Nicaragua
Wir verliessen also Granada wie immer früh am Morgen. Nach einigen sanften Wellen wurde die Strecke in Richtung Managua platt, später ging es wieder leicht auf und ab. Und es hatte hier bedeutend mehr Verkehr als auf dem Weg nach Granada und je näher wir Managua (der Hauptstadt) kamen, umso dichter war das Land auch bevölkert. Es passierte den ganzen Vormittag lang nichts Erwähnenswertes. Die Sintflut, die später vorbeizog, war auch nicht aussergewöhnlich. Vor Managua die richtige Abzweigung nach Leon zu finden, war nicht so trivial, es standen zwar immer wieder Wegweiser an der Strasse, aber wenn wir einmal einen gebraucht hätten, hat der meist gefehlt. Nach einigen Malen nachfragen, klappte aber auch das und nach längerer Zeit im städtischen Gewirr befanden wir uns wieder ausserhalb. Einmal wurden wir von einer Gruppe Rennvelofahrer überholt, von denen einer unmittelbar vor uns vom Seitenstreifen auf die gut 5 cm erhöhte Fahrbahn wechseln wollte, dabei mit dem Rad aber an der Erhöhung hängen blieb und stürzte, natürlich mitsamt dem ihm folgenden Fahrer. Sie schienen sich nicht gross verletzt zu haben, ich realisierte aber, dass mein Respekt vor diesem blöden Absätzli durchaus berechtigt war.
Kirche in Granada, schon länger nicht mehr renoviert.
Irgendwann tauchte die Frage auf, wo wir die Nacht verbringen sollten und wir steuerten Nagarote, ein kleineres Dorf, an. Die Bomberos dort hätten uns aufgenommen, der Raum, den sie zur Verfügung stellen konnten, war aber so klein, dass wir da zu zweit nicht reingepasst hätten. Es gab zwei Hostales im Ort aber schon das "günstigere" der beiden war uns zu teuer. So fuhren wir eben weiter. Bis zum nächsten kleinen Dorf mit dem grossen Namen La Paz Centro. Dort gab es ein "Hotelito", das aber ebenfalls sehr teuer war für das, was geboten wurde. Seltsam, in den meisten Ländern waren Unterkünfte in Dörfern in der Regel billiger gewesen als in grossen Städten, in Nicaragua war das gerade umgekehrt. Es war aber schon spät, also bezahlten wir halt für die lausigen Matratzen.
Tags darauf blieben noch etwa 30 km bis Leon. Wir begegneten wieder jeder Menge Rennvelofahrern, ein einzelner davon joggte in Richtung Leon zurück, sein Rad neben sich herschiebend. Er hatte einen Platten aber als ich ihn fragte, ob er einen Flick wolle, meinte er, das sei nicht nötig, er werde sein Training eben so beenden. Kurz darauf waren wir in Leon, hatten aber erst etwas Mühe, uns zu orientieren. Die Catedral ist normalerweise nicht nur eine grosse, sondern auch eine gut unterhaltene, schöne Kirche. Hier war sie so grau-fleckig, dass wir sie erst gar nicht als Kathedrale erkannten. Die Suche nach einem Hostal dauerte diesemal nicht lange, die Casa Vieja war hübsch und günstig. Dort waren sie gerade daran, ein zweites Haus bereitzumachen, wir bekamen dort aber schon ein Zimmer und hatten so ein ganzes Hostal für uns alleine.
Wir verbrachten fast zwei Tage in Leon, schauten die Stadt an, von der Strasse aus und vom Dach der Kathedrale, sahen den letzten Harry Potter-Film und studierten einige patriotische Sprüche an Hauswänden. In Nicaragua herrscht auch gerade Wahlkampf, was vor allem entlang der Strasse aufgefallen war, da hingen nicht nur Plakate, jeder grössere Stein war rot-schwarz angemalt, den Farben der Sandinisten. Sandino war ein Nicaraguensischer Freiheitskämpfer, der sich gegen US-Besatzung in seinem Land gewehrt hatte.
Nicaragua wird frei sein, solange
sie Söhne hat, die sie lieben.
Wir haben für die Freiheit gekämpft und wir werden sie verteidigen.
Die Stadt Leon hat uns zwar gefallen, nach zwei Tagen in Granada wäre es aber nicht unbedingt nötig gewesen, eine weitere Stadt in ähnlichem kolonialen Stil zu sehen. Der Besuch der Kathedrale war aber durchaus noch interessant gewesen, besonders die Tatsache, dass man bis auf's Dach raufkonnte. Dort hängen auch richtige Glocken, keine Lautsprecher wie in Guápiles in Costa Rica. Bemerkenswert ist auch, dass in dieser nicht übermässig grossen Stadt eine so riesige Kathedrale steht. Der Reiseführer erklärt das mit der Theorie, dass da einmal zwei Grundrisspläne eines Guatemaltekischen Architekten verwechselt worden sind und die Catedral von Leon eigentlich in Lima hätte gebaut werden sollen.
Plaza Central de Leon, vom Dach der Catedral.
Wie gesagt, Leon ist nicht riesengross und den Weg aus der Stadt raus zu finden, war nicht weiter kompliziert. Natürlich fehlten im weiteren Verlauf der Strecke dort die Wegweiser, wo wir sie gebraucht hätten, was aber kein Problem war, da immer jemand zum fragen da war. Zu unserer Überraschung gab es vor einem kleineren Dorf sogar ein paar hundert Meter Veloweg. Sooo rückständig kann Nicaragua also nicht sein. Kurz nach der ersten Znünipause hatte ich wieder einmal einen Platten. Langsam nervt's. Ein Erklärungsversuch ist, dass der inzwischen schon ziemlich abgewetzte und gelöcherte Hinterreifen von den allgegewärtigen Drahtstückli immer leichter durchstochen werden kann. Und einen neuen guten Reifen gibt es hier leider nicht in jeder Bicicletería. Und viel übler als ein Loch im Schlauch, als ich das Rad wieder montieren wollte, zog ich die Schraube zu fest an und zerbrach so die Achse. Ah, Shit!!! Was nun??? Zufälligerweise hatte aber Martina eine Ersatzachse dabei, die zwar minim länger war als meine, sonst aber passte. Uff, das war wieder einmal mehr Glück als Verstand.
Wir waren nun auf dem Weg nach Somoto, wo es einen spektakulären Cañon geben soll, d.h. wir fuhren nicht mehr der Küste entlang, sondern inland zwischen jeder Menge Vulkane durch. Einer von denen hatte sogar eine kleine Rauchwolke am Gipfel hängen, die anderen schienen erloschen. Am späteren Vormittag begann denn auch schon der Aufstieg in die Hügel. Landschaftlich war das bedeutend interessanter und abwechslungsreicher, blöderweise ist bergwärtsfahren eben auch viel anstrengender und daher schweisstreibender. Dass wir keinen grösseren Ort erreichen würden, war klar. Stellte sich die Frage, wo wir schlafen sollten/konnten. Im Käffli La India fragten wir nach und bekamen vom Besitzer der Dorfbar ein Zimmer angeboten. Dort drin stand ein Bett in eher nicht so gutem Zustand, sonst nichts. Nebenan gab es aber eine Latrine und eine Dusche war auch irgendwo vorhanden. Gut, ok, eine Wahl hatten wir ja eh nicht und unsere Ansprüche waren ja auch nicht hoch. Der Preis für das Zimmer hingegen verhältnismässig schon, speziell, als sich herausstellte, dass es kein Wasser gab. In der "Dusche" stand eine Tonne mit schmutzigem Wasser, man konnte sich also waschen, Trinkwasser war aber keins vorhanden. Das war nun nicht gerade die Schuld des Barbesitzers, denn das Wasser, das normalerweise manchmal aus dem Hahn kam, war sowieso nicht trinkbar, da arsenverseucht. Den umliegenden Mienen sei Dank. Alle Dorfbewohner mussten sich ihr Trinkwasser von einer etwa fünf Kilometer entfernten Quelle holen. Da es schon später am Nachmittag war, hatten wir dazu eigentlich weniger Lust, würden also teures Flaschenwasser kaufen müssen. Ein Lastwagenfahrer, der die Diskussion mitbekam, schenkte uns kurzerhand einen Kanister mit guten drei Litern Wasser und bot uns gleichzeitig an, am folgenden Tag in Esteli bei ihm zu Hause zu schlafen. Ob wir in Esteli Station machen würden, wussten wir noch nicht, waren aber froh um das Wasser und das Angebot war auch nett.
Den Vorteil eines kleinen Dorfes ohne Strom und damit Licht im Überfluss wurde bei Dunkelheit sofort klar. Da leuchteten Millionen und Milliarden von Sterne und zum ersten Mal überhaupt konnte ich die in Ruhe bewundern ohne dabei unmittelbar Erfrierungen zu riskieren. Das Skorpion, mein Lieblingssternbild, hatte ich schon fast ein Jahr lang nicht mehr gesehen und ich hatte auch nicht gewusst, dass es auf der Nordhalbkugel überhaupt sichtbar ist. Ist es aber, juhuu!
