Grass: Die Schande von Basel

Grass: Die Schande von BaselAls sich Günter Grass mit seinem Gedicht "Was gesagt werden muss" vor gut sieben Wochen an dieser Stelle in die Grass-Debatte einschaltete, war die Reaktion der Leser und der Medien groß. Sie war größer als bei jedem anderen Thema, das PPQ in den vergangenen Jahren mit heißer Nadel strickte.
Zunächst drehte sich die Debatte vor allem darum, ob Grass eigentlich ein Gedicht geschrieben habe, dann wucherte sie dahin aus, dass infrage stand, ob er ein Gedicht hätte schreiben dürfen. Vor allem sein spätes Geständnis von 2006, dass er als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS war, spielte gar keine Rolle. Es dauerte, bis es im Diskurs um den politischen Kern des Gedichts ging - die Frage nach dem Tabu, das es nicht gibt, das allerdings als Tabu existiert, weil es tabu ist, darüber zu sprechen, dasses nicht existiert.
Wir sind Grass!, propagierte PPQ seinerzeit - und das völlig zurecht, wie auch Günter Grass selbst findet. Der Nobelpreisträger ist nicht tatenlos geblieben, sondern er hat weitergeschrieben, wieder ein Gedicht, diesmal spürbar angefressen von der Niederlage der deutschen Nationalmannschaft im Testspiel gegen die Schweiz.
Die Form der Bettelei um Schlagzeilen mag bei Lyrikfreunden umstritten sein, doch sie hat Tradition. Vom Einbruch in die Bohlenvilla bis zur Besenkammeraffäre von Boris Becker und der schlüpfrigen Partei-Beziehung Wagenknecht/Lafontaine erlaubte die formlose Form stets, komplexe sportliche Zusammenhänge als Buchstabenpuzzle aufzulösen, so das jeder das verstehen kann, was er möchte.
Für Günter Grass hat die Einmischung in die Weltgeschichte wiederum eine biografische Tradition. Schon als junges Mitglied der SS kämpfte er im 2. Weltkrieg, später engagierte er sich in der Gruppe 47 als Schreiber gegen das Vergessen und vor einigen Jahren fiel beim Häuten einer Zwiebel auch die SS-Sache wieder ein. Basel, dort, wo vor 104 Jahren alles begann, ist der Schauplatz des neuen Großwerkes. Bis heute gehörte das reimlose Schreiben für ihn wie selbstverständlich zur Rolle des Schriftstellers und Dichters. Man muss nicht lange überlegen, man schreibt, wie es die Tinte hergibt. Oder das Herzblut, denn das nutzte Günter Grass diersmal als Trägerflüssigkleit, nachdem ihm die Tinte beim Schreiben seines Israel-Poems nach einem Augenzeugenbericht von Vril ausgegangen war. Auch das neue Werk des Literaten, sein erstes zum Thema Nationalmannschaft, sein Debüt zum Thema Fußball, erzählt davon:
Der Aufregung nah, weil den Erwartungen nicht gerecht,
bist fern Du dem Erfolg, den das Volk ersehnt.
Es ist der Ball verflucht, der Fan gehässig,
ein Team nun, unter Schrottwert taxiert.
Als Elf mit 3:5 an den Pranger gestellt, leidet eine Nation,
die Dank zu schulden Dir Redensart war.
Zum Siegen verurteilt, was früher
Trophäen erbrachte: die Schweiz schlug zu.
Grausam vor den Augen des Volkes
heimgesucht, trugen zum Dress Furchtgesichter.
Kaum noch geduldeter der Mann an der Seitenlinie,
dem einst als Liebling gehuldigt wurde.
Sinnloser Zorn, dem der Fankurve Macht
frönt wider dem ter Stegen. Ohne die Bayern.
In der Schmach trägt Löw Schwarz und landesweit
kleidet Trauer das Volk, dessen Liebe Du gewesen.
Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt Kommafehler gehortet in Ballnetzen.
Lauf endlich, lauf! schreien der Kommissare Claqueure,
Kommentatoren, Elfmeter, der Pfiff bleibt aus.
Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
deren Hoffnung zu erfüllen unser Sehnen erfleht.
Geistlos verkümmern wirst Du ohne Mumm,
ohne die Bayern, lahm ohne Lahm und Schweinsteiger.

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