Stefan Bollmann – Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist
Den Werther habe ich gehasst; der Faust hat mir damals in der Schule sogar ganz gut gefallen. Und doch war mit Goethe an sich irgendwie immer unsympathisch ohne dass ich dieses diffuse Gefühl genauer hätte beschreiben können. Auch hat mich die Tatsache, dass mir der Faust gut gefallen hat nie dazu bewegen können, mir Goethe über die schulische Pflichtlektüre hinaus anzueignen. Seine Gedichte habe ich nicht gelesen, neben Werther und Faust kenne ich aus seinen Werken nichts.
An Stefan Bollmanns Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist habe ich mich trotzdem gewagt. Und ich bin froh, dass dem so ist. Bollmann nähert sich in diesem Buch dem großen Hessen nämlich gänzlich unverklemmt und mit neugierigem Blick. Beleuchtet Goethes Kindheit und die Emanzipation vom dominanten Vater, der will, dass der Sohn in seine Fußstapfen tritt und Notar wird. Diese Emanzipation Goethes ist der springende Punkt. Ein Leben ohne Goethe ist nämlich laut Bollmann nicht deshalb sinnlos, weil einem dann teilweise wunderschöne Literatur entgeht. Vielmehr ist ein Leben ohne Goethes Lebensart sinnlos. Bollmann zelebriert nicht nur Goethe, den Wörterschmied, sondern Goethe, den Individualisten, der einen eigenen Weg geht und sich dabei nicht um gesellschaftliche Konventionen und Erwartungen schert.
Bollmann hat einen kurzweiligen Rundumschlag zu Goethe als Mensch und Goethes Leben hingelegt: er geht auf autobiographische Einflüsse auf Goethes Werk ein, auf dessen Leben und Lieben und außerdem – für mich ein absolutes Highlight – seinen Wohnraum und die Art und Weise in der der Wohnraum eines Menschen nicht nur widerspiegelt was für ein Mensch hier wohnt, sondern auch die Aktivitäten, Talente und Leistungen eines Menschen ermöglicht und fördert. Und dabei kommt er immer wieder darauf zurück, welche Lehren wir aus Goethes Leben ziehen können. Besonders bleibt dabei eine Schlussfolgerung haften:
„Die Liebesleidenschaft ist für Goethe der höchste Sinn des menschlilchen Lebens; es ist auch der mit dem höchsten Einsatz. Durch die Liebe ist das Dasein gerechtfertigt, ganz egal, ob der Liebende gewinnt oder scheiter und wie hundserbärmlich er auch immer darunter zu leiden hat.“
Goethe ist ein Wanderer – in vielerlei Hinsicht. Zum einen im wörtlichen Sinne und als eine Art Vorläufer zu Schubert, Wordsworth und Baudelaire, zu einem gewissen Grade sogar zuu Jack Kerouac. Gleichzeitig ist er ein Wanderer im übertragenen Sinne, einer, der sich nicht auf ein Feld festlegt, der viele Berufe ausübt, sich einer Vielzahl an Interessen hingibt und sich wieder und wieder mit neuen Themen beschäftigt und fordert: Politik, Kultur und Naturwissenschaften und immer wieder Literatur und Sprache. Nur die wenigsten können da mithalten oder sich einem vergleichbaren Lebenswandel hingeben. Aber, so Bollmann (und Goethe) es geht schließlich nicht darum, „mitzuhalten“. Vielmehr, so die wichtigste Lehre, die wir aus diesem wahnsinnigen Leben ziehen können, geht es darum, sich selbst zu erkennen und darauf basierend sein eigenes Leben zu leben. Am besten stets nach Goethes Lebensregel:
Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Musst dich ums Vergangne nicht bekümmern;
Das Wenigste muss dich verdrießen;
Musst stets die Gegenwart genießen,
Besonders keinen Menschen hassen
Und die Zukunft Gott überlassen.
Kurzfazit: Goethe als Vorbild für ein erfülltes und befriedigendes Leben.
Ich danke dem DVA Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.
Kategorien: Deutschland | Tags: Biographie, Buchliebhaber, Sachbuch, Weltgeschichte | Permanentlink.