Die drei Liter Wasser, die wir erhalten hatten und ja teilen mussten, würden uns nicht durch den Tag bringen, aber in der nächsten grösseren Ortschaft konnten wir die Flaschen bei einer Tankstelle auffüllen, hatten diesbezüglich also keine weiteren Probleme. Nach den ersten paar flachen Kilometern ging es nun wieder ernsthaft bergauf, wie immer in ernsthafter Hitze. Zu unserem Glück war es aber meist bewölkt, so war das alles halbwegs erträglich. Wir hatten uns entschieden, nur bis Estelí zu fahren. Wir würden dort zwar schon um den Mittag rum ankommen, Martina brauchte aber einen Velomech und auch ich hoffte, dort allenfalls Erstz für meine Archse zu finden.
Auf dem Weg nach Esteli.
In Estelí assen wir auf der Plaza Zmittag, was wir eigentlich hätten vermeiden sollen. Dass diverse Leute mit einem reden möchten, weil man eben eine Kuriosität ist, ist ja noch ok. Aber so ein limonenverkaufender, stinkender Widerling setzte sich belästigend nahe an Martina auf unsere Bank und liess sich nicht mehr verscheuchen, weshalb eben wir bald den Platz räumten und eine Unterkunft suchten (den netten Herrn vom Vorabend fanden wir nicht). Wie es sich für die Jahreszeit gehörte, schüttete es am Nachmittag wieder wie aus Kübeln, so dass im Hotel im Gang einige ebendieser Kübel aufgestellt wurden, um das durch die Decke tropfende Wasser aufzufangen.
Vamos hasta mas Victorias. El Che ist auch hier beliebt.
Am Morgen war die Luft dann wieder trocken und angenehm kühl. Auch die Nacht war längst nicht mehr so heiss gewesen wie an der Küste. Estelí liegt auf knapp 850 müM, das Klima ist also recht angenehm. Weiter ging's, immer durch grüne Hügel, vorbei an etlichen Schildern, die auf Entwicklungshilfe aus Industrienationen hindeuten. Schon in ganz Nicaragua haben wir diese gesehen. Die Schweiz ist auf der Insel Ometepe aktiv, dann sahen wir die Wappen der EU, Luxemburg, Italien, Japan, USA, Kanda u.a. Dass gerade die USA Entwicklungshilfe leisten in einem Land, wo sie vor nicht allzulanger Zeit so viel Energie in die Zerstörung gesteckt hatten, fand ich etwas ironisch. Und es ist ja auch oft fraglich, was sich hinter dem Namen "Entwicklungshilfe" versteckt. Teure Kredite, die ein Land nur bekommt, wenn es das anbaut, was vom Geldgeber diktiert wird, sprich Exportprodukte, die Devisen bringen, im Land selber aber die Nahrungsmittel knapp werden lassen? Wir wissen es nicht und hatten auch nie den Eindruck, dass die Leute in Nicaragua nicht genug zu essen hätten (es gibt hier sehr viele extrem übergewichtige Leute).
Ich produziere, was der Markt verlangt.
Wir erreichten Somoto am frühen Nachmittag, fanden bald ein günstiges Hostal und später einen Guía für eine Tour durch die Estrechuras de Namancambre, die seit ihrer touristischen Erschliessung im Jahr 2003 Cañon de Somoto heissen. Diese Schlucht ist etwa fünf Kilometer lang und an ihrer schmalsten Stelle gerade mal zwei Meter breit. Die Idee zu diesem Ausflug hatte ich aus Christians Blog geklaut, und sollte sich lohnen. Die Tour war halb Wanderung, halb Schwimmen bzw. sich treiben lassen und die Landschaft war wirklich genial schön.
Osma, unser Führer, holte uns am Morgen um 8 Uhr beim Hostal ab, per Taxi ging's zum Ausgangspunkt des Trips. Unterwegs holte er Schwimmwesten für Martina und mich ab und eine Plastikbox für die Rucksäcke. Erst gingen wir dann eine Strecke dem Flussufer entlang bis zu einer Stelle, wo das Wasser tief genug zum schwimmen war. Es war auch recht kalt, weshalb es durchaus in Ordnung war, zwischendrin rauszusteigen und zu Fuss zu gehen. Stromschnellen oder flache Stellen konnten wir ohnehin nicht "durchtreiben". Die Vegetation um den Cañon wirkte überweigend unberührt, an den steilen Wänden wäre eine Bewirtschaftung sowieso nicht möglich.
Im Cañon de Somoto mit Gía Osma.
Weiter unten traf sich unser Fluss Río Tapacalí mit den bedeutend wärmeren Río Comalí, so wurde die Sache auch im Wasser gemütlicher. Für Osma war die Schlucht nicht nur sein Arbeitsort, er war dort im unteren Teil geboren und aufgewachsen. Entsprechend kannte er nicht nur alle Passagen auswendig, er fand auch immer mal wieder Beeren oder Früchte am Boden oder holte sie für uns in halsbrecherischen Aktionen von Bäumen. Auch wies er uns auf eine Spinne an der Wand hin, die einen Schmetterling gefangen hatte. Das arme Flatterviech lebte zwar noch, hatte aber wohl keine Chance, aus dieser Umklammerung je wieder loszukommen.
Schmetterlinge leben gefährlich.
Aktion war angesagt, als wir an eine Stelle kamen, wo wir fünf Meter in die Tiefe springen mussten. Wir verpackten gerade unsere Kameras wieder im Rucksack, als der Deckel der Kiste über den abschüssigen Fels davonrutschte und den Wasserfall hinunterfiel. So blöd, den brauchten wir noch! Als die Wirbel ihn freigaben, sprang ich also hinterher und fing ihn wieder ein. Gut, ich hatte nun zwar den Deckel wieder, befand mich aber auch unten und natürlich etliche Meter von dem Seil entfernt, das Osma runterliess um den Deckel wieder raufzuholen. Mit Deckel in der Hand gegen die Strömung anzuschwimmen war nicht gerade mein Ding. Dem Fels nachhangeln funktionierte schliesslich. Dann erwischte ich das Seil und fand sogar eine Ausbuchtung in der Wand, wo ich in Ruhe und ohne durch die Strömung geärgert zu werden den Deckel anbinden konnte. Bald darauf kam die Kiste herunter, dann sprangen Martina und Osma nach. Cool, die das hatte richtig Spass gemacht.
Wir konnten uns wieder treiben lassen, dann und wann mussten wir einige Meter gehen, dann konnten wir wieder ins Wasser. An einigen Orten gab es fiese Gegenströmungen, aus denen man kaum mehr rauskam, manchmal mussten wir ganz flach ins Wasser legen um über untiefe Stellen hinwegzugleiten. Auf den letzten paar huntert Meter war öfter schwimmen angesagt, da es kaum mehr Strömung gab. Als Abschluss stand dann auch noch einmal eine Wanderung auf dem Programm um wieder zur Strasse zurückzukommen. Etwa um 14 Uhr waren wir zurück beim Hostal, überraschend kaputt. War wohl anstrengender gewesen als wir unterwegs bemerkt hatten. Wir hatten in Somoto im Hostal Oriental gewohnt, dort wurde auch der Kontakt mit Osma hergestellt, den wir mit gutem Gewissen weiterempfehlen können.
Yep, das war gemütlich.
Da im Dorf gerade Chilbi war, machten wir noch einen Spaziertang an die Plaza, wo wir Abendessen und feine Desserts fanden. Was uns langsam nervte, war das häufige Angebetteltwerden, das in ganz Nicaragua mehr oder weniger aufdringlich praktiziert wird. Darum sind wir auch früher als geplant wieder ins Hostal zurück um unsere V. Píos (Dessert aus Vanillecreme und Kuchenstücken) in Ruhe fertig zu essen.
Herzige Chilbi in Somoto.
Am nächsten Morgen blieben noch rund 20 km in Nicaragua, dann hatten wir auch schon die Grenze zu Honduras erreicht. In Nicaragua kostete sogar die Ausreise USD 2 pro Person, was in Kombination mit der grössten Arschgeige, die uns bis jetzt an einer Grenze begegnet war, einen nicht so guten Eindruck hinterliess. Keine Ahnung, warum dieser Betrag unbedingt in Dólares bezahlt werden musste, die wir vor Ort zu einen miserablen Kurs wechseln mussten. Insgesamt kosten die Grenzprozedere in Nicaragua also USD 14, 2 je für die Ein- und Ausreise und 10 für die "Touristenkarte".
Hier noch eine Bemerkung zu einer extrem nevigen Eigenschaft der Nicas, bzw. NicOs, die geeignet ist, Frauen etwas die Freude am Land zu trüben und die Sympathie für die Einheimischen zu mindern. Nicaraguaner können sich primitive Sprüche schlicht nicht verkneifen, das "hello baby", das wir schon seit Panama ab und zu hören, klingt hier x-mal anzüglicher und wird oft durch "I love you" und "mi amor" ergänzt. Dieser Tonfall hat mir jedesmal die Haare zu Berge stehen lassen (oder hätte es, wenn ich keinen Helm getragen hätte) und wenn ich statt auf einem Velo in einem Laster gesessen hätte, hätte ich die Typen als Antwort wohl überfahren.
