Goethe in der Campagna • Neue Version von Peter Broell.

Von Peter Broell
Kritik an einem bedeutenden Kunstwerk
Ladies & Gentlemen,
Gebietet nicht der Respekt, dass Kritik an einem wahren historischen Kunstschatz zu unterbleiben hat? Nach Meinung des Autors ist konstruktive Kritik auch an historischer Kunst ein Zeichen dafür, dass ein Werk nicht tot ist, sondern in den Köpfen der Menschen lebendig geblieben ist.     

Goethe in der Campagna, gemalt 1787

Hier und heute geht es um das berühmte Kunstwerk von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, das in Frankfurt im renommierten Staedel-Museum zu sehen ist. - Im Jahr 1887 hatte Bankier Rothschild das Portrait dem Staedel-Institut geschenkt. Das Gemälde gilt als der Stolz der Goethe-Stadt Frankfurt. So gut wie jeder Frankfurter kennt das Bild, welches Goethe als Reisenden in der römischen Campagna zeigt.

Doch nun zum Bild. Sehen Sie das Gemälde genau an. 

Goethe in der Campagna, gemalt von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein im Jahr 1787 in Rom 

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das linke, ausgestreckte Bein Goethes unnatürlich kräftig (Oberschenkel) und vor allem viel zu lang geraten ist. Das rechte, abgewinkelte Bein im Vordergrund dagegen ist um mindestens 10 cm zu kurz. Ganz zu schweigen vom rechten Schuh des Manitu. Der ist gar um einige Nummern zu klein. Außerdem scheint der zerstreute Goethe irrtümlich zwei linke Schuhe unterschiedlicher Größe angezogen zu haben, während sein armer verdrehter Knöchel gleich mehrfach gebrochen ist. 

Mag ja sein, dass es Goethes Wunsch war, dass seine Beine länger gemalt werden sollen, als sie es in Wirklichkeit waren. Aber es bedarf keiner Diskussion, dass beide Beine vom Maler selbstverständlich gleich lang darzustellen sind! Denn hätte der Dichterfürst aufstehen müssen, wäre es fürwahr ein trauriger Anblick gewesen: Goethe wäre sogleich auf die Nase gefallen. Der begnadete Künstler Tischbein hat die peinliche Fehlerserie selbstverständlich gesehen. Deshalb wurde nachträglich am rechten schwarzen Schuh heftig korrigiert. Gebracht hat es aber nichts (siehe Vergrößerung). Im Gegenteil: Die völlig missglückte Korrektur verstärkt sogar noch den Eindruck der Flickschusterei.

Eine mögliche Erklärung, weshalb ein bedeutender Maler eine derartige Makulatur ablieferte: Meister Tischbein malte das feine Gesicht Goethes, die schönen Hände, den Faltenwurf der Kleidung - eben die wesentlichen Teile in gekonnter Manier persönlich. Vielleicht haben dann Hilfskräfte im wahren Sinn des Wortes den Rest erledigt. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass Tischbein das Gemälde - unter großem Zeitaufwand - mit Übermalen hätte noch retten können! 

Für einen kompletten Neubeginn, - was eindeutig die beste Lösung gewesen wäre -, oder zumindest für eine Rettung des Gemäldes muss es wohl zu spät gewesen sein. Denn entweder stand der vom Künstler gefürchtete Liefertermin gnadenlos bevor, und/oder der Kunde war verhältnismäßig anspruchslos, und/oder der Kunde war nur sehr wenig zu bezahlen bereit. Wahrscheinlich haben in diesem Fall alle drei Gründe mehr oder weniger eine Rolle gespielt.
Nun mögen manche meiner Leser ob meiner deutlichen Kritik an hochgeschätzter Kunst vielleicht bemerken: „Und -, großer Meister Broell, könnten Sie es denn etwa besser??
Dazu P.B: „Ja! - Ich begnüge mich nicht damit einfach nur Kritik zu üben, sondern ich zeige an dieser Stelle wie es besser geht

Unten sehen Sie beide Versionen zum Vergleich einträchtig nebeneinander. Links das Original von Tischbein und rechts Peter Broell’s überarbeitete Version.


