[Am 2. April dieses Jahres starb, nur 40jährig, der Popjournalist Marc Fischer. 2001 hatte ich für die damals populäre Plattform "Höfliche Paparazzi" ein paar erfundene und leicht durchschaubare "Star"treffen - u.a. mit mir selbst ;-) - verfasst, um diesen Hype auf die Schippe zu nehmen und ihm den Spiegel vorzuhalten. Fischer widmete ich mich, weil er in seinem Erstlingsroman eine Samurai-Fibel zitierte, deren Übersetzung mein Leben kurz zuvor einschneidend verändert hatte: Nicht nur habe ich mich seitdem mehrfach an ihren Rat gehalten, ihr Erfolg ermöglichte sogar erst meine Zen-Publikationen. - Der folgende Text spielt also mit Identitäten.]
Ich traf mich mit einem Freund, um über den ersten Roman von Marc Fischer zu reden. Darin kommt eine Samurai-Bibel namens Hagakure vor, die dieser Freund übersetzt hatte. Außerdem kannte er Marc Fischer noch von seinen Kolumnen im Trendmagazin Tempo, dass zu einer Zeit erschienen war, zu der ich noch die Bravo hätte lesen sollen. Ich kam mit Fischers Roman nicht klar und wollte nun ein bisschen Rat. „Also“, begann ich, „ich finde dieses Buch von Fischer sehr uneinheitlich. Es fängt gerade so an, als würde jemand dokumentarisch aus seinem Jungjournalistenleben berichten. Nur ob man ihm glauben soll, dass er Kate Moss und all die anderen Stars getroffen hat, weiß ich nicht.“ „Doch“, entgegnete mein Gesprächspartner, „das hat er, und der Bericht über die Moss war klasse, ich könnte wetten, er hat sich darin auch über Magersüchtigkeit ausgelassen. Jedenfalls hatte ich beim Lesen das Gefühl, in eine Stimmung zurückversetzt zu werden, wie sie in manchen französischen Filmen der 60er Jahre herrscht. Seltsam schwebend und melancholisch. Fischer schrieb nie so, wie man es erwartete. Meinst du das mit ‚uneinheitlich’?“ „Hmm, ich denke eher, es gibt da einen Bruch zum Fiktionalen hin, man merkt – und das sollte man doch nicht –, wie er plötzlich anfängt, seinen Traum von einer anderen Welt zu entwerfen und sich immer mehr krudes Zeug zusammenspinnt. Das führt er dann so aus, als müsste er in dieses eine Buch seine gesammelten Schubladenwerke stecken, sein Manifest, dass er mit sechzehn für eine Schülerzeitung schrieb, Auszüge aus seinem Lieblingsbuch, das von seinem eigenen Leben inzwischen überholt wurde, und eine eigentlich total banale Liebesgeschichte, die wie in einem schmalzigen Hollywoodfilm am Ende quasi das Böse besiegt, also den Protagonisten davon abhält, sich für eine Idee oder Ideologie zu opfern.“ „Schmalzig? In seinen Kolumnen war Fischer stets geschmacksicher.“ „Ich gebe dir ein Beispiel aus der Unterhaltung zwischen dem Erzähler und seinem Bruder: ‚Uwe?’ – ‚Ja?’ – ‚Ich war nah dran, ein Samurai zu werden wie Yoshitsune.’ – ‚Ich weiß’, sagte er. ‚Aber es gibt keine Samurai mehr, seit Jahren schon. Die letzten waren die Kamikaze-Flieger, und das ist ein halbes Jahrhundert her.’ – ‚Ich weiß’, sagte ich dumpf. – ‚Aber du bist mein Bruder. Das ist viel besser.’ – – – Das ist doch oberkitschig.“ „Ich musste das Buch zeitweise querlesen“, gab mein Gesprächspartner zu, „und das hatte zwei Gründe. Zum einen die mangelhafte Sprache, peinliche Wiederholungen und – ein schlampiges Lektorat, davon darf man dann ja ausgehen. Fischer hätte also ganz sicher einen strengen und versierten Korrekturleser gebraucht, den ihm sein Verlag offenbar nicht zur Verfügung stellte. Das ist auch deshalb schade, weil andere Jungautoren wie Christian Kracht, der nun wirklich durchgängig flott und gekonnt schreibt, sich im selben Verlag einen guten Ruf erarbeiten durften. Und zum anderen bin ich von der mangelnden intellektuellen Tiefe von Fischers Weltverbesserungsvorschlägen enttäuscht, das heißt natürlich genauer von denen seiner Protagonisten.“ „Der Protagonist macht sich über alle lustig“, fiel mir dazu ein, „von der RAF über Kapitalisten bis zu Demokraten. Dabei fehlt ihm aber selbst die klare Linie. Die ganze Zeit zieht er dieses Samurai-Buch als Ratgeber heran, nur um am Ende das Fazit zu ziehen, dass es nicht mehr richtig aktuell und für ihn untauglich erscheint, weil er im Grunde ein Feigling ist. Trotzdem habe ich kein Mitleid mit ihm, weil er nicht genug Charakterstärke zeigt. Er ist irgendwie kein Held, wie ich ihn mir in einem Roman wünsche.