Gott liebt Steaks!

kuerbisFür etli­chen poli­ti­schen Wirbel hat ein Vorhaben der Grünen gesorgt: die Einführung eines Veggie Days. Die Grünen wol­len im Fall einer Regierungsbeteiligung dafür sor­gen, dass in öffent­li­chen Kantinen ein vege­ta­ri­scher Tag prak­ti­ziert wer­den soll.

Im Wahlprogramm (S. 164) schrei­ben sie dazu: “Pro Kopf und Jahr essen wir Deutsche rund 60 Kilo Fleisch. Dieser hohe Fleischverbrauch birgt nicht nur gesund­heit­li­che Risiken. Er erzwingt auch eine Massentierhaltung, die auf Mensch, Tiere und Umwelt keine Rücksicht nimmt. Deshalb for­dern wir mehr Verbraucheraufklärung zu den gesund­heit­li­chen, sozia­len und öko­lo­gi­schen Folgen des Fleischkonsums. Öffent­li­che Kantinen sol­len Vorreiterfunktionen über­neh­men. Angebote von vege­ta­ri­schen und vega­nen Gerichten und ein ‘Veggie Day’ sol­len zum Standard wer­den.”

Das Getöse war groß: “Bevormundung” hieß es bei der CSU, von “grü­ner Erziehungsdiktatur” sprach die Linke, die CDU sah eine “grüne Verbots-Republik” im Kommen und die FDP war sowie so dage­gen ent­spre­chend ihrem ideo­lo­gi­schen Uraltmotto “Freie Fahrt für freie Bürger”.

Dabei hat­ten Abgeordnete von CDU/CSU, der SPD und der Linken sich 2011 in einer Umfrage der Albert-Schweitzer-Stiftung für die Einführung eines Veggie-Days aus­ge­spro­chen. Massive Ablehnung kam ledig­lich von FDP-Abgeordneten.

Uninteressant scheint bei der Wahlkampf-Schwarz-Weiß-Optik, dass vege­ta­ri­sche Tage in deut­schen Kantinen bereits prak­ti­ziert wer­den, ohne dass irgend­je­mand zu Schaden gekom­men ist. Beispielsweise prak­ti­ziert der Sportartikelhersteller Puma seit 2009 einen “Meat-free-Monday”, Siemens ein­mal monat­lich einen “Terra-Tag” mit vege­ta­ri­schen Gerichten, und das Bundesland Bremen seit 2010 den Veggie Day.

Religionen und der Veggie Day

Das Online-Portal evangelisch.de mel­dete im August, dass in vie­len evan­ge­li­schen Akademien bereits ein- bis zwei­mal in der Woche ein vege­ta­ri­scher Tag bereits Praxis sei.

Theologische Bedenken äußerte evangelisch.de keine, erwähnte im Gegenteil, dass der Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster, der katho­li­sche Priester und Biologe Rainer Hagencord, den Grünen-Vorschlag begrüßt habe und unter­stütze “Leider leben wir inzwi­schen in einer Kultur, die Puten, Hühner, Schweine und Rinder eher als Rohlinge einer der bestimm­ten Fleisch-, Eier- und Milchindustrie wahr­nimmt” wird Hagencord zitiert. Er nannte es “sehr gut, hier einen Akzent zu set­zen und damit dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass es sich bei die­sen Tieren immer noch um Geschöpfe Gottes han­delt”,

Wer nun gedacht hätte, dies sei moder­ner reli­giö­ser Standard in Deutschland im 21. Jahrhundert, der irrte jedoch gewal­tig und sah sich bald eines bes­se­ren belehrt.

Die Gegenäußerung kam von dem (als libe­ral bezeich­ne­ten) Rabbiner Walter Rothschild, immer­hin jüdi­scher Landesrabbiner von Schleswig-Holstein. Rothschild schreibt, was Sache ist: “Befragt man die Tora, so stellt sich her­aus, dass Gott das Essen von Fleisch aus­drück­lich befür­wor­tet”, äußerte er in der Jüdischen Allgemeinen am 15. August.

Gott riecht gerne gebra­te­nes Fleisch

Rothschild weiß sogar Näheres: “Gott liebt Steaks”, teilt jedoch, man ist ja neu­gie­rig gewor­den, woran der HERR so Gefallen fin­det, lei­der nicht mit, ob das Steak “roh”, “fast roh”, “kern-roh”, “medium”, “halb”, “fast durch­ge­bra­ten” oder “durch” für Gottes Geschmack sein muss. Möglicherweise han­delt es sich dabei um ein Mysterium. Aber immer­hin weiß der Gottesfürchtige über Gottes Lieblingsgeruch Bescheid: “Fleisch zu essen ist also keine Sünde! Auch Gott selbst liebte, so die Tora, den Geruch von gebra­te­nem Fleisch. Es war ‘Reijach Nichoach’, sein Lieblingsgeruch.” Zustimmend erwähnt Rothschild einen vor lan­ger Zeit gelebt haben­den Rabbiner Jehuda ben Beteira, für den der Verzehr von Fleisch zu einer hei­len Beziehung zwi­schen Gott und Mensch gehört haben soll, ver­bun­den mit dem fei­er­li­chen Opferritus.

