Jetzt die schlechte Nchricht, natürlich charten sie nicht (zumindest nicht hoch & dauerhaft), natürlich können sie die aktuell hippen, schwachbrüstigen Styleblähungen nicht ausstechen, natürlich entfallen auf zwei Top-MCs in der Absatzlogik des global(laballa)en Musikmarktes minimum 20 Halbzeller mit nasenschneebestäubten Ghostwriterlinge und natürlich sind sie die schwarzen Schwäne der empirischen Styleforschung ... aber diese Welt ist eben auch nicht Lummerland, also machen wir doch einfach das Beste draus.
Der erste statistische Ausreisser ist der inzwischen nicht mehr nur einem eingeschworenen Publikum bekannte Tech N9ne. Dessen beischlafresistenten, kometenhaften Aufstieg (inclusive veritabler Indielabelgründung) hat sicherlich der ein oder andere wohlwollend händereibend verfolgt. Kein Overnightfameplastekopf, sondern ein organisch gewachsener, hart schuftender Selfmadechiefstyler, der jede Hürde nahm & jetzt endlich oben bei den fettäugigen Industrieetats gelandet zu sein, ganz ohne sich auf dem Weg an die Spitze die Kanten, die Bedrohlichkeit & die Eigensinnigkeit nehmen zu lassen.
Auch auf der aktuellen Veröffentlichung All the 6's and 7's wird der bisherige Weg fortgesetzt, alles ist noch immer straight independent, auch wenn man jetzt mit massiver Collabodichte zu glänzen versteht, aber hier hat sich jemand so frei geschwommen, sich selbst eine solche Unabhängigkeit erschaffen, dass er einen eigenständigen Soundentwurf präsentieren kann, der in der aktuellen Veröffentlichungspolitik wie ein erfrischender Fremdkörper wirkt.
Abgesehen von den ohnehin seit eh & je gerne abgedunkelten Beatpattern überzeugt Tech N9ne (und seine Beatschmiede) durch die durchweg großartig atmosphärischen Klanglandschaften des Albums, die mehr als einmal hörspielartige Anmutungen aufweisen. Auch die verdammt clever komponierten Samples, die die subtile Bedrohlichkeit der Beatästhetik nochmals unterstreichen, muss man loben & preisen :D. Nachhaltiges Kopfkino, dass sich überdeutlich von den schnell konsumierbaren Konkurrenzentwürfen absetzt. Dieses Album wird auch noch in 3 oder 4 Jahren tight funktionieren. Und ma ehrlich, wer produziert denn bitte heute noch so?
Alle, denen bei Octagonbeats, vieldeutigen, poetisch-bildhaften, bissigen Lyrics und melancholischen MPC-Flächen die Nippel schwellen, sollten diesem Album drei/vier Durchläufe gönnen, denn dieses Monster entfaltet sich erst langsam, nimmt dich dann aber so gefangen, wie es nur wenige US-Produktionen (abseits des erzkreativen Untergrunds) der letzten Jahren gelang. Flaneurempfehlung, weil moody, kreativ und querköpfig - kurz gesagt krass hypnotisches Kopfhörerfutter. So jetzt mal ne Hörprobe und einen Erwerbshinweis (CD / MP3) bekommt ihr natürlich auch.
Nummer Zwo im Bunde ist der inzwischen 37jährige und vom Doppelbling gründlichst enttäuschte Killer Mike, der den meisten noch durch seinen Kollabopart bei Outkast's Übernummer The Whole World bekannt sein dürfte. Inzwischen gehen André 3000 & Big Boi ja leider getrennte Wege, leider - denn mich überkommt bei ihren damaligen Produktionen immer noch so ein wohliges Gefühl, aber leider wuchs ja nicht mehr wirklich viel ATL-Grandezza nach. Ich empfinde dies immer noch als Defizit.
Aber Killer Mike's neues Album könnte Abhilfe schaffen! Natürlich ist es ratsam 2011 kein Nachbasteln der bewährten Blaupause zu präsentieren, aber in diese Falle geht er nicht, vielmehr geht er weit über diese Grundlagen hinaus und kombiniert den klassische Atlantatrademarksound mit zahlreichen, teilweise überraschenden Motiven. Innovativ ist zwar was anderes, aber der Fokus liegt bei diesem Album ohnehin eindeutig auf den Inhalten, nicht auf der musikalischen Verpackung.
Dominant hierbei ist die deutliche Bezugnahme der Texte auf den politischen, bürgerrechtsbewegten Funk & Soul der 60er & 70er Jahre, Killer Mike ist verdammt weit weg von den aktuellen hedonistischen, unkritischen Kriechtieren der Charts, er wählt einen vollkommmen anderen Weg.
Die offensichtliche Tanzbarkeit des Albums maskiert zwar dessen kritische Agenda zunächst, aber wer genauer hinhört (ein heute ja leider etwas in Verruf geratener Softskill), der findet in den Texten deutliche soziale Anklagen, bittere Reflexionen über das trügerische Rapbiz und zahlreiche konkrete politische Forderungen, die sich nicht auf durch Agenturen gezähmte Pseudoawareness reduzieren lassen.
Hier fordert jemand sehr bestimmt nach Lösungen und Zukunft. Sollte sich Rap tatsächlich ma wieder auf seine sozialkritischen Wurzeln zurückbesinnen? Bei Killer Mike kann ich diese Frage nur mit einem dicken Ja beantworten. Erfreuliche Entwicklung, die gerne viel mehr Nachahmer finden könnte!
Er begnügt sich übrigens nicht mit der textinternen Kritik, auch in der Ausgestaltung seiner Videos (deren Designs heute leider deutlich mächtiger als die zu transportierenden Worte sind) bezieht er radikal Position, es scheint fast so, als hätte das Album die Frustration der Occupybewegung vorweg genommen und in Beats kanalisiert. Meines Erachtens ist Burn dieser eine politische Tune, der seit Jahren fehlte, ein notwendiger Kristallationspunkt, der klarstellt, dass komplette MCs über deutlich mehr als nur krisendiagnostische Kompetenz verfügen.
Killer Mike benennt nicht nur das Problem reflektiert & klar, sondern bietet auch Lösungen an, die manch ein Chartturner aus Angst vor Umsatzeinbrüche lieber aus dem Textheft streicht. Radikal, bissig, pointiert, wütend - ja durchaus auch ein Künstler, der das Qualitätssiegel A New Kind Of Complete MC tragen sollte.
Anbei jetzt das Video zu Burn - ein Video, welches die kollidierenden Stimmungen der US-Gesellschaft sehr gut umreisst & anhand der tatsächlichen Bilder aus Oakland erschreckend prophetisch wirkt. Achtet auch mal auf den Inhalt, mir ist schon lange kein so dezidiert politischer, auf ironische Distanzierung verzichtende Text mehr untergekommen - ein complete MC muss auch immer ein Chronist seiner Zeit sein & Killer Mike übererfüllt diese Forderung.
Wenn ihr textaffin seid, kann ich euch auch dieses Album (CD / MP3) nur wärmstens empfehlen. Leider hat man auf ein beiliegendes Textheft verzichtet, ärgerlich - denn hier wäre ein Nachlesen sicherlich spannend.