“ „Tja, und weißt du, was mich besonders traurig macht?“ „Nein.“ „Er behauptet ständig, das Hagakure sei ein guter Ratgeber, tut aber dauernd das Gegenteil von dem, was darin empfohlen wird. Man könnte das als Persiflage aufs Esoterikgewerbe im weiteren Sinn ansehen, wie auch die Anspielung auf die Gurus des Managementtrainings durch die Figur des Höller, der zwar nicht als echter Sektenführer eingeführt wird, aber doch eine lichtgestaltgleiche Aura verbreitet, der sich nur wenige entziehen können. Eigentlich, wie so vieles in Fischers Roman, eine schöne Idee, aber was macht er daraus? Er entzieht sich einer Wertung seiner Figuren, so als wüsste er einfach nicht, wie er zu ihnen stehen soll.“ „Manchmal“, ergänzte ich, „entscheidet er sich aber doch. So am Anfang, wo er meint, der Jarmusch-Film, der den Hagakure-Boom erst auslöste, hätte dem Buch nicht gutgetan. Der Held im Film aber geht einen klaren, geraden und unbeugsamen Weg. Der Erzähler in Fischers Roman scheint sich mit solchen Typen nicht anfreunden zu können, die das Hagakure fordert. Irgendwie hat er alles missverstanden, das Buch, das ihm als Leitfaden dienen sollte, seine Freundin, seinen Mentor ...“ „Ach“, seufzte mein Gesprächspartner da, „dieses Kapitel, in dem der Erzähler als Briefkastenonkel arbeitet, eigentlich auch nur so ein auffälliger Pausenfüller, enthält doch eine Pointe, die Fischers wirkliche Klasse zeigt. In seiner letzten Kolumne nämlich tritt er für eine unverblümte sexuelle Freiheit ein, die prompt den Zorn des Volkes auf sich zieht. Ich kann nur hoffen, dass das wieder Fischers eigener Biografie entstammt, denn diesen Mut hat der Autor im Gegensatz zu seinem Erzähler schon. Würde mich gar nicht wundern, wenn ich im Archiv einer Hamburger Zeitung jene Kolumne finden könnte.“ „Eine Art Idol – wunderschönes Cover, phantasievolles Motiv auf goldglänzendem Hintergrund, Fischers Freunde Coupland und Kopf besprechen ihn enthusiastisch. Sollten die ihm nicht ein bisschen kritischer begegnen, sind dafür nicht Freunde auch da?“, frage ich abschließend meinen Gesprächspartner. Und der sagt: „Ich liebe Fischer aus seiner Zeit bei Tempo. Und Liebe kann blind machen.“
Ich traf mich mit einem Freund, um über den ersten Roman von Marc Fischer zu reden. Darin kommt eine Samurai-Bibel namens Hagakure vor, die dieser Freund übersetzt hatte. Außerdem kannte er Marc Fischer noch von seinen Kolumnen im Trendmagazin Tempo, dass zu einer Zeit erschienen war, zu der ich noch die Bravo hätte lesen sollen. Ich kam mit Fischers Roman nicht klar und wollte nun ein bisschen Rat. „Also“, begann ich, „ich finde dieses Buch von Fischer sehr uneinheitlich. Es fängt gerade so an, als würde jemand dokumentarisch aus seinem Jungjournalistenleben berichten. Nur ob man ihm glauben soll, dass er Kate Moss und all die anderen Stars getroffen hat, weiß ich nicht.“ „Doch“, entgegnete mein Gesprächspartner, „das hat er, und der Bericht über die Moss war klasse, ich könnte wetten, er hat sich darin auch über Magersüchtigkeit ausgelassen. Jedenfalls hatte ich beim Lesen das Gefühl, in eine Stimmung zurückversetzt zu werden, wie sie in manchen französischen Filmen der 60er Jahre herrscht. Seltsam schwebend und melancholisch. Fischer schrieb nie so, wie man es erwartete. Meinst du das mit ‚uneinheitlich’?“ „Hmm, ich denke eher, es gibt da einen Bruch zum Fiktionalen hin, man merkt – und das sollte man doch nicht –, wie er plötzlich anfängt, seinen Traum von einer anderen Welt zu entwerfen und sich immer mehr krudes Zeug zusammenspinnt. Das führt er dann so aus, als müsste er in dieses eine Buch seine gesammelten Schubladenwerke stecken, sein Manifest, dass er mit sechzehn für eine Schülerzeitung schrieb, Auszüge aus seinem Lieblingsbuch, das von seinem eigenen Leben inzwischen überholt wurde, und eine eigentlich total banale Liebesgeschichte, die wie in einem schmalzigen Hollywoodfilm am Ende quasi das Böse besiegt, also den Protagonisten davon abhält, sich für eine Idee oder Ideologie zu opfern.