Grenzgänger Bernhard Schader: Heldenreise. Altes Format

Von Lyck

Bernhard Schader sucht Grenzerfahrungen im Alltagsleben, in den scheinbar gewöhnlichen Ereignissen, die manchmal einen ungewöhnlichen Verlauf nehmen. Davon berichtet auch sein Text "Heldenreise. Altes Format", aus dem er am 14.07.12 in Mannheim auf der KultTour lesen wird.
Zur Einstimmung ein Ausschnitt aus einem 2011 geschaffenen Werk:


Im Süden der Stadt fahren die Busse pünktlich
Bevor sie zur Haltestelle gegangen ist, hat sie die Mülltonne auf die Straße gestellt. Die Mülltonne wird immer mittwochs geleert, alle zwei Wochen. Vorgestern war Montag, Peter kommt immer montags.Im Bus haben sie jetzt sicher auch eine Kamera, auch im 53-er. Immer kommt er zu spät, der 53-er. Und er ist so laut, vor allem im hinteren Teil ist er so laut. Aber im hinteren Teil sitzt man höher und man sieht mehr. Den Fahrer, die Fahrgäste, die Straße. Das große rote Plakat draußen: Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt, steht darauf, in weißer Schrift. Sie hat alles gut vorbereitet. Ein Projekt muss man gründlich planen und sorgfältig vorbereiten, hat Karl immer gesagt. Das hat ihr so sehr an ihm gefallen: dass er immer diese großartigen Projekte realisiert hat. Realisieren, das hat er gern gesagt. Das neue Badezimmer hat er lange geplant und vorbereitet und wunderbar realisiert mit den italienischen Fliesen und der Badewanne mit den Wirbeldüsen und der Dusche mit dem großen Duschkopf wie in dem Hotel in England, in dem sie einmal waren. Wie ein englischer Regen fühlt es sich an, wenn man darunter steht. ...Die Kameras sind jetzt überall, nicht nur im Bus. Überall wird man beobachtet. In der Bank, in der Straßenbahn, im Kaufhof. Sogar im Edeka-Markt.Aber die Kameras sind kein Problem. Sie hat ihre Sonnenbrille in die Handtasche gepackt, die wird sie aufsetzen, und ein großes Tuch wird sie sich um den Kopf binden. Sollen sie ruhig denken, dass sie so eine Türkin ist. Die tragen jetzt alle ein Kopftuch, die Türkinnen, auch die jungen. Da sieht man endlich, wie viele das sind, an den Kopftüchern kann man es sehen. Dass das einmal so viele sein würden, damit hat doch niemand gerechnet. Und diese jungen Dinger, hautenge Hosen und Pullis und dazu Kopftücher.... Sie hat ihr Projekt lange geplant. Hat sich ausführlich informiert. „Recherchiert“, hat Karl immer gesagt. Im Fernsehen kann man es jeden Tag sehen und sie hat genau hingeschaut und viel dabei gelernt. Wie man in den Raum tritt: aufrecht, mit zielstrebigem Schritt und entschlossenem Blick. Wie man wieder hinausgeht. Auch das Timing, wie sie es nennen. Sie muss ja sofort in einen Bus steigen können, kann nicht an der Haltestelle stehen bleiben. Lange auf einen Bus warten kann sie nicht, das ist klar. ...

Bernhard Schader,Jahrgang 49, Pädagoge und Psychologe, lebt in Mannheim und schreibt – nach einigen fachlichen Veröffentlichungen – mit Vorliebe Kriminelles, lässt sich aber gelegentlich auch auf andere Felder locken. Mitglied im Literaturverein „Räuber 77“ und im „Literarischen Quadrat“.