Links: Originalversion von Tischbein • Rechts: Version von Peter Broell


Wie Sie sehen, habe ich (auf dem rechten Bild) den linken Oberschenkel Goethes verkürzt. Dass das Bein insgesamt kürzer geworden ist, sieht man auch daran, dass der Schuh nicht mehr über den Steinblock herausragt. Außerdem habe ich auf dem Bild den rechten Oberschenkel Goethes verlängert und die viel zu dünne Wade kräftiger gemacht. Weil der Schuh des rechten Beines über den Bildrand hinausgegangen und somit unvorteilhaft angeschnitten worden wäre, musste der Schuh hinter Felsbrocken und Pflanzen in Deckung gehen. Natürlich waren noch andere vergleichsweise unscheinbare Änderungen notwendig, um dem Tischbein'schen Malcharakter gerecht zu werden. - 
Fazit: Mir ging es darum, aufzuzeigen, dass es besser geht!        
Dazu eine Story: Eine hochgebildete Freundin mit enorm ausgeprägtem Kunstsachverstand - nennen wir sie Kathy - besuchte mich neulich im Atelier. Selbstverständlich zeigte ich ihr den Blog-Entwurf zum Thema 'Tischbein-Goethe' und vor allem erläuterte ich ihr meine neu geschaffene Version. Etwa eine halbe Stunde später präsentierte ich beide Versionen einträchtig nebeneinander und zwar exakt jene, die Sie oben sehen.
Dann fragte ich gespannt: "Na und -, was sagst Du?" Leicht gereizt dozierte Kathy: "Peter, Du weißt, dass ich deine Arbeiten als Künstler sehr schätze! Aber nachdem ich jetzt die beiden Bilder so nebeneinander sehe, muss ich Dir einmal ganz ehrlich sagen, dass die großen Meister vergangener Jahrhunderte eben doch ein sehr gutes Auge hatten. Deshalb gefällt mir, jetzt bitte nicht beleidigt sein, die rechte Version wesentlich besser als deine Arbeit links. Auf der rechten Version sieht das Gemälde nämlich viel natürlicher aus. Tja,Tischbein wußte damals halt schon wie man so etwas macht. - Bist du jetzt sehr gekränkt?" 
Ich sagte nur: "Danke Kathy für das schöne Kompliment!" ---
              
Am Rande erwähnt: Als Lithograph zählten für mich Korrekturen jeder Art an aufwändigen Objekten zum beruflichen Alltag. Eine Arbeit konnte noch so gut und gewissenhaft ausgeführt sein, - ängstliche Kreative großer Werbeagenturen und Verlagshäuser, die sich gegenüber konkurrierenden Mitarbeitern zu profilieren suchten, fanden in der Regel auch allerkleinste Macken, die meine Kollegen und ich dann zu beseitigen hatten. Aus diesem Grund dürfte mein Blick für fehlerbehaftete Arbeiten besonders ausgeprägt sein, zumal ich auch jahrelang als Endkontroller für Lithographen-Kollegen fungierte. Aber bitte keine Sorge: Das Lächeln der berühmten Mona Lisa hat mich bislang noch nicht gestört. Deshalb droht diesbezüglich auch kein Korrekturvorschlag von mir. :-)
             Nun will ich diesen Blog an Staedel-Direktor Max Hollein senden. Gespannt bin ich auf dessen Kommentar. Als gesichert darf jedoch gelten: Eher würde Hollein bei Jahrhundert-Hochwasser von der Mitte des nahegelegenen Holbeinstegs kopfüber in den Main springen, als dass er eine nachträgliche Korrektur an einem berühmten Gemälde zulassen würde.  
Aber wenn Hollein mutig ist - und das ist er zweifellos - dann präsentiert er im Staedel dem geneigten Publikum im Rahmen einer Sonderschau beide Bilder in gleicher Größe (Oil on Canvas) nebeneinander. Auf diese Weise bietet sich dem Museum die seltene Gelegenheit, um die Lebendigkeit und Aktualität der Kunst im Frankfurter Staedel deutlich zu machen. --- Peter Broell
Post Scriptum: Ich freue mich über Kommentare: peter.broell@gmail.com