Pünktlich zum 50. Jahrestag des Mauerbaus, jenes grenzwertigen Zauns, der nicht nur ein Land teilte, sondern vor allem auch Menschen am Reisen hinderte und sie zu unfreiwilligen Proletariern von Diktatoren machte, nehmen sich manche nun die Freiheit heraus, Grenzen zu überschreiten. Warum auch nicht, das darf hier inzwischen jeder jederzeit und wohin er auch immer will. Die Grenzen des guten Geschmacks hingegen durfte man auch zwischen 1961 und 1989 überschreiten. Und dies wurde auch getan, in Ost wie in West.
Und es wird immer noch getan. Wobei man bei der jüngsten Story der jüngsten Welt, äh Jungen Welt, von Geschmack eigentlich nicht mehr reden mag. Denn dabei wird manchem so schlecht, dass der Geschmack keine Rolle mehr spielt. Das Blatt sagt „einfach mal Danke für 28 Jahre Friedenssicherung in Europa“, gefolgt von „Dank für 28 Jahre ohne Hartz IV und Erwerbslosigkeit“. Ein Lob des Sozialismus nennen es treffend die Kollegen vom Medien-Beobachterblog politplatschquatsch. Eine gute Marketing-Strategie sei es, um wenigstens Aufmerksamkeit, wenn schon kein Interesse am Blatt mehr besteht, zu erregen. Dabei müssten es die jungen Weltler als ehemaliges SEDFDJDDR-Blatt doch besser wissen.
Gab es doch in den 28 Jahren „Frieden“ den einen oder anderen Journalisten, der weder in der DDR und erst recht nicht bei der JW arbeiten durfte. Oder auch Lehrer ohne Job, Musiker ohne Muggen, Schauspieler ohne Rollen, Professoren ohne Professur. Und Frieden? Was ist schon der äußere Frieden wenn der innere Frieden nicht da ist? Ich hoffte ja insgeheim beim Anblick des „Dankes“, es wäre eine Aktion der Titanic, die nächtens die Redaktionsräume der JW besetzt und das Blatt für einen Tag übernommen hätte. War wohl nicht so. Die meinen das so. Das Hirn verbrannt oder weggekifft. Oder nicht mitbekommen, was damals war und heute ist. Oder voller Frust über Dumpinghonorare und somit kein Geld für ne urlaubsmäßige Grenzüberschreitung.
Grenzwertig ebenso ist die derzeitige Internet-Baustelle der Stiftung des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Will man sich dort die Wochenschau über den Mauerbau ansehen, landet man auf einer Baustelle. Wartungsarbeiten, steht da geschrieben. Herzlichen Glückwunsch, das habt Ihr gut hinbekommen. Warum sollte sich auch jemand ausgerechnet jetzt diesen Film ansehen wollen? Zum Jahrestag? Quatsch. Das Interesse wird im Februar 2015 viel höher sein. Wenn es heißt: Gedenken an 53einhalb Jahre Mauerbau.