Gratwanderung im Raurisertal

Von Berghasen

Unterwegs am Pröllweg zwischen Herzog-Ernst-Spitze und Niedersachsenhaus.

Der Nebel verzieht sich. Endlich erfassen wir die Landschaft, in der wir uns bewegen. Ein Tiefblick nach links, ein Tiefblick nach rechts. Wo vorher alles weiß war, fallen jetzt zu beiden Seiten steile Grasflanken ab. Vor uns ein Grat, der an keiner Stelle zum Fürchten, aber stets atemberaubend ist. Der Weg, der uns über den Grat führt, nutzt den wenigen Platz perfekt aus. Die meiste Zeit verläuft er direkt am Scheitel der mit Gras bewachsenen Gebirgskette. Mal trittst du auf gerippten Fels, mal auf riesige Steinplatten und dazwischen gleicht der Steig einem schmalen Kiesweg. Immer breit genug, um sich sicher zu fühlen. Aber schmal genug für einen kleinen Nervenkitzel.

Eine schöne Tour nicht nur für Wanderer, sondern auch für Trailrunner. Nur an wenigen Passagen ist das Gelände so technisch, dass man sein Tempo drosseln muss. Wo man einen solchen Grat findet? Wir tänzeln auf dem Pröllweg zwischen Herzog-Ernst-Spitze und Niedersachsenhaus hoch über dem Raurisertal. Umkehren ist jetzt nicht mehr möglich. Also lies weiter!

Zustieg: Von Kolm Saigurn auf die Herzog-Ernst-Spitze

Wir starten in Kolm Saigurn – dem hintersten Eck des Raurisertals. Das Talende erreicht man am einfachsten über die Kolmstraße (mautpflichtig) und wandert vom Parkplatz zum Naturfreundehaus. Dort verlässt man den kesselförmigen Talschluss und steigt vorbei am Barbarafall über den Weg 122 hinauf zum Schutzhaus Neubau.

Der Barbarafall in Kolm Saigurn.

Die Welt hier ist grün. Über jeden Felsabbruch stürzt ein Wasserfall, hinter jeder Kehre gurgelt ein Bächlein. Der Wasserreichtum in Rauris ist der perfekte Nährboden für die üppige Natur. Und eine gute Möglichkeit, Gewicht zu sparen – denn Wasser kann man hier noch überall auffüllen.

Kurz vor dem Neubau.

Am Schutzhaus Neubau wird die Landschaft karger. Statt Arnika wächst jetzt karges Gras. Farne und niedrige Büsche müssen Felsblöcken weichen. Die Quellen liegen tief unter der Erde.

Schutzhaus Neubau.

Am Brunnen des Schutzhauses füllen wir ein letztes Mal Wasser in unsere Flaschen. Dann brechen wir zur Fraganter Scharte auf. Der Wind pfeift uns um die Ohren. Wir befinden uns an der Wetterscheide zwischen Salzburg und Kärnten. Die Gipfel um uns sind in Nebel gehüllt. Schareck, Sonnblick, Hocharn, Silberpfennig – sie entziehen sich unseren Augen.

Am Tauernhöhenweg zur Fraganter Scharte.

Wir konzentrieren uns auf das, was vor uns liegt. Schieben den Gedanken, dass wir ohne Panorama am Gipfel stehen werden beiseite und richten den Blick auf die nähere Umgebung. Auf das Goldbergkees unterhalb des Sonnblicks, die Gletscherbäche und -seen und den Weg, der sich durch dieses alpine Gelände windet. Vorbei an Infotafeln und Stollen, die an die Zeit des Bergbaus im Raurisertal erinnern.

Vom Schutzhaus Neubau zur Fraganter Scharte.

An der Fraganter Scharte verschluckt uns der Nebel. Die Welt um uns wird grau und weiß. Zweihundert Höhenmeter trennen uns noch von der Herzog-Ernst-Spitze (2.933 m). Der Weg wird etwas anspruchsvoller und überwindet kleine und größere Felsblöcke. Unsere Ankunft am Gipfel bemerken wir erst, als es auf der anderen Seite wieder bergab geht.

Vom Neben verschluckt.

Gratwanderung: Über den Pröllweg zum Niedersachsenhaus

Dass uns der Nebel die Aussicht raubt, schmerzt. Wortlos überschreiten wir den Gipfel. Ahnungslos, welches Juwel eines Weges vor uns liegt, klettern wir von der Herzog-Ernst-Spitze Richtung Niedersachsenhaus ab.

