Es gibt Fantasy-Geschichten, die sind so nahe an der Realität, dass einem die – vielleicht nur intutitiven – Erkenntnis-Schauer beim Lesen durch Mark und Bein gehen. Der Roman “Götter” von Will Hofmann ist so eine Geschichte!
Der eigentliche Plot ist schnell erzählt: in militärischem Sperrgebiet gibt es vier streng geheime Reservate, in denen Männer und Frauen wie Sklaven auf einer archaischen Entwicklungsstufe leben. Alles was sie kennen ist Arbeit und Armut – eigenes Denken und abweichlerisches Verhalten wird schwer bestraft, je nach Schwere des “Vergehens” auch mit dem Tod.
Hin und wieder erscheinen ihre “Götter” in fliegenden Gefährten, in voller Glanz und Gloria, nehmen die hergestellten Waren mit und belohnen die eine oder den anderen besonders folgsamen “Insassen” mit ein paar Stunden sexueller Exstase – für die weiblichen Reservat-Insassen folgt darauf meist “ein dicker Bauch”. Auch der Vorgang, den der Leser schnell als Geburt erkennt, erfolgt für die Gebährende in einem “herrlich rauschhaften” Zustand, den sie hinterher schnell vergessen hat.
Der Zuwachs kommt zunächst anonym ins Reservat und wird von Erziehern gemäß geltender Doktrin erzogen: die Götter sind alles, das Individuum ist nichts. Nun begab es sich aber, dass zwei Insassen ihre Aufmüpfigkeit einfach trotz widrigster Umstände nicht mehr unterdrücken wollten und ihnen gelingt die Flucht. Agnes entkommt unter dramatischsten Umständen, bei Günter war der Weg nach draußen vergleichsweise ein Spaziergang.
Die zwei Entflohenen leben isoliert im Waldgebiet der militärischen “Schutzzone” bis sie eines Tages aufeinander treffen – da beide im Glauben aufgewachsen sind, es gibt nur das eigene Geschlecht, sind Überraschung und Misstrauen am Anfang entsprechend groß. Doch schnell vertrauen sich die beiden “Outlaws” und leben wie unsere Vorfahren vom Jagen, vom Beeren sammeln und von der Viehzucht.
Ohne es zu wissen, begeben sich Agnes und Günter auf den Entwicklungsweg der Zivilisation und sich entwickeln sich mit Hilfe weniger Freunde erstaunlich schnell. Je mehr sie über sich, die “Außenwelt” und die Reservate erfahren, um so größer wird der Wunsch, die so genannten Götter zu entmachten und die Gefangenen zu befreien…
Mit der Geschichte von Agnes und Günter entwickelt Will Hofmann im Grunde eine spannende Anthropologie, die im Gegensatz zu gängigen Lehrbüchern, einige Komponenten enthält, die im Moment meist als Verschwörungstheorien abgelegt werden. Trotzdem: offiziell bekannte Insitutionen wie Scientology, die Vorgänge um die Moon-Sekte, Forschungen zu Area51 oder einfach nur das Verhalten von Eroberern wie Christoph Kolumbus liefern genug stichhaltige Indizien, dass Will Hofmanns Szenario gar nicht so weltfremd ist, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Absurd erscheint die Geschichte vor allem deshalb, weil sie mitten in Deutschland spielt – diese geheimen Reservate passen so gar nicht in unsere Gesellschaft, die wir lange als sozial angelegten, demokratischen Rechtsstaat definiert haben, der dieser Tage allerdings immer öfter faschistische Tendenzen und Geisteshaltungen zeigt.
Nun hat Will Hofmann nicht nur ein paar Verschwörungstheorien und alternative Menschheitsgeschichten á la Erich von Däniken zusammen geworfen – dazu ist der Roman zu komplex. Und raffiniert angelegt ist er auch noch: in drei – zunächst vollkommen unzusammenhängend erscheinenden – Erzählsträngen führt Hofmann seine Leser zum Showdown. Geschickt fügt er ein Puzzleteil zum nächsten und legt so einen sprichwörtlich “fantastischen Krimi” vor, den ich in einem Zug gelesen habe.
Auch wenn an wenigen Stellen die logische Stringenz ein bisschen aufweicht: “Götter” ist nicht nur ein spannender Fantasy-Roman für eine vielschichtige Leserschaft, sondern eine absolut zeitgemäße Geschichte über Machtverhältnisse, Kontrolle und Illusionen, die viele Impulse dafür setzt, was in den Reservaten gar nicht gern gesehen wird: eigene Gedanken und Recherchen. Und was wären wir, ohne Auswege, Lösungsmöglichkeiten und Schlupflöcher…Viel Spaß beim Lesen, erkennen und weiter denken!
Will Hofmann “Götter”, 444 Seiten, Hardcover, 19 Euro 95, Fabulus Verlag