ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 681
von Walter G. Goes (ARTus) • Bergen auf Rügen
Im aufregenden Monat November des Jahres 1989, in dem die DDR von heute auf morgen zu kollabieren drohte, erschien in der monatlich erscheinenden Zeitschrift Bildende Kunst ein Heft, das sich fast ausschließlich der Visuellen Poesie widmete; einem doch eher Randgebiet der Kunst, deren Vertreter nie zuvor im Fokus einer größeren Akzeptanz standen, womöglich stehen durften und die schon von daher tapfer den Nimbus der Abseitigen (er)trugen.
Auf immerhin 64 Seiten gab es plötzlich profunde Erklärungen, Hinweise zur Geschichte und Gegenwart des Verwobenseins von Schrift und Bild; der magischen Verbindung zwischen Dichtung und bildender Kunst, sprich: Erleuchtung!
Als hätte man ihre Vertreter nie geschmäht, hochherrschaftlich belächelt, als Sonderlinge »behandelt«. Da las man von Künstlern, deren Namen bislang nur unter vorgehaltener Hand kursierten, unter Ihnen ein einzigartiger Solitär, ein Kommunist und Pazifist, der seine Erkenntnisse in so noch nie gesehenen grafischen Wortfindungen umzusetzen wusste.
Er war mit seinen Sprachblättern auf der Suche nach dem Noch-Nicht-Bewussten, dem das Noch-Nicht-Gewordene in der Materie, in der Gesellschaft! entsprach. Claus erhob das Verdrängte und Vergessene zum Ziel seiner ungewöhnlichen Forschungen. Das Verborgene (und Verbogene!) sollte ins Licht gehoben werden.
Tragisch blieb, so gesehen bis heute, dass sein umfängliches, immer noch zu erschließendes Werk »vielmehr ästhetisch als inhaltlich rezipiert wird« (Henry Schumann). Das ändert auch nichts an der Tatsache, dass sein Projekt Aurora Experimentalraum seit 1999 im Plenargebäude des Bundestages in Berlin ausgestellt wird. Seine Sprengkraft bleibt ja auf dem Papier, im geschützten Raum und ist somit ungefährlich.
1989 schien das Werk von Claus, sein innerster Kern, für einen historischen Wimpernschlag Realität zu werden, sich wahrhaft »demokratisch« auf den Straßen zu manifestieren. Allerdings erstarrte das gesellschaftliche Experiment im Moment seiner möglichen Durchsetzung. Es wurde abgelöst von einer marktorientierten Unterhaltung, die rasend schnell immer nur auf maximalen Profit setzt, ohne nach Inhalten und Verträglichkeiten zu fragen.
Von Carlfriedrich Claus lässt sich noch lernen, wenn man offen bleibt für Veränderungen, für Experimente und Vorschläge. ARTus