Beim Abstieg von der Herzog-Ernst-Spitze.

Die Sicht reicht höchstens zehn Meter weit. Aber auch ein Blinder hätte erkannt, wie fulminant dieser Steig ist. Wir sind hin und her gerissen. Einerseits ist da diese mürrische Stimmung wegen des fehlenden Panoramas. Dieser geniale Weg in Kombination mit dem Rundblick über die Hohen Tauern – das wäre der Hammer! Andererseits übergießt uns jeder Schritt auf dem nebelverhangenen Grat auch so mit Glücksgefühlen.

Irgendwo zwischen Herzog-Ernst-Spitze und Neunerkogel.

Der Pfad gleicht einer Startbahn, die ins Nichts führt. Meist nur eine Armlänge breit windet er sich über Kuppen, gerippte Felsplatten und um hohe Felstürme. An vielen Stellen ist der Weg laufbar und man hat wirklich das Gefühl, gleich abzuheben.

Ein laufbarer Grat. Hochgenuss.

Wir erreichen den Neunerkogel, dann die Riffelhöhe – zwei Gipfel, die wir zwischen Herzog-Ernst-Spitze und dem Niedersachsenhaus einsammeln. Dann verlieren wir an Höhe und um uns wird es heller.

Ich spüre die Sonnenstrahlen auf meine Haut prallen. Sehe, wie sich das Weiß des Nebels mit dem Grün der Bergwiesen vermischt. Die Sicht ist frei. Und wir trauen unseren Augen nicht, in welcher Landschaft wir uns wiederfinden.

Überraschung. Willkommen am Traumgrat.

Messerscharf trennt der Grasgrat das Rauriser- vom Gasteinertal. Die Aussicht ist sowohl in das eine, als auch in das andere Tal famos. In der Ferne glänzt das Dach des Niedersachsenhauses in der Mittagssonne. Einige Zeit hält uns der Grat noch fest.

Blick vom Pröllweg ins Raurisertal.

Von der Herzog-Ernst-Spitze bis zum Niedersachsenhaus dauert der Gratgenuss ganze drei Kilometer. Die schwierigste Stelle ist eine kurze, steile Passage im II. Schwierigkeitsgrad. Sie ist mit Tritthilfen und einem Fixseil versichert.

In der Scharte – das Niedersachsenhaus.

Eine runde Sache: Über die Bockhartscharten zurück nach Kolm Saigurn

Am Niedersachsenhaus hat man die Wahl: Entweder man steigt gleich von der Riffelscharte über den Weg 111 nach Kolm Saigurn ab, oder man geht weiter zur Bockhartscharte und von dort aus zurück zum Ausgangspunkt. Wir haben noch Energie und entscheiden uns für zweitere Variante.

So macht Gratwandern Spaß. Im Hintergrund der Grat zur Herzog-Ernst-Spitze.

Ein Stück folgen wir noch dem sanft auslaufenden Grat, bevor uns Serpentinen über saftige Almwiesen einige Höhenmeter tiefer bringen. Der nächste Anstieg führt uns hinauf zur Kolmkarschate, um den Seekopf herum und dann in direkter Linie zur Bockhartscharte.

Am Weg zur Bockhartscharte.

Weil die Sonne gerade so schön scheint, steigen wir noch zum Bockhart auf. Er ist ein Aussichtsgipfel mit tollem Kreuz zwischen Gastein und Rauris und von der Scharte nur einen Katzensprung entfernt.

Bockhart Bockhart

Über idyllische Weiden, die wir uns mit einer Kuhherde teilen, kommen wir zurück nach Kolm Saigurn.

Tipp: Wenn du länger in Rauris bist, schau auch am Silberpfennig vorbei!

Von der Bockhartschafte zurück nach Kolm Saigurn.

Tourdaten

  • Aufstieg: 1.700 Höhenmeter
  • Abstieg: 1.700 Höhenmeter
  • Länge: 20 Kilometer
  • Dauer: 8 Stunden

Gehzeiten:

  • Kolm Saigurn – Neubau: 1,5 h
  • Neubau – Fraganter Scharte: 1,5 h
  • Fraganter Scharte – Herzog-Ernst-Spitze: 0,5 h
  • Herzog-Ernst-Spitze – Niedersachsenhaus: 1,5 h
  • Niedersachsenhaus – Bockhartscharte: 1,5 h
  • Bockhartscharte – Kolm Saigurn: 1,5 h