Tag 63. Samstag 6.7.2013. Von Nasbinals nach St.-Chély-d’Aubrac.
Jetzt bin ich schon in der neunten Woche und habe noch immer nicht mal die Hälfte des Weges hinter mir…
Da die heutige Etappe nicht ganz so lang ist, lasse ich mir in Nasbinals erstmal Zeit. Im leinen Laden kaufe ich ein paar Ansichtskarten, Brot und Käse. Ich werfe einen Blick in die dunkle Kirche mit ihren romanischen Bögen. Am Kirchplatz genieße ich einen Schwarztee. Der ¨Langläufer¨, der aus der Normandie stammt und in Budapest begonnen hat, taucht auf. Zuletzt habe ich ihn in Le Puy getroffen, als er mit Fußschmerzen zum Doktor ging und ich nach Clermont fahren wollte. Er ist wohl noch nicht ganz fit und macht daher nur kleinere Strecken. Dann hält ein Transporter eines Gepäckservices. Kurz darauf kommt ein zweites Fahrzeug hinzu. Jérôme steigt aus und raucht eine; er war mit mir vor ein paar tagen in Le Sauvage im selben Zimmer. Sein Wanderurlaub ist zu Ende; er ist auf dem Weg nach Aumont-Aubrac zum Bus und will noch eine Weile ans Meer ¨zum Entspannen¨.
Gegen 10.45 Uhr ziehe ich los. Der Weg ist eingezwängt: Links und rechts sind Mauern aus Feldsteinen. Dazwischen Blüten und Blüten! Der Himmel zeigt sich wolkenlos, der Blick geht weit ins Land hinaus. Grillen zirpen um die Wette. Der gelbe Enzian steht in voller Blüte und ist stellenweise sehr zahlreich. Violette Skabiosen blühen. Einzelne Arnika stehen dazwischen. Der Weg steigt langsam an. Dann kommen Kuhgatter, die man hinter sich wieder schließt. Die Wanderer laufen zwischen den Kühen hindurch, die gemütlich im wiederkäuend im Gras liegen.
Oben am Hang stehen zwei verwitterte alte Steinhäuser neben einer Wetterbuche – das typische Postkartenmotiv. Der Drahtige aus der Normandie überholt mich und grüßt. Blumenteppiche lachen mich an, das Zirpen ist Musik. Gegen 12 Uhr setze ich meinen Hut auf, Es ist heiß geworden, aber es ist trocken und stets weht ein kleines Lüftchen. Schmetterlinge flatten umher: die kleinen braun gesprenkelten und viele Bläulinge.
Der Weg zieht sich nun durch eine Art Riesenschüssel – vielleicht war das das Zentrum eines uralten Vulkans?
1367 Meter Höhe zeigt mein Navi an als ich an einer kleinen Notunterkunft auf der Paßhöhe stehe. Die Aussicht ist umwerfend. Richtung Südwesten liegt alles deutlich tiefer. Ich kann mir vorstellen, dass es in den nächsten Wochen auf ¨tieferem Niveau¨ weiter geht. Dort irgendwo ist das Tal des Lot. Ein paar Schritte weiter – es geht jetzt kräftig abwärts – taucht rechts ein riesiges Gebäude auf, das aus dunklen Granitsteinen erbaut ist: es ist ein ehemaliges Höhen-Sanatorium, heute heißt es “Aubrac Royal”. Weiter unterhalb einen burgartige Ortschaft. Das muss Aubrac sein. Die Kirche, die wie ein Querriegel oder wie eine Mauer wirkt, hat auf der ortsabgewandten Seite nicht ein einziges Fenster.
Bald bin ich dann in Aubrac (1306 m) und kehre in den alten Gasthof ¨Chez Germaine¨ ein, ein Familienbetrieb in dritter Generation. Offenbar habe ich auch die Grenze des Departements überschritten: Jetzt bin ich im Aveyron. Im Nebenzimmer tafelt eine Familiengesellschaft und es wird die Truffade serviert – ellenlange Käsefäden ziehen sich beim Zuteilen auf die Teller. Ich bestelle einen grünen Salat und eine Käsesuppe. Genau das richtige für einen Wanderer. Die Suppe besteht aus Gemüsestreifen, geröstetem Brot und Cantalkäse. Nebenan stehen riesige Blechkuchen. Vom Beerenkuchen ein Stück zum Kaffee. Genial! Die Bedienung bietet mir zwei Stempel fürs Credencial an: Der vom Haus ist eine Prägung. Dafür braucht es eine spezielle Vorrichtung.
Dann statte ich dem Besucherzentrum ¨Maison d’Aubrac¨ nebenan einen Besuch ab und erfahre einiges über die vielen Kühe im Aubrac (Spitzenwert in Frankreich) und über die Herstellung der berühmten Laguiole-Messer. Laguiole liegt etwa 19 km nördlich von hier.
Draußen treffe ich den Drahtigen aus der Normandie wieder. Er hat sich im dicken Turm neben der Kirche einquartiert. Der Turm dient als Gîte für Wanderer. Er hat gleich unten ein Bett gefunden. Wer später kommt, sagt er, müsse in eines der oberen Zimmer. Da seien es dann über 100 Treppenstufen, wenn man nachts auf die Toilette muss. Und einfach rauspinkeln gehe nicht, sagt er verschmitzt, da seien die Mauern viel zu dick.
Noch einen gigantischen Aussichtspunkt neben der Straße darf ich genießen. Dann geht es im Wald abwärts und abwärts. Ein grasgrüner Käfer fliegt vor mir los, landet nach fünf Metern wieder und wenn ich näher komme, ¨hüpft¨ er die nächsten fünf Meter vorwärts. Er versucht, vorne zu bleiben. Das Spiel dauert eine ganze Zeitlang. Cooler Hüpfer!
Noch ein Aussichtspunkt mit einem großen Holzkreuz. Eine erdbraune Kuhherde hat sich zwischen die gelben Ginsterbüsche zum Verdauen gesetzt. Ein tolles Bild.
Nur noch zwei Kilometer bis Saint-Chély d’Aubrac. Doch wie sich das hinzieht zwischen unförmigen Stolpersteinen! Dann endlich bin ich auf 822 m Höhe angekommen. Im Hotel Les Coudercous bekomme ich ein Quartier im Nebenhaus – offenbar ganz für mich alleine.
Zum Abendessen bekomme ich das Pilgermenü: Crudités, Faux Filet de Boeuf mit gratinierten Kartoffeln. Und zum Nachtisch einen ausgezeichneten Aprikosenkuchen mit Mandeln.
Heute waren es 17 Kilometer mit 640 Höhenmetern Abstieg. 1220 km insgesamt.