Mit Domhnall Gleeson, Margot Robie, Will Tilston, Kelly Macdonald, Alex Lawther, Stephen Campbell Moore u.a.
Drehbuch: Frank Cottrell Boyce und Simon Vaughan
Regie: Simon Curtis
Genre: Drama, Biografie
Dauer: 107 min
Farbe: Color
Kurz & bündig: Der Film erzählt die Geschichte des Autors A. A. Milne (Domhnall Gleeson) und dessen Sohn Christopher Robin (Wil Tilston/Alex Lawther), den die ganze Welt – auch heute noch – aus den Winnie-the-Pooh-Büchern seines Vaters kennt. Dabei hält sich Goodbye Christopher Robin eng an die Fakten, welche der Sohn nach dem Tod seines Vaters in Buchform veröffentlicht hatte.
Mein Senf:
Im Grundton von Simon Curtis‘ biografischem Spielfilm findet man kaum Gemeinsamkeiten mit der freundlichen, liebevollen Atmosphäre der Pooh-Bücher – im Gegenteil: Er enthüllt ein zerrüttetes, scheinbar liebloses Elternhaus und eine Kindheit, die nichts mit Milnes Kinderbüchern zu tun zu haben scheint. Letztere haben den kleinen Christopher regelrecht unter sich begraben. Und doch gehört beides zusammen zu A. A. Milne, einem gequälten Mann, der seit seinen Erlebnissen als Soldat im ersten Weltkrieg an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt.
Was die bedeuten kann, zeigte jüngst Debra Graniks grossartiges, hier auf dem Blog bereits vorgestelltes Werk Leave no Trace, welches einen Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung ins Zentrum stellt, der sich in den weiten Wäldern Amerikas vor der menschlichen Zivilisation versteckt.
Milne, ein angesehender Autor und Mitglied der feinen Gesellschaft, musste mit seinem Leiden klar kommen, ohne ausbrechen zu können, einem Leiden, dass ihn aus heiterem Himmel überfallen und ihn völlig lähmen konnte. Er zog sich in sein Inneres zurück, wurde unnahbar, abweisend, ja er erstarrte zusehends. Jedenfalls stellt ihn der Film so dar, und Domhnall Gleeson setzt dieses In-Sich-Selbst-Gefangensein schauspielerisch hervorragend um.
Überhaupt: Die Schauspieler sind hervorragend ausgewählt – sie scheinen für ihre Rollen in diesem Film geboren zu sein, und man vermag sie sich schwerlich in anderen vorstellen.
Es gibt eine Sequenz im Film, wo Milne für kurze Zeit Heilung erfährt: Als die Nanny (Kelly Macdonald) seines Sohnes aus familiären Gründen abreist, die Mutter (Margot Robie) nach London abrauscht und er mit dem Kleinen allein zurückbleibt. Christopher Robin lockt den verstockten Vater mit seiner kindlichen Offenheit und Begeisterungsfähigkeit für einige glückliche Tage aus dem Gefängnis seines Selbst heraus. Die beiden sind den ganzen Tag draussen, erfinden – völlig selbstvergessen – Spiele und Geschichten, und verleihen Christophers Plüschtieren Namen und Persönlichkeiten. Daraus entsteht die Idee, ein Buch für Christopher Robin zu schreiben, in welchem dieser selbst eine Rolle spielt. „Winnie the Pooh“ ist geboren – und mit dessen Grosserfolg stürzt die Welt des Jungen endgültig über ihm zusammen.
Nun hat der Vater wieder keine Zeit mehr, die durchgeknallte Mutter sowieso nicht, und was noch schlimmer ist: In der Öffentlichkeit setzt ein gigantischer Hype um den kleinen Christopher Robin ein. Alle wollen den Jungen, „den es wirklich gibt“ sehen, interviewen, einladen, zu Werbezwecken benützen, fotografieren, filmen. In einem Strudel der Berühmtheit wird er noch weiter von seinem Vater fortgerissen. Der Gipfel ist die Sequenz, wo ihm seine (wieder mal abwesenden) Eltern eine ganze Militärband zum Geburtstag nach Hause schicken, damit jemand ihm ein Geburtstagsständchen spielt. Einsam steht der Knirps vor einer Wand aus riesenhaften, musizierenden Soldaten, abgeschnitten von der Wirklichkeit des Kinder-Seins.
Es gibt neben ganz bezaubernden und berührenden auch viele schmerzhafte Momente in diesem Film – gerade weil ihm die Protagonisten derart glaubhaft gelingen und man sie ins Herz schliesst. Obwohl man Milne und seine Gattin manchmal treten möchte, werden sie von den Filmemachern nicht denunziert. Sie alle sind Opfer ihrer selbst und ihrer Zeit. Am Schluss ist niemand wirklich schuld am ganzen Unglück.
Der Film wagt einen zaghaftes Happy End mit einer immaginären späten Versöhnung von Vater und Sohn. Sie scheint im wahren Leben so nicht stattgefunden zu haben und wirkt deshalb etwas aufgesetzt. Aber man wünscht den beiden, dass es so hätte enden mögen.
Abschliessend sei bemerkt, dass sich der grosse Rest von Goodbye Christopher Robin eng an die Fakten der Familiengeschichte hält, welche der Sohn nach dem Tod seines Vaters in Buchform veröffentlicht hatte.
Veröffentlichung / Verfügbarkeit:
Der Film ist sowohl als DVD als auch als Blu-ray erhältlich. Auch im Stream ist der Film im deutschsprachigen Raum zu finden – hier eine Liste der Streaming-Dienste, die ihn im Angebot haben.
Das Drehbuch: 9 / 10
Die Regie: 8 / 10
Die Schauspieler: 10 / 10
Gesamtnote: 9 / 10
Der Trailer