Eine andere, weit amüsantere Folge des höheren Englischniveaus (im Vergleich zu Südamerika) hier sind die Grüsse der Leute auf der Strasse. Bis Ecuador hiess es "hola" oder "buenas días", ab Kolumbien sagt man "adios", auch als Begrüssung. In Mittelamerika spricht man nun Englisch und will das die Gringas auch wissen lassen und die offizielle Übersetzung von adios ist nunmal goodbye oder byebye. So rufen uns seit Panama die Leute vom Kindergärtler bis zu den Grosseltern "Goodbye!" hinterher, ein Rennvelofahrer sogar "Goodbye Americans". Herzig, zeigt aber, dass der geographische Horizont auch hier nicht viel weiter reicht als in Südamerika. Und "Gringo" steht hier eigentlich klar für Nordamerikaner, dass wir immer noch ab und zu als Gringas bezeichnet werden, zeigt, dass es kaum vorstellbar ist, dass jemand kein Ami ist.
Honduras
Die tatsächliche Grenze zu Honduras war nicht markiert, es gab auch kein Schild, das einen im neuen Land begrüsst hätte. Auch die Migración hätten wir vermutlich übersehen, wenn der Uniformierte dort auf der Strasse uns nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Auch hier wurden wir abgezockt, USD 3 pro Person mussten wir blechen. Dabei blieb es aber, das Ganze ging schnell und schon wurden wir wieder in die freie Wildbahn entlassen. Unterschiede zu Nicaragua? Erst mal keine, ausser dass hier auch eine Katze so gelassen auf der Strasse sass, wie es sonst meist nur die Hunde tun. Später fanden wir, dass die Landschaft etwas rauher und felsiger wurde und dass die Männer anständiger waren. Einmal wurde ich sogar mit "buenas días Señorita" begrüsst. Wow. Es ging weiterhin auf und ab und neuerdings setzten wir uns während den Pausen sogar in die Sonne, da ein kalter Wind blies. Wir waren überrascht, an einer Badi vorbeizufahren, die dazu noch recht modern aussah. Der Wind hätte aber bestimmt jeden Badespass vermiest und wir kamen nicht in Versuchung, uns die Sache etwas genauer anzuschauen.
Hübsche Badi in Honduras...
...und hässliches "Crematorio Municipal".
An der örtlichen "Müllverbrennungsanlage" fuhren wir schnell vorbei und hatten bald darauf endlich die letzte Steigung geschafft. Nun kippte die Strasse vor uns weg und es ging fetzig rund 15 km runter nach Choluteca. Die Badi, an der wir weiter unten vorbeiflitzten, hätte schon die besseren Argumente gehabt, es wurde je länger je heisser. Das erste Hotel, das wir in der Stadt anschauten, hatte einen Pool und kostete darum $ 30, was uns zuviel war. Das nächste war nicht viel billiger. Sollte also auch Honduras kein günstiges Reiseland sein? So fragten wir eben bei den Bomberos nach und nach einigem Verhandeln bekamen wir ein kleines Büro zugewiesen, wo wir unsere Matten ausbreiten durften. Das war richtig interessant dort, in Choluteca wird der Feuerwehr-Nachwuchs schon in der Primarschule rekrutiert, geschult und trainiert und samstags schwirrt darum die ganze Station nur so von Kindern. Ausserdem wohnte dort auch ein drei Monate alter Labradorwelpen, der zum Rettungshund ausgebildet werden soll.
Die Bomberos waren respektvoll wie immer, als wir aber aus der Stadt rausfuhren, schwand der gute Eindruck, den wir tags zuvor von den Einwohnern Honduras' gewonnen hatten. Choluteca ist aber nicht gross, so hatten wir die besoffenen Banden bald hinter uns gelassen. Die Hauptstrasse nach El Salvador war stark befahren und es war, wie immer an der Costa, heiss. Bis zur Grenze passierte dann aber herzlich wenig und wir hatten keine Gelegenheit, all die Lempiras auszugeben, die wir bei der Einreise eingewechselt hatten. In El Salvador wird mit US Dollars bezahlt. Bei der Migración stand dann "el tramite es personal y gratis" geschrieben, das heisst, man muss den Pass persönlich vorzeigen und nichts und niemanden dafür bezahlen. Der Ausreisestempel kostete tatsächlich nichts und eine Brücke später waren wir schon in El Salvador.
Zweiter Grenzübertritt in zwei Tagen.
El Salvador
Wenn man an El Salvador denkt, kommen vermutlich Gedanken wie "Entwicklungsland", "hohe Kriminalität" , "Bürokratie" u.ä. auf. Eine schnellere und problemlosere Einreise hätten wir uns aber nicht vorstellen können. Keine Sekunde anstehen, keinen Stempel (alles computerisiert) und wir waren im Land. Ich hätte zwar gerne einen Stempel im Pass, so als Andenken, aber moderne Verfahren sollte man nicht kritisieren. Unsere erste Amtshandlung in El Salvador bestand im Kauf zweier Flaschen kalten Gatorades. Daraus sollte sich eine neue Gewohnheit entwickeln, die in den jeweiligen Momenten lebensrettende Züge annahm. Blöderweise scheint nähmlich die Durstwahrnehmungs-Stelle in meinem Körper lauwarmes Wasser kaum wahrzunehmen oder mitzurechnen, weshalb ich fast konstat Durst habe und nicht dagegen tun kann. Mit kaltem Gatorade schon.
Es war noch früh am Tag und wir fuhren weiter. Es war auch mehrheitlich platt und die Männer mehrheitlich ok. Hoffentlich war das nicht nur der 1. Tag-Effekt wie in Honduras. Nun, Salvador sollte einen noch viel übertriebeneren 1. Tag-Effekt haben. Wir hatten gerade 100 km geschafft und hofften, dass uns nur noch wenige Kilometer von der Ortschaft Santa Rosa de Lima trennten, als ein Pick-up am Strassenrand anhielt, zwei Männer ausstiegen und uns je eine Flasche Wasser und Gatorade hinstreckten. Wir waren wieder einmal platt. Ich will ja keine Werbung für Gatorade machen, aber das Getränk kam eben wirklich goldrichtig. Die beiden Señores waren so beeindruckt von unserem Tun, dass sie uns kurzerhand auch zum Abendessen einluden. Sie würden beim Ortseingang auf uns warten und uns ein günstiges Hotel zeigen.
Das war dann aber wieder einmal relativ. Oder die Leute glauben, dass Gringas per se viel Geld hätten bzw. für Hotels ausgeben möchten. Aber USD 30 war uns zuviel und das sagten wir auch. Unser neue Freund handelte den Preis kurzerhand auf $ 20 runter und bezahlte gleich selbst. Das anzunehmen wurde langsam schwierig, aber er wollte das unbedingt so haben und hatte offensichtlich auch die Mittel dazu. Eine Stunde später wurden wir wieder abgeholt und auf ging's zum Burger King:-)). Aus "Sicherheitsgründen" hatten wir uns zuvor eine kleine Story zurechtgelegt von unseren beiden Ehemännern, zwei Informatikern mit eigener Bude und darum viel Freiheit, die uns ab und zu besuchen kommen, das nächste Mal in Mexiko. So weit ins Detail mussten wir dann aber nicht gehen, der Hinweis auf's Verheiratetsein reichte vollkommen aus, um den nötigen Abstand zu sichern.
Um nicht nur den Hauptstrassen zu folgen hatten wir eine Route durch die Hügel gewählt, via San Franzisco Gotera. Bis Gotera war die Strasse noch breit und viel befahren, danach wurde sie schmal und brutal. Die Landschaft war zwar schön, die Tiefbauarchitekten müssen jedoch in Panama ausgebildet worden sein, d.h. die Strassen sind absurd steil. Wir hatten die ganze Zeit einen schönen Vulkan vor Augen, von denen es in Salvador ohnehin Unmengen gibt (anscheinend 61). Die schienen zwar alle erloschen, die unmittelbare Gefahr des Verglühens war trotzdem immens hoch. Mensch, es war ganz einfach viel zu heiss um sich an solchen Steigungen abzumühen (sorry, ich weiss, das hat keinen Neuheitswert mehr). Im kleinen Dorf Yamabal gab es dann zum Glück gekühltes Gatorade, was uns knapp das Leben rettete. An jenem Tag hatten wir die Distanzen bzw. die sich dahinter verbergende Topographie eh schlicht unterschätzt und im letzten Dorf bevor wir die Panamericana erreichten auch nicht umdisponiert. Wir wussten nicht einmal, ob El Triunfo, wo wir hinwollten, Unterkünfte hatte, und die Angben auf der Karte erwiesen sich, wie schon am Morgen, als falsch.
El Salvador ist voller Vulkane.