“ „Schmalzig? In seinen Kolumnen war Fischer stets geschmacksicher.“ „Ich gebe dir ein Beispiel aus der Unterhaltung zwischen dem Erzähler und seinem Bruder: ‚Uwe?’ – ‚Ja?’ – ‚Ich war nah dran, ein Samurai zu werden wie Yoshitsune.’ – ‚Ich weiß’, sagte er. ‚Aber es gibt keine Samurai mehr, seit Jahren schon. Die letzten waren die Kamikaze-Flieger, und das ist ein halbes Jahrhundert her.’ – ‚Ich weiß’, sagte ich dumpf. – ‚Aber du bist mein Bruder. Das ist viel besser.’ – – – Das ist doch oberkitschig.“ „Ich musste das Buch zeitweise querlesen“, gab mein Gesprächspartner zu, „und das hatte zwei Gründe. Zum einen die mangelhafte Sprache, peinliche Wiederholungen und – ein schlampiges Lektorat, davon darf man dann ja ausgehen. Fischer hätte also ganz sicher einen strengen und versierten Korrekturleser gebraucht, den ihm sein Verlag offenbar nicht zur Verfügung stellte. Das ist auch deshalb schade, weil andere Jungautoren wie Christian Kracht, der nun wirklich durchgängig flott und gekonnt schreibt, sich im selben Verlag einen guten Ruf erarbeiten durften. Und zum anderen bin ich von der mangelnden intellektuellen Tiefe von Fischers Weltverbesserungsvorschlägen enttäuscht, das heißt natürlich genauer von denen seiner Protagonisten.“ „Der Protagonist macht sich über alle lustig“, fiel mir dazu ein, „von der RAF über Kapitalisten bis zu Demokraten. Dabei fehlt ihm aber selbst die klare Linie. Die ganze Zeit zieht er dieses Samurai-Buch als Ratgeber heran, nur um am Ende das Fazit zu ziehen, dass es nicht mehr richtig aktuell und für ihn untauglich erscheint, weil er im Grunde ein Feigling ist. Trotzdem habe ich kein Mitleid mit ihm, weil er nicht genug Charakterstärke zeigt. Er ist irgendwie kein Held, wie ich ihn mir in einem Roman wünsche.“ „Tja, und weißt du, was mich besonders traurig macht?“ „Nein.“ „Er behauptet ständig, das Hagakure sei ein guter Ratgeber, tut aber dauernd das Gegenteil von dem, was darin empfohlen wird. Man könnte das als Persiflage aufs Esoterikgewerbe im weiteren Sinn ansehen, wie auch die Anspielung auf die Gurus des Managementtrainings durch die Figur des Höller, der zwar nicht als echter Sektenführer eingeführt wird, aber doch eine lichtgestaltgleiche Aura verbreitet, der sich nur wenige entziehen können. Eigentlich, wie so vieles in Fischers Roman, eine schöne Idee, aber was macht er daraus? Er entzieht sich einer Wertung seiner Figuren, so als wüsste er einfach nicht, wie er zu ihnen stehen soll.“ „Manchmal“, ergänzte ich, „entscheidet er sich aber doch. So am Anfang, wo er meint, der Jarmusch-Film, der den Hagakure-Boom erst auslöste, hätte dem Buch nicht gutgetan. Der Held im Film aber geht einen klaren, geraden und unbeugsamen Weg. Der Erzähler in Fischers Roman scheint sich mit solchen Typen nicht anfreunden zu können, die das Hagakure fordert. Irgendwie hat er alles missverstanden, das Buch, das ihm als Leitfaden dienen sollte, seine Freundin, seinen Mentor ...“ „Ach“, seufzte mein Gesprächspartner da, „dieses Kapitel, in dem der Erzähler als Briefkastenonkel arbeitet, eigentlich auch nur so ein auffälliger Pausenfüller, enthält doch eine Pointe, die Fischers wirkliche Klasse zeigt. In seiner letzten Kolumne nämlich tritt er für eine unverblümte sexuelle Freiheit ein, die prompt den Zorn des Volkes auf sich zieht. Ich kann nur hoffen, dass das wieder Fischers eigener Biografie entstammt, denn diesen Mut hat der Autor im Gegensatz zu seinem Erzähler schon. Würde mich gar nicht wundern, wenn ich im Archiv einer Hamburger Zeitung jene Kolumne finden könnte.“ „Eine Art Idol – wunderschönes Cover, phantasievolles Motiv auf goldglänzendem Hintergrund, Fischers Freunde Coupland und Kopf besprechen ihn enthusiastisch. Sollten die ihm nicht ein bisschen kritischer begegnen, sind dafür nicht Freunde auch da?“, frage ich abschließend meinen Gesprächspartner. Und der sagt: „Ich liebe Fischer aus seiner Zeit bei Tempo. Und Liebe kann blind machen.“