonnenverbrannten Schultern schmerzen dafür viel zu sehr.)

Die Sonnencreme-Applikation ist bei einer vierköpfigen Familie eine recht zeitaufwändige Prozedur. Schließlich wollen sechzehn Extremitäten, acht Füße, Hände und Ohren sowie jeweils vier Rücken, Bäuche und Gesichter berücksichtigt werden. Die Sonnencreme muss dabei mindestens Lichtschutzfaktor 30 aufweisen – noch besser wäre 50 oder 50+ –, alles andere grenzte an Kindesmisshandlung. Außerdem muss sie selbstverständlich für empfindliche Haut bestens geeignet sein (Stichwort Mallorca-Akne), gleichermaßen UVA- und UVB-Schutz bieten (Was auch immer das ist.) und selbstredend auf Duftstoffe (Bäh!) und Emulgatoren (Ober-Bäh!) verzichten.

Zu meiner Kindheit wurde das alles nicht so eng gesehen. Der Lichtschutzfaktor betrug maximal 12, der aber Menschen, die unter Albinismus leiden, vorbehalten war. Alle anderen mussten sich mit Lichtschutzfaktor 6 bis 8 begnügen. Die Sonnencremes von damals waren so extrem schmierig, dass sie als kostengünstige Alternative zu Motoröl eingesetzt werden konnte. Dazu waren sie vollgestopft mit kanzerogenen Inhaltsstoffen und vorzugsweise mit Kokosaromen versetzt, um auch an Bottroper Baggerseen Karibik-Feeling zu suggerieren.

Dies wäre inzwischen undenkbar. Bei aktuellen Sonnencremes ist das rückseitige Etikett aber dennoch mit ausführlichen Warnhinweisen in Schriftgröße 1 bedruckt. Wenn ich sie richtig entziffere, soll man nach dem Auftragen der Creme UV-undurchlässige Kleidung anziehen, direkte Sonneneinstrahlung tunlichst meiden und am besten gar nicht erst das Haus verlassen. Nur so lassen sich dauerhafte Hautschädigungen, die sich über Generationen vererben, verhindern. Dennoch kosten die heutigen Hochleistungs-Sonnencremes so viel, dass man annehmen muss, sie werden aus flüssigem Gold hergestellt.

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Als wir endlich am Strand ankommen und unsere Liegen bezogen haben, begrüßt mich der Strandbar-Kellner mit einem überschäumenden „Good morning! How are you, my friend?“ Ich glaube, Morgen will er mich dann seinen Eltern vorstellen.

Während die anderen schwimmen, checke ich kurz meine Mails. Habe eine Nachricht von meiner Verlegerin. Mein erstes Buch ist fast im Druck, soll am 7. September erscheinen und kann ab jetzt vorbestellt werden. Es heißt „Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith“ und spielt in der Gründungsphase des Familienbetriebs.

Cover_Wenns-ein-Junge-wird_lowres

Die Frau sagt, ich könne das so nicht schreiben. Das klänge ja wie auf dem Fischmarkt oder bei QVC. Das sei peinlich und fast schon an der Grenze zur Nötigung.

Rechne ihr vor, dass wir bei 60.000 verkauften Exemplaren gemeinsam das ganze Jahr über urlauben könnten. Sie erklärt sich daraufhin spontan bereit, heute Abend als Sandwich-Plakat durch den Ort zu gehen und das Buch bei deutschen Touristen anzupreisen.

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Verbringe die nächsten 60 Minuten dann recht ereignisarm mit leichtem Dösen und Lesen sowie dem regelmäßigen Verscheuchen der fliegenden Händler. Schließlich nörgeln die Kinder aber so ausdauernd, ich solle gefälligst mit ihnen ins Wasser gehen, dass selbst ich mit meinem an Ignoranz grenzendem Phlegma nicht in der Lage bin, dies auszusitzen.

Um etwas Abwechslung zu haben, nehmen wir einen Beachvolleyball mit. In einem Anflug von geistiger Umnachtung – wahrscheinlich zu viel Zeit in der prallen Sonne verbracht – erkläre ich, wir verließen das Wasser erst wieder, wenn wir uns den Ball 30 Mal ohne Unterbrechung zugepritscht haben. Tochter und Sohn sind Feuer und Flamme.

Vier Stunden später ruft die Frau genervt vom Strand, wir müssten jetzt endlich heimgehen, da wir noch dringend einkaufen müssten und die Supermärkte gleich schlössen. Unser Pritsch-Rekord steht zu diesem Zeitpunkt bei 13.

Supermarkt. Der natürliche Feind der Urlaubskasse.

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 27. Jul 2016 um 7:16 Uhr

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Nach einem kurzen Disput mit der Urlaubskasse beschließen wir zu ihrem tiefen Missfallen, das Abendessen mal wieder in der Taverne einzunehmen. Bei Kostas. Halten uns diesmal bei der Auswahl der Speisen zurück, da wir nicht erneut aufgrund von Völlegefühl den Nachtisch aufs Haus ablehnen wollen. Bekommen diesmal aber keinen angeboten, was nach dem eigentlich vorzüglichen Mahl doch einen schalen Beigeschmack hinterlässt. (Diesen können wir noch nicht einmal mit einem Ouzo runterspülen, da man uns auch diesen nicht offeriert. Es scheinen schwere Zeiten in Psakoudia zu sein.)

Männliches Touristenexemplar an Bier. (Vorsicht: Product Placement. Leider unbezahlt.)

Ein von Familienbetrieb (@betriebsfamilie) gepostetes Foto am 27. Jul 2016 um 9:30 Uhr

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Beim abendlichen Kniffeln gewinnt der Sohn. Zum dritten Mal hintereinander. Dafür darf er morgen nicht mit zum Strand. Sie denken vielleicht, dies ist unangemessen harsch, aber wie soll man sonst in dieser säkularisierten Welt, in der man sich nicht mehr auf die Bibel beziehen kann, seinen Kindern beibringen, dass Vater und Mutter zu ehren und nicht beim Kniffeln zu schlagen sind.

Das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel ist durch Lach- und Kicheranfälle der Kinder gekennzeichnet, die schlechte Wortspiele machen. Für Menschen ohne Nachwuchs klingt das trivial, aber Eltern verstehen die Tragweite dieses Satzes. Nicht umsonst heißt es: „Der Weg zur Hölle ist mit Witze erzählenden Kindern gesäumt.“

Das Spiel selbst gewinnt nominell der Sohn. Allerdings besagt die deutsche Mensch-ärgere-dich-nicht-Ordnung von 1831, dass am vierten Urlaubstag der Viertplatzierte – das bin zufällig ich – den Sieg zugesprochen bekommt. Allerdings ist der Rest der Familie mit der deutschen Mensch-ärgere-dich-nicht-Ordnung von 1831 nicht recht vertraut und man erklärt meine Regelauslegung für Humbug. Ich sage nur Erfolg und ich sage nur Neid. Den Rest können Sie sich denken.

Gute Nacht!

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Alle Beiträge des Griechenland-2016-Tagebuchs gibt es hier.


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