Darum, als wir an einer Abzweigung das Schild eines Auto-Hotels sahen, zwiegen wir eben auch ab. Die Distanz zum Hotel war zwar länger als erwartet, eine Wahl hatten wir aber nicht. Und dass "Auto-Hotel" heisst, dass die Zimmer auch stundenweise vermietet werden, interessierte uns im Moment auch weniger, wir waren nach den fast 7.5 Stunden im Sattel viel zu kaputt. Eine grosse Bulldogge kündigte unsere Ankunft an und ein netter Señor mit fetter Knarre bediente uns. $ 12 pro Nacht war ein ausgesprochen günstiger Preis für ein anständiges Zimmer, sogar mit Sofa. Einziger Nachteil: nur ein Bett, aber das war ja klar gewesen. Unterhaltsames Detail: an der Tür gab es ein Kästchen, wo Getränkebestellungen übergeben werden. Das geht so: Die Lieferung (per Telefon durchgegeben) wird reingestellt, Türchen von aussen geschlossen und kurz an der Tür geklopft. So kann die ja wahrscheinlich nackte Person drinnen ihrerseits ihr Türchen öffen und die Sachen in Empfang nehmen. Wir bestellten gleich zweimal Gatorade, dass es eher teuer war, war gerade nicht entscheidend. Leider gab es kein Restaurant in der Nähe, aber für etwas schleppe ich schliesslich seit Riobamba (Ecuador) eine Gaskartusche mit.
Am folgenden Morgen wollten wir die Berge überqueren und stellten uns auf einen langen, steilen Aufstieg ein. Nach relativ gemütlichen 5 km mit easy Steigung waren wir oben, etwa 15 km coole Abfahrt später wieder unten. Ok, warum nicht immer so? Nun fanden wir auch heraus, auf welcher Strasse wir uns befanden. Auf der Karte war sie gestrichelt als Kiesstrasse vermerkt, in Realität war es eine perfekt ausgebaute Asphaltstrasse. In der Stadt Usulután stockten wir unsere Vorräte (vor allem an Guetslis) auf und fuhren weiter. Schon seit tagen befanden wir uns in Wassermelonen-Land, die auf Castellano Sandías heissen und bergenweise am Strassenrand verkauft werden. Die sind hier nicht rund, sondern langgezogen wie Würste, schmecken aber nicht nach sehr viel.
Hier ist Sandía-Land.
Als es auf den Mittag zuging, kamen wir an einer Pupusería vorbei und da wir eh bald hungrig geworden wären, stoppten wir. Pupusas, so quasi das salvadoresische Nationalgericht, sind kleine Teigtäschchen, die aussehen wie kleine Tortillas, haben aber Füllung, meistens Käse und Bohnen, manchmal auch Fleisch. Die hier waren frisch und megafein und so bestellten wir eine nach der anderen. Die Señora war auch sehr nett und ihre fünfjährige Enkelin amüsante Unterhaltung. Sie war sehr an dem Drachen interessiert, der auf meiner Vordertasche mitreitet und seit einer Weile sitzt auf der anderen Seite noch eine Schlange, vor der sich die Kleine ernsthaft fürchtete. Irgendein Problem gab es dann noch mit Martians Schlange und glaub' auch mit ihren blauen Augen, so richtig verstanden haben wir nicht, warum Eveline plötzlich weinte und sich bei ihrer Grossmutter versteckte. Von der bekamen wir noch ein knallpinkes, sehr süsses Getränk und eine Tortilla gesponsert, nach der wir so voll waren, dass wir kaum mehr Velo fahren konnten. Inzwischen hatte auch die Kleine gemerkt, dass Drachen und Schlange "mentira", also nicht echt waren.
So fies sieht die doch gar nicht aus, oder?
Die beiden letzten Tage waren hart gewesen und wir hatten uns mit Zacatecoluca (versucht mal, das schnell auszusprechen) kein übermässig ehrgeiziges Tagesziel gesetzt. Dennoch fehlten noch knappe 12 km bis dorthin, als wir bei einem Motel spontan beschlossen, dem Tag ein Ende zu setzen. Motels sind hier wie Auto-Hotels Stundenhotels, was uns aber nicht mehr juckte. Der Preis hier war der gleiche wie das letzte Mal, der Hund war ein Dobermann. Wieso solche Etablissements von grossen Hunden bewacht werden müssen, ist mir ein Rätsel. Immerhin war die Señora nicht bewaffnet. Zu tun gibt es an diesen Orten naturgemäss nicht viel, was genau das war, was wir suchten. Wir machten Siesta und hatten nichts, das uns davon ablenken konnte.
Der nächste Tag wurde nicht ereignisreicher. Es war platt, zwischendrin einige flache Wellen, nicht mal übertrieben heiss (relativ natürlich). Die Strände hier sollen Surfstrände sein, d.h. es müsste hohe Wellen zu bewundern geben. Darum stoppten wir nochmals kurz nach Mittag in El Majahual, Siesta machen hatte sich ja bewährt. Nun hatten die Hotels an den Stränden äusserst komische Gewohnheiten. Die Zimmer wurden pro Tag und pro Nacht vermietet. Ein halber Tag gilt natürlich als ganzer Tag und so hätten wir doppelt bezahlen müssen. Im Santa Fé wurde uns der Vorschlag gemacht, $ 2 Tagesaufenthalt pro Person zu bezahlen und um 17 Uhr den Zimmerschlüssel zu erhalten. Weiss nicht mehr, warum wir genau darauf eingegangen waren, wenn wir gewusst hätten, dass die Hängematten auch noch kosten, hätten wir das vielleicht nicht gemacht. Die Betten waren dann zwar bequem, vor dem Bad hatte es aber nicht einmal mehr einen Vorhang, was uns etwas schräg vorkam obwohl wir längst keine Türen mehr erwarten.
Nicht einmal einen Vorhang vor dem Klo.
Nach einer gemütlichen Hängematten-Siesta gingen wir am späteren Nachmittag an den Strand spazieren. Den Teil des Dorfes, den wir auf dem Weg dorthin sahen, war seltsam. Es sah aus wie eine bewohnte Geisterstadt. Ich weiss, das ist ein Widerspruch, aber es war wirklich so. Am Strand gab es zahlreiche grosse Restaurants, aber alle waren leer, bestenfalls sassen ein paar Einheimische herum, als seien ihnen die Gäste davongerannt. Auch im Rest der Ortschaft trafen wir erstaunlich wenig Leute auf der Strasse, trotzdem waren einige Touri-Läden offen. Am Strand selber war teilweise mehr los. Unterhaltsam waren da kleine Schnäggli, die unmittelbar unter der Oberfläche durch den Sand pflügen und witzige Spuren hinterlassen. Einige davon kamen auch raus. Ich versuchte, eins zu fangen, was aber nicht so einfach war. Sie bewegen sich zwar nicht schnell, sind aber von einer glitschigen Schicht umhüllt, so dass man sie kaum auflesen kann.
Kleine Schnäggli am Strand.
Ausser kleinen Wassertierchen waren natürlich auch Menschen am und im Wasser. Einerseits rannte eine grössere Kinderschar quitschend und kreischend herum, andererseits befand sich auch das örtliche Fussballfeld der "Grossen" hier und da die frühen Abendstunden kurz vor Sonnenuntergang wohl die einzige Zeit ist, in der normale Leute Sport betreiben (abgesehen vielleicht von den frühen Morgenstunden), war hier voll Aktion angesagt. Sah cool aus, die Hälfte der Spieler von oben bis unten mit Sand bedeckt. Im Wasser war aber auch für Unterhaltung gesorgt, wobei vom Ufer aus zuschauen gesünder sein könnte, als sich mit diesen Wellen zu messen. Die höchsten waren locker drei bis vier Meter hoch, Martina meinte, das könnten sogar fünf Meter gewesen sein.
Fussballspiel am Strand.
Mann sieht's hier nicht, aber die Welle war verdammt hoch.
5 Uhr am nächsten Morgen kam bald, der Wecker piepte und wir schälten uns aus den Decken. Hier hatte es tatsächlich echte Bettecken gegeben und die hatten wir auch gebraucht, da die Klimaanlage für genügend Kälte gesorgt hatte. Eigentlich krank, nicht? Uns war gesagt worden, dass ein Teil dieser Küste nicht Strand sondern hohe Klippen waren und so waren wir auch nicht überrascht, als es bald bergauf ging. Auch auf die Tunnels waren wir vorbereitet und dass die Einheimischen dort drin Wasser holen, hatte wir auch schon gehört gehabt. In dieser Region haben die meisten Haushalte kein fliessendes Wasser, so sieht man dauernd Leute mit einer Art Plastikamphoren Wasser transportieren. Wer einen hat, lässt sie vom Esel tragen, Männer arrangieren sich oft mit ihren Velos, Frauen tragen die Gefässe, wie sowieso alle Lasten, auf dem Kopf. Auch mit Holzbündeln sieht man viele Leute, anscheinend gibt es hier nicht einmal Gas zum kochen.
Entlang der steilen Küste gab es einige Miradores, von denen aus man geniale Aussicht auf das Geschehen im Meer unten hatte. Wir waren von diesen Wellen so richtig fasziniert und beschlossen, beim ersten offenen Restaurant mit Meeresblick einen Kaffee zu trinken. Um 7 Uhr fanden wir auch so eines und als wir uns setzten, bekamen wir gleich eine Speisekarte in die Hand gedrückt. Die Frühstücks-Auswahl weckte gleich unsere Aufmerksamkeit und wir konnten es nicht lassen, je ein Desayuno Tipico, einen ortstypischen Zmorge zu bestellen. Und das, obwohl die Preise klar auf Gringos zugeschnitten waren, wir vor etwa eineinhalb Stunden gefrühstückt hatten und gerade mal seit einer Stunde unterwegs gewesen waren. Aber für Futter waren wir immer empfänglich und hier war es auch gleich ein guter Vorwand, die Wellen noch länger zu beobachten.
