Das Startareal in Niederdorf am Morgen
Der Morgen unseres letzten Tages brach an. Wieder ein wunderschöner Sonnentag. Die achte und letzte Etappe sollte die einzige in der neu arrangierten Ostroute sein, die als etwas leichter anzusehen war.
Auf dem Papier: “Nur” 33,4 km Horizontaldistanz, 1270 m im Aufstieg und 1100 m im Abstieg. Das erschien nach den Strapazen der vergangenen sieben Etappen absolut machbar. Man wächst mit seinen Aufgaben.
Da mir diese sieben Tage offenbar noch nicht genug weh getan hatten, musste ich unachtsamerweise barfuß auf dem alten Balkon gehend einen 1 cm-langen Holzsplitter in meinen rechten Fußballen hauen. Die Docs vom Rescue-Team bemühten sich nach bestem Gewissen, bekamen ihn aber nicht raus. So musste ich mich mit diesem kleinen Zusatz-Schmerz anfreunden.
Nach dem üblichen Ritual aus Taschen packen, Laufsachen herrichten und frühstücken formierten wir uns 30 Meter vor unserem Hotel am Start. Tatsächlich kam jetzt bei mir so etwas wie Wehmut auf. Soll dieses Leben, an das wir uns die vergangene Woche langsam gewöhnt hatten, nun schon wieder zuende sein? Im Grunde schade. Da wir ja nie ultimativ an unsere Grenzen gegangen waren, hat man sich ganz schön mit der täglichen Dosis Laufen in schöner Bergwelt angefreundet. Aufkeimende Emotionen werden durch die positive Energie der anderen Läufer vor dem Start im Keim erstickt. Es geht los…
Refueling raus aus der V1 – noch im schattigen Val di Landro
Natürlich waren wir nicht die Einzigen, die sich dachten: “Hey, es ist der letzte Tag – da können wir doch nochmal einen raushauen!” Ich war mir nach der Erfahrung der letzten sieben Tage ziemlich sicher, dass auch heute wieder die Meisten zu schnell angingen. Und tatsächlich wurde vorn gleich sehr schnell gelaufen. Die ersten fast 15 km führten relativ flach ins Tal hinein bis zur V2 (+ 270 Hm). Auch am letzten Tag wollte ich uns nicht schon zur Halbzeit auf allen Vieren kriechen sehen. Also hielten wir uns noch etwas zurück. Genau wie Irene und Stefan, das führende Mixed Team “Südtirol Dolomiti Superbike”, die ich schon länger beobachtet hatte und die eine äußerst smarte Renneinteilung an den Tag legten. Es sollte sich für die sympathischen Südtiroler mit dem Gesamtsieg (plus 5 Einzelsiege) auszahlen. Später, um Mitternacht, diskutierten wir das gemeinsam auf der Finisher-Party.
Nun ging’s an’s Eingemachte: Auf den nächsten 8 km führte uns der Weg zur Dreizinnenhütte (+ 1000 Hm). Wie erwartet konnten wir eins ums andere Team überholen. Mittendrin auch einmal mehr Jens & Flo vom Team SharxX. Der Rest der Route war ein einziger Traum. Vorbei an den weltberühmten Drei Zinnen bei absolutem Kaiserwetter!
Team Montane vor den weltberühmten Drei Zinnen
Danach war ich gespannt, wie wir den letzten Downhill des Tages verkraften würden (- 1100 Hm). Ein paar Meter unten im Val Sasso Vecchio fiel mir der etwas abgelutschte alte Spruch “Schmerzen vergehen – der Stolz bleibt für immer!” (oder so ähnlich) ein. Irgendwie passte das jetzt an dieser Stelle. Wir Beide vergaßen jetzt mal für den Moment unsere Oberschenkel und ließen es ordentlich laufen. Kurz vor der V3 holten wir ein kanadisches Team ein (das letzte verbliebene). Wenig später tauchten dann die zwei Engländer vom Team “The Reservoir Dogs” (übrigens ein sehenswerter Film von Quentin Tarantino) vor uns auf. Ein Blick hinüber zu Frank zeigte mir, dass ich nicht der Einzige war, der jetzt aber wirklich in den Race Mode schalten wollte. Zuerst zickte meine Achillessehne, aber nachdem ich sie ausgeblendet hatte liefen wir wie zwei junge Hasen. Bei der 2 km-Marke überholten wir sie mit einem kurzen Zwischensprint. Aber so einfach war das nicht. 600 Meter weiter schaute ich nochmal kurz zurück: Sie hatten noch nicht aufgegeben und hielten dagegen! “Sorry, Frank, aber wir müssen nochmal ‘ne Schippe drauflegen!” Gesagt – getan. Das gab ihnen den Rest. Kurz vor dem Ziel liefen wir dann auf Irene und Stefan auf und mussten gebührenden Abstand einhalten für das Siegerteam. Sehr glücklich und sehr zufrieden überquerten wir als achtes Men-Team des heutigen Tages das Ziel. Geschafft!
Im Ziel in Sexten
Nach sehr ausgiebigem Chillen im Zielbereich und einer weiteren, letzten, Massage von Yvonne begaben wir uns auf unseren 320 km-langen Trek zu unserer Unterkunft (nein, es waren nur ca. 2 km – aber gefühlt…). Leider war Rosita in all’ dem Trubel plötzlich verschwunden und so musste eine angemessene Verabschiedung ausfallen. Die Ferienwohnung war aber wieder Spitze. Und da wir nun jeder ein eigenes Zimmer hatten, konnte ich zur Abwechslung auch mal durchschlafen. Das tat gut. Aber zuvor kauften wir noch etwas zum Frühstück ein und genossen in allen Zügen die Finisher-Party. Durch den Ausfall von fast der Häfte aller Teams, bekam das nun selten gewordene Finisher-Shirt einen ganz anderen Wert. Nach etwas Tanzen, etwas Alkohol und interessanten Gesprächen mit interessanten Menschen traten wir am Tag 9 den Gang ins Bettchen an…aber natürlich nicht, ohne vorher noch Frosty kennen zu lernen! Ja, da stand sie tatsächlich bei der Party in einem süßen blauen Kleidchen… (sie lief am Sonntag den Drei Zinnen Lauf mit).
Fazit:
Ein wunderschönes Erlebnis. Acht Tage im Team zu laufen ist etwas ganz Besonderes. Okay, durch die Adventure Races kannte ich das ja prinzipiell. Frank war wie erwartet der unkomplizierteste Laufpartner, den man sich nur vorstellen kann. Es gab in der ganzen Zeit nicht einen Konflikt irgendwelcher Art. Alles verlief extrem harmonisch. Das habe ich – insbesondere wenn wir Menschen an unsere physischen, psychischen oder emotionalen Grenzen kommen – auch schon ganz anders erlebt. Auf diese Art und Weise war das eine sehr bereichernde, schöne Erfahrung. Ich habe wieder viel gelernt. Nach unserer Vorgeschichte (jeweils Probleme mit den Achillessehnen) war unser Start schon eine riesige Sache. Lange Zeit war ich mir wirklich nicht sicher, ob wir gemeinsam das Ziel erreichen würden. Im Rennen selbst klarte das dann alles sehr schnell auf. Schon nach dem ersten Tag war meine Hoffnung um 100 Prozent gestiegen und spätestens nach Stage 3 war ich mir ziemlich sicher, dass das klappt. Eine der schönsten Erfahrungen aber war, zu sehen, wie ein Mensch so über sich hinauswachsen kann wie Frank. Ich bin dankbar für dieses Erlebnis.