Goethe: Der Groß-Cophta

Die Goethestatue

Goethe. Bronzestatuette, die wir uns vor einigen Jahren geleistet haben.

Auf dieses Gelegenheitsstück mit dem obskuren Titel machte mich Stefan Zweig in seiner Marie-Antoinette-Biographie aufmerksam. Dort schildert Zweig die sogenannte „Halsbandaffäre“ (1785) in aller Genauigkeit, und das ist ein Höhepunkt der Biographie. Dabei erwähnt er, dass die Affäre mehrfach literarisch verarbeitet worden sei, unter anderem von Alexandre Dumas und – von Goethe in seinem Lustspiel in fünf Aufzügen „Der Groß-Cophta“, das er 1791 schrieb.

Wenn man die Affäre kennt – ich fasse sie für Nicht-Kenner unten zusammen -, dann gefällt das Stück, ja, es amüsiert. Goethe führt vor Augen, wie leicht Menschen getäuscht werden können und wie raffiniert der Mensch ist, wenn es darum geht, andere zu täuschen.

Der Getäuschte ist hier in erster Linie der Domherr (reales Vorbild: Kardinal Rohan von Straßburg), der in seiner Liebe zur Prinzessin (Vorbild: Marie Antoinette) völlig verkennt, wie er Betrügern auf den Leim geht. Der zweite Getäuschte ist der „Ritter“ (ohne reales Vorbild), der aber im Lauf des Stückes schrittweise die Verlogenheit seiner falschen Freunde erkennt und dann zur Aufdeckung im fünften Akt schreitet. In Wirklichkeit ist die Affäre nicht so plötzlich ans Licht gekommen, aber Goethe musste um der Theaterwirksamkeit willen hier das geschichtliche Geschehen straffen.

Die Betrüger:

Da ist einerseits die „Marquise“ (Vorbild: Gräfin La Motte), die mit einer gewitzten Strategie den Kardinal ausnützt: Sie lässt ihm gefälschte Briefe der Prinzessin zukommen, die ihn glauben machen, die Prinzessin habe ihm endlich ihre Gunst zugewendet und bitte ihn, ein kostspieliges Collier für sie zu erwerben. Der Kardinal macht das sofort, übergibt der falschen Marquise das Geschmeide – die es sofort zerlegt und ihren Mann mit den Diamanten nach England schicken will. Dieser, der „Marquis“ ist ihr Komplize, der sich des neu gewonnen Reichtums zu freuen gedenkt. Allerdings hat er hinter dem Rücken seiner Frau eine Liaison mit deren Nichte angefangen. Diese Nichte (sie tritt bei Goethe an die Stelle der die Königin mimenden Hure) ist eine Unschuld vom Lande, die der Marquise gleich einmal den Ehebruch mit ihrem Mann gesteht, dann von dieser gezwungen wird, die Prinzessin zu spielen, das alles aber dem Ritter gesteht, der im Nebenzimmer an der Tür lauschen kann, als der Marquis die Nichte überreden will, sie schnurstracks nach England zu begleiten.

Ein weiterer Betrüger, der am Rande ebenfalls in die Halsbandaffäre verwickelt war, ist Cagliostro, bei Goethe „Graf von Rostro“. Bei Goethe spielt er eigentlich die Hauptrolle. Meisterhaft nützt er die Neigung der Menschen um ihn aus, die für esoterische Lehren und Wundertaten anfällig sind. Und genau darin ist das Stück bis heute mehr als aktuell, denn esoterische Scharlatanerie feiert auch gegenwärtig noch fröhliche Urstände, wobei natürlich damals wie heute die „Gläubigen“ durch Aufklärung nicht zu belehren sind. Rostro wird nur von der Marquise, seinem weiblichen Gegenstück, durchschaut, doch zwischen den beiden, die sich in ihren Machenschaften nicht in die Quere kommen, entsteht sofort eine stillschweigende Komplizenschaft. Die Marquise stellt dem Grafen ihre Nichte als seherisches Medium zu Verfügung, und diese sieht sich gezwungen, da mitzuspielen. Rostro kündigt seinen Adepten an, er werde sie dem ägyptischen Esoterikmeister Groß-Cophta (vielleicht ein Wortspiel: Großköpfiger) vorstellen – und als dieser dann bei einer Séance erscheint, erweist er sich als der Graf von Rostro selbst. Ein Chuzpe, die nur die Marquise richtig, nämlich als faulen Zauber, zu würdigen weiß.