Wellen sind schon faszinierend.
Eineinhalb Stunden später waren uns die Gründe zum weiter Sitzenbleiben ausgegangen und wir schwangen uns wieder auf die Räder. Mit übervollem Bauch und nun logischerweise auch höheren Temperaturen war das zwar nicht einfacher als zuvor, aber weiterfahren ist schliesslich sozusagen das Gesetz der Reise. Und es ging weiterhin fröhlich auf und ab, ab und zu durch ein Tunnel bis wir nach etlichen Kilometern und Stunden wieder flache Gefielde erreicht hatten. Dort warteten die Mücken nur darauf, bis wir eine Pause einlegten, und stürzten sich sogleich in ganzen Armadas auf uns. Nun, für solche Situationen waren wir vorbereitet und wir sprayten uns sogleich mit Repelente ein. Das ist zweifellos wirksam, das Problem dabei ist, dass das Zeug nicht nur Mosies fernhält sondern bei Menschen akute Atemnot auslöst. D.h. man sprayt z.B. ein Bein ein, juckt sogleich zwei Meter weiter, sprayt weitere Körperteile ein und sucht dann hustend und keuchend das Weite und hofft auf frische Luft.
Anlässlich einer solchen Pause haben wir einmal eine Kalorienrechnung gemacht. Gemäss Angabe auf dem Sack hat eine Scheibe Toastbrot 86 kcal. Seit einiger Zeit schmieren wir Bohnenpaste auf's Brot, dazu kommt, wenn wir haben, Tomate und Zwiebeln. Ein Päckli Bohnenpaste enthält 227 gr, was 314 kcal entspricht und durchschnittlich für zwei Zmittage á je zwei Sandwiches pro Person reicht. Somit isst jede pro Mahlzeit ein Viertel, also etwa 57 gr, gleich 79 kcal, was bei vier Stück Brot ungefähr 423 kcal ergibt, Tomaten und Zwiebel mangels Angaben nicht mitgerechnet. Die sind aber wohl auch vernachlässigbar. Ok, 423 kcal pro Mittagessen sollten uns bei fünf bis sechs Stunden Velo fahren ja eigentlich nicht verfetten lassen, würde man meinen. Nun kommen dazu aber noch mindestens ein bis zwei Päckli Guetsli oder Cracker, was pro Päckli nochmals um die 100-200 kcal sind, ich rechne jetzt hier mal mit durchschnittlichen 300 kcal. Wir machen im Laufe eines Vormittags zweimal Guetslipause, wo wir jeweils locker ein Päckli Cräcker und zwei Päckli Guetslis essen, nochmals etwa 400 kcal pro Pause. Am Nachmittag wird normalerweise weniger gesnäckt, vor und nach dem Abendessen liegen aber oft nochmals einige Süssigkeiten drin, die geschätzte 300 kcal beitragen. Und je nach Hitze und Erschöpfungszustand kann durchschnittlich ein Gatorade pro Tag dazugerechnet werden, was 25 kcal pro dl enthält und bei Flaschen á 591 ml (in El Salvador) etwa 148 kcal entspricht. Wenn Excel richtig rechnet, kommt das auf insgesamt 1971 kcal, dazu kommen nun aber noch Frühstück und Abendessen. Mein Zmorge besteht aus Granola mit etwas Sojamilchpulver und Wasser, hier eine grobe Schätzung, wieviel das jeweils etwa sein könnte: ein 454 g-Pack Granola reicht etwa sechs Tage und enthält insgesamt 2'160 kcal, was 360 kcal pro Portion ergibt. Nun kommen da noch ein paar Cornflakes und die Sojamilch rein, sagen wir also 500 kcal. Znacht bestand längere Zeit aus Reis, Bohnen und Ei, hier ist das aber nicht mehr so üblich, bzw. wir haben auch ab und zu wieder selber gekocht, dann jeweils Pasta. Optimal sind hier etwa 300 gr, d.h. 150 gr pro Person, gibt ungefähr 528 kcal, was ein Total von 2999 kcal ergibt, plus minus tägliche Schwankungen. Bei unserer körperlichen Betätigung ist das vermutlich noch immer kein Problem, blöd nur, wenn wir dann, wie hier in Antigua, einige Tage Pause machen und dabei all die Pastelerías und Reposterías eben gerade nicht ausser Acht lassen...;-)
Ein zweites Frühstück bringt die Rechung
natürlich durcheinander.
Nun gut, an jenem Nachmittag haben wir keine Ortschaft mehr erreicht. Acajutla wäre zwar keine fünf Kilometer weit weg gewesen, hätte aber bedeutet, tags darauf denselben Weg zurückzufahren und sowas muss mit allen Mitteln verhindert werden. Cara Sucia, der Ausgangspunkt zum nächsten Ausflug war zu weit entfernt, also suchten wir entlang der Strasse einen Schlafplatz. Die Auto-Hotels hatten sich als gute Adresse erwiesen und waren in der Nähe von Städten meist problemlos zu finden. Auch hier, ausser dass dieses teurer war als die Vorhergehenden, aber auch recht edel war. In den USD 17 waren auch zwei Getränke (leider kein Gatorade) inbegriffen und es hätte sogar einen (teuren) Mahlzeitendienst gegeben. Entsprechend war die Klappe hier auch recht gross, so dass auch Teller reingepasst hätten. In unserem Fall werden hier Leintücher, Fernbedienung, Rückgeld und Colas überreicht.
Nobelklappe.
Bis Cara Sucia fehlten nur noch etwa 35 km und es war flach. So kamen wir dort schon um 8 Uhr an und suchten erst mal Information zum Parque Nacional El Impossible und natürlich eine Unterkunft, wo wir die Velos in Sicherheit zurücklassen konnten. Der Uniformierte, den wir nach einem Hotel fragte, meinte, es gäbe in der ganzen Stadt nichts, der Typ, bei dem er seinerseits nachfragte, teilte diese Meinung. Trotzdem fanden wir nur ein paar hundert Meter weiter ein Hotel, wo wir uns erst mal auf dem Parkplatz installierten. Martina ging sich bei der Alcaldía betr. Park informieren, ich wechselte unterdessen den Schlauch, der seit einigen Kilometern langsam aber sicher Luft verloren hatte und den ich unterwegs nur rasch aufgepumpt hatte.
Die Sache war dann etwas kompliziert. Um dort hochzukommen, konnte man entweder einen öffentlichen Bus bis San Miguelito, dem letzten Dorf, nehmen und von dort aus zu Fuss gehen, oder einem Señor $ 20 bezahlen für's hochbringen, auf uns warten und uns wieder runterfahren. Dazu kommt je $ 6 Parkeintritt und Kosten für einen Guía. Da wir in El Salvador noch nichts wirklich angeschaut hatten, entschieden wir uns schliesslich dafür. Während den ersten paar Kilometern auf jener Strasse meinten wir noch, dass wir das mit den Velos auch geschafft hätten. Später änderten wir unsere Meinung als sich der alte Pick-up auf steilen Abschnitten, die mit grossen Steinen ausgelegt waren, abquälte. Nein, das hätte mindestens zwei Tage gedauert, die Räder da raufzuschieben. Auch runterzu"fahren" wäre absolut kein Spass gewesen.
Im Parque hatten wir dann die Wahl zwischen zwei Wanderungen á je ca. 2.5 Stunden. Es hätte noch eine 5-stündige Tour gegeben, da hätte man aber viel früher am Morgen starten müssen. Dummerweise war kurz vor uns eine riesige Gruppe Schüler losgelatscht, die uns nun bald mit lautem Gekreische den Weg versperrten. Einige der Tussis trugen Ballerinas, die ihnen auf dem steinigen Erdweg das Leben bestimmt nicht leichter machten. Unsere Führerin erzählte uns ein klein wenig über den Park, nannte einige Tierarten, die dort lebten, insgesamt hiel sich die Information aber in engen Grenzen. Irgendwann schafften wir es, die laute Teenieherde zu überholen, was sich als äusserst praktisch erweisen sollte. Das Ziel des Trips war ein Fluss, der mit einigen hübschen Pools eine natürliche Badi bot. Und umziehen gestaltete sich viel einfacher, nur mit einer weiteren Frau anwesend. Das Wasser war aber überraschend kühl und da es dazu noch bewölkt und nicht gerade heiss war, war der Badespass ein eher kurzer. Wir hatten uns denn auch gerade wieder angezogen, als die ersten Jungs der Gruppe auftauchten.
Natürliche Badi.