Rabbiner Rothschild zieht den Schluss, dass ein Veggie Day nicht im Einklang mit den gött­li­chen Vorstellungen steht, denn: “Das Judentum lehrt: Wir Menschen dür­fen – nach bestimm­ten Regeln – Teile von Gottes Schöpfung, wenn nötig, schlach­ten oder fan­gen oder ern­ten und essen, damit wir selbst wei­ter­le­ben kön­nen. Dass auch die Tiere ein­mal leben­dig waren, ist dabei egal – Fische und Gemüse waren schließ­lich auch ein­mal leben­dig, bevor sie getö­tet wur­den, um uns als Nahrung zu die­nen.”

Theologie eines beken­nen­den Fleischfressers

Schließlich belehrt der Rabbiner die Grünen dar­über, dass poli­ti­sche Parteien sich mit Wichtigerem beschäf­ti­gen soll­ten, als Menschen wie ihm Essensvorschriften zu machen. Das hat zwar nie­mand vor, auch nicht die Grünen, klingt aber in den Ohren von Leuten, die genuss­voll Fleisch ver­zeh­ren, sym­pa­thisch. Und zu die­sen gehört Rothschild: “Ich bin beken­nen­der Fleischfresser – ob nun aus der Bratpfanne, aus dem Ofen oder vom Grill. Ein rich­tig zube­rei­te­ter Braten ist für mich eine Frage der Spiritualität.”

Nun denn, die­ses hätte doch auch als sein “Bekenntnis” genügt: Ich esse gerne Fleisch und will dar­auf nicht ver­zich­ten, Massentierhaltung und Reduzierung von Tieren auf “Industrie-Rohlinge”, hin oder her. Das alles inter­es­siert mich nicht, Hauptsache, es schmeckt. Basta.

Aber nein, das reicht für “rab­bi­ni­sche Anmerkungen zum Vegetariertag”, wie Rothschild seine Ausführungen titelt, selbst­ver­ständ­lich nicht aus. Wahrscheinlich klingt es in den Ohren von Gläubigen erha­be­ner und erleich­tert ihr Gewissen, wenn Gott ihre Haltung nicht nur bil­ligt, son­dern nach­ge­rade for­dert.

Religiöse Vorstellungen inter­es­se­ge­lei­tet

Rabbiner Rothschild hat ein ein­drucks­vol­les Beispiel dafür gelie­fert, wie mensch­li­che Begierde gepaart mit man­geln­der Empathie für andere Lebewesen ihre ortho­doxe reli­giöse Über­hö­hung fin­den kann; hier zeigt sich in aller Deutlichkeit eine aus­schließ­lich inter­es­sen­ge­lei­tete, belie­big zusam­men­ge­stü­ckelte Ideologie – daran sollte man sich bei andere Gelegenheiten durch­aus erin­nern, wenn Religiöse ihre unab­än­der­li­chen Wahrheiten ver­kün­den.

Die Redakteure der Jüdischen Allgemeinen haben immer­hin den Rothschildschen Hervorbringungen ent­ge­gen­ge­steu­ert, einige Tage spä­ter ver­öf­fent­lich­ten sie zum Veggie Day einen Artikel von Renate Kühnast, und in einem wei­te­ren Artikel (von Daniel Neumann) ist dar­ge­legt, dass nach der Tora – ganz im Gegensatz zu den Ausführungen Rothschild`s – sich ein Bild ergebe, wonach Gottes Idealvorstellung der Vegetarismus sei. An Leute, wie Rothschild, ergeht sei­tens Neumann der (tröst­li­che) Hinweis: “Sollte der Veggie Day Wirklichkeit wer­den, dann bleibt den selbst ernann­ten Freiheitskämpfern ja immer noch der Weg zur nächs­ten (kosche­ren) Currywurstbude.”

Wie dem auch sei: Man sieht, wel­che Deutungsmöglichkeiten Religion her­gibt und dass es sich um inter­es­se­ge­lei­tete Interpretationen han­delt. Dies sollte in Gesellschaft und Politik stets berück­sich­tigt wer­den.

Trotzdem: Herrn Rothschild ein schö­nes neues Jahr, Schana towa, und dass zu sei­nen guten Vorsätzen gehö­ren möge, die Tora ein­mal so zu lesen, wie Daniel Neumann es vor­schlägt.

Nebenbei: offen bleibt, ob ein­fach mal eine Gelegenheit gesucht wurde, Rabbiner Rothschild öffent­lich vor­zu­füh­ren. Auf dem Hintergrund der mas­si­ven Streitigkeiten zwi­schen ihm und der Berliner jüdi­schen Gemeinde liegt diese Vermutung nicht fern.


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