Im fünften Akt fliegt alles auf, da der Ritter sich an den Fürsten gewandt hat und nun gemeinsam mit der Schweizergarde alle Gauner hops nimmt. Die Nichte wünscht allerdings, statt gemeinsam mit dem Marquis und der Marquise in die Verbannung geschickt, lieber allein in eine Kloster gesteckt zu werden. Der Ritter, der zu spät ihre – relative – Unschuld erkennt, bedauert nun, auch sie verhaften lassen zu haben. Der Domherr kommt, da er ja nur hinters Licht geführt wurde, ebenfalls glimpflich davon.

Laut Einführung von Kurt May hat man „die kühle glatte Formung, die blendenden Effekte und den mangelnden Ausdruck eines echten Gefühls und eines starken Ethos immer beklagt. […] Keiner wollte sich getroffen fühlen von diesen Bildern der Entartung, keiner hat hier eine heilende und helfende Kraft des Autors verspürt. Und doch bedeutet das Werk etwas für das Goethe-Verständnis. Es ist wichtig, daß Goethe, der so leidenschaftlich gegen die Revolution sich wenden mußte, weit entfernt war, das ancien régime zu bejahen mit seiner absterbenden Monarchie und dem verkommenen Feudaladel.“ (S. 1226f)

Ich las das Stück in der dtv-Taschenbuchausgabe der Artemis-Gedenkausgabe. Mit dieser Ausgabe hat es eine spezielle Bewandtnis: Schon als Student liebäugelte ich mit diesen achtzehn grünen Bänden, die jahrelang unverkauft in meiner Lieblingsbuchhandlung standen. Zum Neupreis waren sie mir aber damals zu teuer. Schließlich landeten die Ladenhüter im Abverkauf – und ich konnte die Bände doch noch erwerben!

Johann Wolfgang Goethe: Der Groß-Cophta. In: J. W. G.: Sämtliche Werke. Artemis-Gedenkausgabe, dtv-Dünnruck, München, 1977. Band 6, Seite 581 – 669.

Die Halsbandaffäre:

Marie Antoinette weigerte sich, mit dem bei ihr aus irgendeinem Grund in Ungnade gefallenen Kardinal Rohan auch nur ein Wort zu wechseln, dieser hingegen brannte darauf, bei ihr in Gunst zu stehen. Diese Konstellation nützte die gerissene Gräfin La Motte aus, gab sich als Hofdame und enge Vertraue Marie Antoinettes aus, fälschte Briefe an den Kardinal, die dieser für echt hielt, und ließ ihn „im Namen der Königin“ das sündteure Halsband erwerben, vor dessen Kauf sogar die verschwenderische Marie-Antoinette zurückgeschreckt war. Um den Kardinal zu einer solch gigantischen Ausgabe (1,6 Millionen Livres) zu bewegen, wurde eine nächtliche, einsame Begegnung mit der „Königin“ arrangiert, die von einer Hure gespielt wurde. Der Betrug gelang, da die Hure nur wenige Wort zu sagen hatte und sich alles in einem besonders dunklen Winkel des Schlossparks von Versailles abspielte. Erst als Monate später die erste Rate des Millionenkaufs fällig geworden wäre, beschweren sich die beiden Juweliere bei der Königin über die Säumigkeit der Zahlung – und als sie endlich einsehen, dass die Königin wirklich nichts von der Sache weiß, bricht das Lügengebäude zusammen. Der Kardinal wird unter schmählichen Umständen gefangengenommen, Marie Antoinette besteht auf einem Gerichtsverfahren – und schneidet sich damit ins eigene Fleisch. Die Gräfin La Motte, die bereits mit ihrem Mann ein protziges Neureichen-Leben führte, sowie die Hure werden festgenommen, der Mann konnte sich rechtzeitig nach England absetzen und dort die Diamanten losschlagen.

Der nun folgende Prozess entwickelt ein für Marie Antoinette unerfreuliches Eigenleben, denn es wird der Eindruck geschürt, eigentlich sei Marie Antoinette die in Wahrheit Schuldige, und die Angeklagten nur vorgeschobene Bauernopfer. Dementsprechend milde fallen die Urteile aus, die Hure geht frei und die Gräfin wird zu ihrem Mann nach England „verbannt“ – von wo aus sie gehässige Pamphlete gegen Marie Antoinette verbreitet. Rohan wird völlig freigesprochen – auch er als Opfer der geheimen Intrigen Marie Antoinettes. Laut Stefan Zweig war die ganze ungeheuerliche Angelegenheit nur möglich, weil man in der Öffentlichkeit wie in Adelskreisen Marie Antoinette schlicht alles zutraute, auch exorbitant teure Einkäufe oder nächtliche Stelldicheins mit Liebhabern.



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