Eine Begleiterin des Trupps, vermutlich ja eine Lehrerin, bot uns eine Tasse Kaffee an, was wieder einmal wirklich nett war. Ich mochte die Salvadoreños und ganz besonders die (meist recht beleibten) SalvadoreñAs. Echt liebe Leute. Kurz nachdem wir uns auf den Rückweg gemacht hatten, begann es zu regnen. Immer frei nach dem Motto: wie lange dauert es, die Welt zu ersäufen!?! Der Rückweg, nun überwiegend bergauf, dauerte rund eine Stunde und eine Stunde in diesem Regen bedeutet, bis auf's Knochenmark durchnässt zu sein. Der Regenschutz meines Rucksackes verhinderte zwar Schlimmeres (in Bezug auf meine Kamera), trotzdem blieb auch dort drin keine Faser trocken. Ich liess es mir zwar nicht nehmen, vom Mirador einen Blick ins Tal runter zu werfen, dahin, wo wir gerade hergekommen waren, ausser Wolken war da aber rein gar nichts zu sehen. Überraschenderweise war der Weg nicht wirklich rutschig geworden, war aber ganz einfach zum Sturzbach konvertiert. Viel Spass dann, Chicas in Ballerinas!
Zurück im Hotel verzichteten wir auf nochmaliges Duschen und hofften vergeblich, dass unsere Sachen bis zum Morgen halbwegs trocknen würden. Wir starteten aber bei himmlischer Trockenheit und hatten die letzten 12 km in El Salvador im Nu absolviert. Zum Glück, denn nur Minuten nachdem wir uns in die Ausreiseschlange gestellt hatten, kamen einige Busse an und die Wartezeiten erhöhten sich drastisch. Abgesehen davon war die Ausreise aus Salvador so problemlos wie die Einreise und kostete wiederum keinen Cent. Ein paar Meter und zwei Grenzflüsse oder -tümpel weiter befanden wir uns in Guatemala.
Willkommen in Guatemala.
Eine Abschiedsfeststellung zu El Salvador. Ich war wegen der oft gehörten hohen Kriminalität im Land vorgängig etwas besorgt gewesen, was sich aber als absolut unbegründet herausgestellt hat. Die Salvadoreños sind offen und freundlich, ja grosszügig Ausländern gegenüber und sahen uns nicht als reiche Gringas, die es abzuzocken oder auszurauben gilt, sondern als Besucherinnen in ihrem Land, die respektvoll und anständig behandelt werden müssen. Einzig in Cara Sucia waren die (z.T. besoffenen) Männer aufdringlich und recht lästig gewesen, sonst hatten wir keine Probleme. Wir haben aber auch keine grössere Stadt besucht und in Usulután haben wir uns nur eine minimale Zeit aufgehalten. Was im Vergleich zu anderen Ländern aufgefallen ist, ware die vielen schwer bewaffneten Sicherheitsleute. Dass Supermercados ihre eigene Seguridad haben, war nichts Neues, aber selbst die Bäckerei in Cara Sucia hatte ihren Beschützer und die tragen dann nicht einfach einen Revolver oder eine Pistole wie anderswo, sondern ein fettes Gewehr auf dem Rücken oder, wenn es um Geldtransporter oder sonstige Lastwagen geht, natürlich einsatzbereit in den Händen. Alle diese Waffen sind bestimmt nicht ohne Grund oder aus Jux da, auf uns hatte es aber niemand abgesehen.
Guatemala
Auch hier "El tramite es personal y gratis", sehr gut. Warten mussten wir auch nicht, wir bekamen einen Stempel (jupiiee) und eine Aufenthaltszeit von 70 Tagen. Das ist eine komische Zahl, ist aber das, was von den drei Monaten Aufenthalt übrig ist, den man für Nicaragua, Honduras, El Salvador und Guatemala zusammen erhält. Die an der Grenze rumstehenden Polizisten und Soldaten winkten uns freundlich zu: der Empfang in Guatemala war äusserst sympatisch und verhiess Gutes. Das Land war erst etwas hügelig, später mal einige Kilometer platt, dann wieder wellig. Irgendwo kurz nach der Grenze kündete ein Schild einen "Puesto de Asistencia al Turista" an, dahinter stand ein ausgemustertes Polizeiauto, das wohl nie mehr nirgendwohin fahren wird. Bald darauf wurden die "Hermanos Salvadoreños" willkommengeheissen, offensichtlich stellen sie einen grossen Teil der Turisten in der Region.
See oder Wiese?
Eine Baustelle zwang uns wie den Rest des Verkehrs zu einem staubig holprigen Umweg von einigen Kilometern, was uns einen Vorgeschmack darauf gab, was "camino de tierra" in Guatemala heisst. Kurz vor Mittag stoppten wir mittelmässig überhitzt für das obligate Gatorade und setzten uns gleich darauf eine Tür weiter hin und genossen je eine riesige Tortilla mit irgend einer Huhn-Gemüse-Füllung. Nicht supergünstig, aber doch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und megafein. Da Regen drohte und wir nicht wussten, ob wir im nächsten Dorf eine Unterkunft finden würden, änderten wir kurzfristig die geplante Route und bogen zur Stadt Chiquimulilla ab und mussten gleich nochmals kräftig bergauf strampeln. Dafür fanden wir das günstigste Hotel seit sehr langer Zeit. Für ein Zweierzimmer mit eigenem Bad bezahlten wir 50 Quetzales, was etwa USD 6.5 entspricht. Nur Minuten nachdem wir eingecheckt hatten startete der Himmel den nächsten Versuch, die Erde zu ertränken. Das könnte ja heiter werden.
Wie üblich war es am Morgen trocken, wie üblich schwitzten wir abartig. Nach einer ganz kurzen Bajada ging es nämlich rauf in hohe Hügel und guatemaltekische Steigungen sind steil. Und in diesem Fall lang. In Pausen lauerten auch hier Mücken, die Aussicht wurde aber je länger, je besser. Nicht, dass grüne Hügel an sich etwas Neues gewesen wären, aber cool sah es trotzdem aus. Nicht ganz so hübsch ist die lokale Art der Müll"entsorgung". Der wird an vereinbarten Orten nämlich ganz einfach an den Strassenrand bzw. den Hang hinunter gekippt. Das ist hässlich und tut richtig weh. Da hat man schönste Landschaften mit dichten Wäldern, die ganz einfach zu Mülldeponien degradiert werden. Da stimmt der Ausdruck "Entwicklungsland" durchaus wieder, so einige Dinge des täglichen Lebens sind noch ganz massiv verbesserungsfähig. Das gilt natürlich nicht nur für Guatemala, sondern für einen grossen Teil Lateinamerikas
Zur Müllkippe degradiert.
Natürlich hatten wir die Steigung irgendwann besiegt, d.h. nun ging es ganz einfach wieder auf und ab. Immer noch steil, wie es sich gehört. Bei der gesuchten Abzweigung informierten wir uns bei einigen Einheimischen über den Zustand der "Strasse", die gemäss Karte eigentlich asphaltiert sein müsste, in Realität aber ein schmaler Weg voller verhasstem losen Kies war. Wir entschieden uns nach längerem Werweissen für die "Abenteuer-Route", da Ausflüge ins Hinterland eines Landes in der Regel in jeder Hinsicht unterhaltsamer sind und bleibendere Eindrücke hinterlassen als Asphalt- oder gar Hauptstrassen. Wie sehr sich dieser Grundsatz hier wieder bewahrheiten würde, konnten wir noch nicht ahnen.
Die Strecke zum Pueblo Nuevo Viñas sei mehrheitlich flach, Steigungen gäbe es nicht so viele. Das war die Meinung von zwei unabhängig voneinander Gefragten. Wir spulten schon bei der ersten Subida, die eine der wenigen sein sollte. Ein steiles Stück "empedrada", mit Steinen ausgelegtes, käme später und wir müssten einen kleinen Fluss durchqueren. Klang gut, schieben war programmiert und Wasser ist immer Fun. Was als erstes auffiel, waren die Unmengen bunten Schmetterlinge. Ich meine, das sehen wir ja seit Monaten, von kleinen Gelben bis zu jenen handgrossen Blauen (leider kein eigenes Foto) flattert uns täglich alles um den Kopf, aber das Getümmel hier war rekordverdächtig.
Subida empedrada *schwitzkeuchfluch*.
Ja, die angekündigte Steigung kam unweigerlich, wir fluchten, lachten, schoben und machten keuchend Pause und kamen schliesslich oben an und konnten weiterpedalen. Ebenso unweigerlich kam der tägliche Regen, gerade als wir durch eine winzige Aldea (Dörfli) fuhren. Wir fanden ein kleines, löchriges Wellblechdächli, wo wir uns und unsere Drahtesel unterstellten. Mit der Zeit wurde es kühl und wir wechselten die Strassenseite, dort gab es ein Lädeli, wo wir nach Kaffee fragten. Und selbstverständlich erhielten. Komischerweise kamen immer wieder schwefelige Schwaden und wir wunderten uns, womit das zusammenhängen könnte. Als sich einer der üblichen Borrachos zu nahe an uns ranstellte, wurde er von der netten Señora des Ladens weggeschickt. Danke, lieber Schwefelschwaden als Alkfahnen.
