Goldene Zeiten und blasse Gesichter

Über Zeitalter, in denen Stukkateure Blattgold über das Elend und die Ungerechtigkeit pinseln.
Christine Wicht berichtet bei den NachDenkSeiten von Charles Derbers Buch One World. Sie pflichtet dem Autor bei, dass "mit der Globalisierung die Leiche des Vergoldeten Zeitalters wieder ausgegraben worden" sei. Es handle sich nämlich um eine "Wirtschaftsepoche [bei der] auf der einen Seite sich der Reichtum einiger Räuberbarone auf unglaubliche Weise [vermehrte] und sich auf der anderen Seite Massenarmut und Korruption verbreitet [habe]."
Goldene Zeiten und blasse GesichterAnhand des Freihandelsabkommens TTIP beschreibt Wicht ganz vorzüglich dieses New Gilded Age, in das wir eingetreten sind. Aber noch mehrere Entwicklungen unserer Zeit weisen auf die Fortschreibung dieser Wirtschaftsepoche hin. Die Korruption, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ungeniert an den Tag gelegte Moral war, ist der Wiedergänger unserer Epoche. Die Feststellung der EU-Kommission, wonach Deutschland dafür besonders anfällig sei, ist daher wenig überraschend. Sie dokumentiert nur die Normalität eines solchen Gilded Age. Aber auch die Rolle, die der amtierende Bundespräsident ausübt, deutet auf die Rückkehr jener Ära hin.

Die US-Präsidenten des Gilded Age gelten in der Geschichtsschreibung als schwach und teilweise korrupt. Sie kamen durch Proporz zur Kandidatur und fügten sich den wirtschaftlichen Entwicklungen. "Statt starker Persönlichkeiten brachte das Parteiensystem des Gilded Age zumeist schwache Politiker in das höchste Wahlamt", schreibt Raimund Lammersdorf, Direktor des Amerika-Hauses in München, in einem kurzen Aufsatz zu US-Präsident Chester A. Arthur. Diese Ära der Präsidentschaft wurde von "schwachen Kompromißkandidaten" bestimmt, die "zumeist nicht viel mehr als die obersten Verwaltungsbeamten der Republik" waren.
Natürlich spielt der Bundespräsident nicht die Rolle, die ein US-Präsident spielt. Nur in der Rolle des moralischen Gewissens der Nation kommen sie sich nahe. Aber der Sittenverfall und die Arroganz der Zeit, die schlägt bei dem amtierenden Bundespräsidenten des Gilded Age 2.0 so durch, wie bei all den unfähigen und schwachen Präsidenten der Vereinigten Staaten des traditionellen Gilded Age. Man könnte diesen Vergleich zwischen Äpfel und Birnen, zwischen Chester A. Arthur oder Benjamin Harrison (der als der unbedeutendste Präsident dieser Ära gilt) und Joachim Gauck auch unter dieses Motto stellen: Wenn sich die Zeiten vergolden, dann befällt den Intellekt und die Empathie der Rost - und der Anstand korrodiert.
Politiker degradieren sich in dieser Phase zu Predigern des Goldes. Sie kommen mit Pinseln und Bogen voller Blattgold um die Ecke und überziehen die Not, die Ungerechtigkeit und die Räuberei mit einer hauchdünnen Goldschicht. Sie sind in diesen Zeitaltern nicht mehr Volksvertreter oder Personen, die das Leben der Menschen erleichtern und verbessern wollen, sondern schlichte Ästhetik-Handwerker, einfach Stukkateure des Feinanstrichs und bescheidene Goldschmiede.
Gauck ist qua Amt ja kein eigentlicher Politiker. Er kann als Bundespräsident keine Gesetze anschieben und ist auch in Zeiten, die weniger vergoldet sind, kein Macher. Trotzdem ist er Produkt seines Zeitalters. Er mahnt wenig, lobt und beweihräuchert viel. Kritik an elitären Auswüchsen übt er zögerlich bis gar nicht. Aber die Sittenlosigkeit des ordinären Bürgers ist sein Thema. Er fabuliert von Freiheiten, die ein Gilded Age nur für Leute parat hat, die sie sich leisten können. Mehr Freiheit oder Demokratie zu wagen, kommt ihm gar nicht in den Sinn. Er tupft unentwegt Blattgold auf Fassaden. Morsches wird nicht ersetzt, es wird vergoldet. Und er stellt sich hin und erklärt dazu, dass das die beste Lösung sei. Statt als rhetorischer Statiker, der das einsturzgefährdete Gebälk bemängelt, tritt er als eloquenter Verzierer auf, der dem Einsturz mit kleinen Schönheitsmaßnahmen entgegentritt. Ganz ähnlich verhielten sich jene US-Präsidenten des ersten Gilded Age. Nur noch ein wenig korrupter vielleicht.
Gauck hätte auch Staatsoberhaupt zwischen 1870 und 1900 sein können. Und Benjamin Harrison könnte heute auch als Bundespräsident residieren. Den Unterschied würde keiner merken. Es mag sich die Mode und die Bartkultur geändert haben. Die Art und Weise wie man den imperialen Raubzug des Westens mit goldigen Reden und glänzender Rhetorik verschleiert, ist immer noch dieselbe.
Und wollte man dann doch noch Äpfel mit Äpfeln vergleichen, so könnte man sagen, dass die Rolle jener schwachen US-Präsidenten und ganz generell der wenig einprägsamen Politiker jener Epoche, mit unseren Politikern durchaus vergleichbar ist. Sie sind so blass und konturlos wie jene damals. So getrieben von den Märkten wie jene einst von den Industriemagnaten. Einen Chester A. Arthur kennen heute nur noch wenige - so wird es einem Steinmeier oder einem Friedrich auch mal ergehen. Wenn die Zeiten golden sind, sind die Gesichter darin meist recht farblos. Und wer war noch mal Steinmeier?
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