Das Wetter konnte sich einige Zeit nicht so recht entscheiden, wir mussten aber weiter. Also nutzten wir ein kurzes Nachlassen des Regen um uns zur Weiterfahrt zu motivieren. Den Kaffe wollte die Señora nicht bezahlt haben, muchas gracias. Nach einigen Minuten kamen wir an einer grünen Lagune vorbei, die anscheinend die Schuld am Schwefelgestank trug. Nun, wir waren immerhin in Vulkanland, da kann sowas schon mal vorkommen. Schon bald kam sogar die Sonne wieder raus. Praktisch, denn wir kamen nach ein paar Kilometern an den erwähnten Fluss und sahen dort schon eine Gruppe Einheimischer etwas ratlos auf der anderen Seite stehen und sich fragen, wie sie da wohl rüber kämen. Auf unsere Frage, ob das Wasser tief sei, grinsten die Jungs, sagten ja und deuteten etwa Kniehöhe an. Bevor wir uns mitsamt Velos da reinwarfen, prüfte Martina den Wahrheitsgehalt der Information und stellte fest, dass die Angabe recht genau stimmte.
Martina tested die Tiefe.
Also montierten wir die Vordertaschen ab, trugen sie rüber und schoben dann die Velos durch's Wasser, je zu zweit eines um nicht im Sand und Kies steckenzubleiben. Von diesem beherzten Vorgehen motiviert, wagten sich nun auch einige der Zuschauenden ins Wasser, andere versuchten, mit Bambusstämmen eine Art improvisierte Brücke zu bauen. Wir halfen dann noch nach Kräften Kisten, Säcke, Grosis und Kinder sicher ans andere Ufer zu befördern. Ein Mädchen hatte eine mittlere Panikattacke, schaffte es mit einigem Druck der Mutter und Hilfe der Gringas aber doch, wenn auch, wie alle, nicht ganz mit trockenen Füssen.
Ich wusch mir den Sand aus den Schuhen und Socken und weiter ging's. Der Weg war gar nicht mal so schlecht und es ging tatsächlich mehr ab- als aufwärts. Es pisste gerade wieder als ich zur Abwechslung wieder einmal einen Platten hatte. Das war das erste Mal, dass ich bei Regen Schläuche wechseln musste und dazu gleich auf einem Erdweg. Das war echt widerlich und auch mühsam, man will ja keinen Schmutz im Reifen, der dann das nächste Loch basteln könnte. Einige Motocross-Fahrer fetzten laut und stinkend vorbei, später kamen sie zurück um uns zu beschützen, die Region sei gefährlich "mala gente". Bis jetzt hatten wir die nicht getroffen, aber gut, das kann auch ganz einfach Glück gewesen sein.
Töfffahrer bewachen uns.
Auf den nächsten Kilometern fragten wir immer wieder nach dem Weg zum Pueblo Nuevo, schafften es aber irgendwie doch, den Ort zu verfehlen. Wir erreichten kurz vor El Cuje die Asphaltstrasse und im kleinen Kaff schien es keine Übernachtungsmöglichkeit zu geben. Das konnten wir so nicht auf uns sitzen lassen, wir hätten es schliesslich nicht mehr bis zu einem grösseren Ort geschafft. So fragten wir eben bei der Kirche an, ob man uns dort evtl. helfen könne. Wie meist waren die Leute durchaus hilfsbereit und boten uns einen grossen, zur Kirche gehörenden Raum an. Da passten unsere Matten mit samt Velos problemlos rein, einziges Problem, es gab kein sauberes Wasser. So ging Martina im Dorf einen Laden suchen, der nach Möglichkeit Wasser in grossen Kanistern oder Säcken verkaufte. Sie kam zurück mit einem riesigen Sack voller kleiner Wassertüten, der bei mir einen kleineren Lachkrampf auslöste. Leider hatte ich meine Kamera nicht griffbereit. Es zeigte sich aber, dass die kleinen Säckli viel praktischer waren als z.B. ein 6 Liter-Tank. Was nicht in die Flaschen passte, kam eben in die Taschen, perfekt.
Da wir uns in den "Bergen" befanden, wurde die Nacht angenehm kühl, was sich auch auf die ersten Morgenstunden erstreckte. Wir hatten tags zuvor von den Motocross-Fahrern einen Tipp erhalten betr. einer Strasse, die auf der Karte nicht eingezeichnet war, auf der wir uns aber eine Menge Kilometer sparen konnten. Sie soll teilweise asphaltiert, teilweise noch Tierra sein. Wir fragten am Morgen denn auch einige Leute, deren Information aber recht wischiwaschi klang. Erst ein Busfahrer schien jene Abkürzung zu kennen und zeichnete uns den Weg nach Los Dolores kurzerhand auf. Martina meinte noch, sie hoffe, dass "Los Dolores" (die Schmerzen) kein schlechtes Omen sei. Mensch, immer diese Schwarzseherei:-)
Wir fanden die Abzweigung dann auch ohne Probleme und die Strasse war offensichtlich neu, schöner Asphalt, Wasserrinnen aus Beton, wunderbar. Erst ging es eine Weile steil auf und ab, dann verschwand die Strasse vor unseren Augen und stürzte in guatemaltekischer Manier ins Tal hinunter. Bald erkannten wir auch, warum hier ältere Strassen meist in schlechtem Zustand sind und so richtig alter Asphalt schlicht nicht mehr existent ist. An manchen Stellen fehlten die Betonrinnen und das Wasser hatte schon begonnen, die Fahrbahn zu unterhöhlen und der Belag war am abbröckeln. Anderorts fielen immer wieder Steine von der ungesicherten Lehmwand runter, die die Strasse zumüllten und den Asphalt sprengten, der dann vom Wasser in Rekordzeit wegerodiert wird. Und die ganze Konstruktion war, wie wir später herausfanden, gerade mal ein Jahr alt.
Obwohl es verflixt steil runterging, war das überhaupt keine Rennstrecke, im Gegenteil. Enge Kurven, teilweise mit Sand und Kies bestreut, bremsten uns immer wieder aus. Ich war nur mittelmässig happy über diese Abfahrt und fragte mich dauernd, ob wir uns mit dieser "Abkürzung" wohl die doppelte Anzahl Höhenmeter eingehandelt hatten. Zum Glück hatte ich, bevor wir an jenem Morgen losgefahren waren, die Spannung meiner Bremskabel ajustiert. Da die Bremsklötze aber schon ziemlich abgenutzt waren, musste ich trotzdem ganz schön kräftig an den Hebeln rupfen um einen Effekt zu erzielen. So fragte ich mich auch die ganze Zeit, was wohl passieren würde, wenn die Bremsen auf so einer Bajada versagen, wenn ein Kabel reissen würde zum Beispiel. Rechts neben der Strasse befand sich der Berg, links der Abgrund. Der war zwar glaub' nicht extrem steil und von Büschen verdeckt, zwischen Vegetation und Strasse war aber, wie fast überall, ein Stacheldraht gezogen. Das war denn auch mein vorgestelltes Worst-Case-Szenario (abgesehen von einem Sturz ins Nichts): ungebremst in Stacheldraht zu crashen.
Pause auf Martinas Lenker.
Es passierte aber nichts, ich kriegte alle Kurven, die Bremskabel hielten. Ich kurvte gerade um eine weitere enge Biegung und sah, dass nur noch wenige Meter Asphalt blieben, dann begann eine Dreckstrasse übelster Art. Ich zerrte mit aller Kraft an den Bremshebeln, wusste aber, dass es nicht reichen würde. Soweit kein Problem, man kann ja auch auf nasser Erde weiterfahren. Denn komischen Knall, den ich während dem Bremsen hörte, konnte ich erst nicht einordnen, nur Sekunden später war jedoch die gesamte Luft aus meinem Hinterreifen weg. Shit, schon wieder im Dreck Schlach wechseln. Ich hatte mich gerade entschieden, mich auf der anderen Strassenseite bei einer Abzweigung, wo es flacher war, zu installieren, als Martina schreiend um die Kurve kam. Ich hörte ihr "mini Brämse gönd nüme!!!!!!!", sah sie mit den Füssen "bremsen" und überlegte noch, was ich tun könnte, da hatte sie schon den kiesigen Strassengraben angesteuert und lag nach einigem Getöse unter ihrem Velo begraben.
Nnnngggggg, autsch, das sah schlecht aus! Ich hob das Rad mal versuchsweise etwas an und sie kroch darunter hervor, an einigen Stellen blutend, aber offensichtlich war nichts gebrochen. Eine kurze Überprüfung ergab, dass die Verletzungen vor allem Schürfungen waren, nichts Tragisches. Ein Motorradfahrer, der das Ganze mitgekriegt hatte, half uns, das Velo aus dem Strassengraben zu bergen und die Taschen zu meiner schon auserwählten flachen Stelle hinüberzutragen. Eine Vorder- und eine Hintertasche waren beim Sturz weggerissen worden und ich war sicher, dass die Haken abgebrochen waren. Aber nein, ausser einigen neuen Kratzern war alles intakt, nichts gebrochen, nichts aufgerissen. Hier ein Kompliment an Ortlieb, krass was diese Taschen alles aushalten (später ergab eine detailliertere Inspitzierung ein paar Löcher, aber nichts, das sich nicht flicken liesse). Beim Velo stand der Lenker schief und die Gepäckträger waren leicht verkrümmt, aber auch hier würde sich das alles reparieren lassen.
Was war passiert? Die Bremskabel waren intakt, Martina hatte zwischendurch auch einmal angehalten, d.h. die Bremsen hatten Minuten zuvor noch funktioniert. Waren vielleicht die Bremsklötze innert so kurzer Zeit komplett abgenutzt worden oder war das Problem "nur" die Spannung der Kabel gewesen? Viele Fragen, auf die wir im Moment keine Antwort hatten, aber sehr hofften, eine zu finden um solche "Notlandungen" zu vermeiden. In den Strassengraben zu fahren, war ohnehin das Beste gewesen, das Martina in ihrer Situation hätte tun können. Wäre sie geradeaus weitergefahren, wäre sie, nun mit mehr Tempo, in den tiefen Rinnen der weiterführenden Erdstrasse gestürzt.
Während Martina sich bei einem Haus nebenan waschen ging, zerpfückte ich mein Hinterrad zum zweiten Mal in zwei Tagen und meine Theorie vom explodierten Schlauch bestätigte sich als ich ein etwa 2 cm langes Loch fand. Zu meiner Überraschung war auch das Felgenband futsch. Nicht gerissen, aber total ausgeleiert, etwa 5 cm länger als zuvor und nicht mehr zu gebrauchen. Was mit dem geschehen war, ist mir immer noch ein Rätsel, ich hatte ja nur einen Tag zuvor gesehen, dass das noch in Ordnung gewesen war. Aber ok, mit Tape würde sich das überbrücken lassen, das war nicht so tragisch. Auch Martinas Schürfungen und "Hicke" konnte sie problemlos verarzten, auch hier nichts weiter Bedrohliches. Nur fanden wir nicht heraus, wie wir ihren Lenker wieder gerade kriegen konnten, an welcher Schraube wir drehen mussten.
Da's kein Bild von der Unfallstelle gibt.
Nach einigen mittleren Lachanfällen, dass so etwas immer am Arsch der Welt passieren musste (es gab dort wirklich nichts ausser jenem Haus, wegen der miesen Strasse fuhren nicht einmal regelmässig Busse oder Pick-ups), überlegten wir, was wir tun konnten. Weiterfahren kam mit schrägem Lenker nicht in Frage. Als ein Señor mit Pick-up runter kam, fragten wir, ob er denn da auch wieder rauf fahren würde. Sí, aber erst in drei bis vier Stunden, und ja, er könne uns schon mitnehmen. Und als er hörte, dass wir Schweizerinnen waren, erinnerte er uns daran, dass ja 1. August war. Der Guatemalteke weiss es, wir hatten nicht daran gedacht. Na, sowas. Wir bereiteten uns gerade auf eine längere Wartezeit vor, als nur wenige Minuten später ein weiterer, kleinerer Pick-up von unten durch den Sand hochgespult kam. Der Fahrer und sein Freund waren nett und zeigten sich ganz begeistert von unserer Reise und fasziniert von dem vielen Gepäck, das wir schleppten. Im Verlauf der Unterhaltung kam zur Sprache, dass wir schlussendlich nicht nur zurück zur Hauptstrasse, sondern bis nach Antigua wollten und auch bereit waren, dafür zu bezahlen. Ok, er nehme uns mal mit rauf, oben könnten wir das Weitere besprechen.
Ein paar hundert Meter von der Panam entfernt hielt das Auto an und offensichtlich war jetzt Verhandeln angesagt. Nun stellte sich auch heraus, dass der nette Helfer in Wirklichkeit ein verkapptes Arschloch war. Kein Wunder wollte er nicht vor Zeugen seinen Preis einer Fahrt nach Antigua nennen. Er wollte doch sage und schreibe USD 150. Wir waren etwas geschockt ab dem hohen Betrag und der Tatsache, dass der Typ unsere missliche Lage so schonungslos ausnutzen wollte. Es war uns aber schon verschiedentlich gesagt worden, dass die Gegend nicht so sicher sei, weshalb es nicht ratsam gewesen wäre, mit zwei nicht fahrtauglichen Velos und dem vielen Gepäck an der Strasse zu stehen und auf eine Mitfahrgelegenheit zu warten. Ausserdem sass zwischen unserem momentanen Aufenthaltsort und Antigua noch Guatemala Ciudad im Wege, vielleicht würden wir ja jemanden finden, mit dem wir bis dorthin mitfahren könnten. Ja, und dann??? Dort ein Hotel suchen oder irgendwo ausgeladen werden und wie weiterkommen??? Versuchen, an der Panam einen Bus zu stoppen, der uns vermutlich zu einem Terminal in der Hauptstadt bringen würde? Hauptstädte sind gefährlich und Busterminals umso mehr. Mit dem Bus nach Antigua mussten wir gar nicht erst versuchen, das war klar. Da würden wir nie mit kompletem Gepäck ankommen. Ich bot also als Gegenvorschlag USD 100, wir einigten uns schliesslich auf USD 125, was uns immer noch weit zuviel erschien, aber wir sassen nun mal offensichtlich in der Patsche und hatten keine starke Verhandlungsposition. Was mich an dem Typen am meisten nervte, war der Kommentar "Les quiero salvar porque soy católico". Er möchte uns retten weil er katholisch sei. Pha!
Das Angebot, mit uns in einem Restaurant frühstücken zu gehen, lehnten wir höflich ab, zogen etwas langärmeliges an und kletterten zurück auf die Ladefläche. Wenn wir nicht gerade sauer gewesen wären, hätte es richtig Spass gemacht, hinten auf dem Pick-up zu sitzen und die Landschaft vorbeibrausen zu sehen. Die beengten Platzverhältnisse machten das Ganze allerdings etwas unbequem. In Guatemala stoppten wir bei einem McDonald's, nachher zügelte Martina in die Kabine um. Regen drohte und die Plastikplane wäre kaum für beide gross genug gewesen. Unser katholische Retter hatte zuvor schon insistiert, dass wir beide vorne einsteigen, was nunmal beim besten Willen nicht gegangen wäre, nicht nebeneinander und aufeinander vermutlich auch nicht. Ausserdem wollten wir in einer Stadt unsere Sachen nicht unbeaufsichtigt auf der Ladefläche herumliegen lassen, sich da eine Tasche rauszupicken wäre viel zu einfach gewesen.
Der Regen kam bald, ich packte mich also in die schmutzige, löchrige Plane ein. Es wurde ziemlich kühl, sonst war es eigentlich ganz ok. Etwas später stoppten wir nochmals und warteten eine Ewigkeit auf was weiss ich. Irgendwann parkierte ein kleiner, vollbesetzter PW neben uns, das sei seine Tochter. Sie könne uns mit ihrem Auto nach Antigua bringen. Erstens war da aber kein Platz, weder für uns, noch für irgend ein Gepäckstück, und ausserdem hätten wir die Bicis nie im Leben den beiden anderen anvertraut. Endlich konnten wir unseren Amigo dazu bringen, weiterzufahren. Es begann nun wieder stärker zu regnen und ich zog die Plane vor dem Gesicht so gut wie möglich zusammen. Nun wurde ich eben von unten nass, da das Wasser dem Umhang entlang auf meinen eigenen Plastik tropfte, den ich über den Rucksack gebreitet hatte und auf dem ich nun sass. Ungemütlich.
Wir hatten dem Katholiken auch gesagt, dass wir in Antigua ein paar Hotels anschauen möchten, was führ ihn angeblich kein Problem war. Nun schien ihm die Sache nach einigen Minuten nicht mehr so sehr Spass zu machen und er machte Druck auf Martina, das nächstbeste Hotel zu nehmen, er habe langsam Hunger. Immerhin fanden wir mit der netten Hilfe eines Einheimischen bald ein günstiges Hotel, die Posada Refugio II, wo wir 100 Quetzales (ca. USD 13) pro Nacht bezahlen für ein Zweierzimmer mit eigenem Bad und Heisswasser. Ich hatte von den Diskussionen im Auto drin nicht viel mitbekommen, auch nicht, dass der Freund unseres Retters zu guter Letzt nochmals $ 10 zusätzlich gefordert hatte, für's Mittagessen. Wenn ich Martina richtig verstanden habe, hätte sie ihm anstelle von mehr Geld beinahe eine Ohrfeige gegeben. Ui, so unbeherrscht kenne ich sie gar nicht.
Nun gut, wir waren in Antigua. Alles war nass und unser Zimmerlein viel zu klein, um irgend etwas aufzuhängen, aber es gab tatsächlich so richtig heisses Wasser! Kaum zu glauben, vor wenigen Tagen hatten wir nach kaltem Wasser gelechzt, nun wussten wir die warme Dusche so richtig zu schätzen (Antigua liegt auf etwa 1'500 müM). Wir hatten ohnehin vorgehabt, hier einige Tage Station zu machen um wieder einmal etwas auszuspannen und natürlich zu bloggen. So blieb jetzt auch genug Zeit zum Velomechsuchen, Shoppen oder was auch immer uns noch einfallen würde. Antigua ist eine hübsche Stadt und wird bestimmt noch ihren eigenen Eintrag bekommen.