Wenn überhaupt, ist Lazzaro ein profaner Heiliger. Der Heiligenschein zeigt sich im Gesicht dieses unaufdringlichen Arbeiterkerls, es ist sein Grinsen. Schmächtig zieht es eine weiche Linie, die anhält. Lazzaro, der von Adriano Tardiolo urstofflich und leise gespielt wird, tappst unscheinbar und schweigend durch den Tag, die Zeit. Und immer, wenn er begafft, beglotzt wird, als er ob ein Ventil eigener Verfehlungen sei, dann blickt er unscheinbar und schweigend drein. Lazzaro ist Irgendeiner, seine Verteidigung ist seine Selbstlosigkeit, das sommerliche Strahlen, der ornamentlose Gang. Alice Rohrwacher hat einen bemerkenswerten Film über das Randständige wie das Anständige inszeniert, konzentriert auf eine Figur, die sowohl im Agrarischen als auch im Zivilisatorischen ihre ausgedehnte Nichteindeutigkeit behält. Aus Lazzaro spricht selten eine konkrete Idee. Das Gesagte schwappt eher über in das Gemeinte, und dieser Lazzaro ist daher der sanfteste Träumer unter den sanften Träumern des italienischen Kinos. Ohne zu murren, befördert er Heu in die Drechselmaschine, richtet seine Frisur, füttert die Schafe und passt auf die Wölfe auf. Er ist der Packesel in seiner Heimat, einer rauen, naturnatürlichen Dorfgemeinschaft in Inviolata. Zum Arbeiten, aber auch zum Helfen ist sich Lazzaro nicht zu schade. Als ihn Tancredi (Luca Chikovani) - Faulenzer, Freund - um eine blutige "Unterschrift" bittet, fügt sich Lazzaro wie selbstverständlich eine Schnittwunde zu.
Womöglich ist es kein Zufall, dass Lazzaro und Lazarus phonetisch ähnlich sind, denn Alice Rohrwacher benutzt und modernisiert jene biblische parabolische Erzählung, wonach sich Lazarus und ein namenloser reicher Mann in einem asymmetrischen Besitzverhältnis zueinander befinden. Die Filmemacherin ließ sich außerdem von einem realen Kriminalfall inspirieren. Ihr diente, so Rohrwacher, die "wahre Geschichte einer Marchesa [...], die die Abgeschiedenheit ihrer Ländereien nutzte, um ihren Bauern die Information über die Abschaffung der Naturalpacht vorzuenthalten." Tatsächlich ächzt Inviolata unter der destruktiven Herrschaft der Marquesa Alfonsina de Luna (Nicoletta Braschi), ächzt unter pietätlos durchgerechneten Schulden und anachronistischem Stillstand. Die Bauern, in deren Tätigsein Rohrwacher die Feinschichten unsentimentaler Poesie hervorzaubert, sind grantige, kernige Sklaven, eingepfercht und ausgebeutet von einer Geschichte, die sich rückwärts orientiert. In dieser ersten Filmhälfte atmet jedoch, nichtsdestotrotz, das Leben, die Unschuld. Im Super-16-Format gedreht (Kamera: Hélène Louvart), zerbersten Randnotizen zwingend menschlicher Empfindungen in grobes, gesticktes Gestein, das greifbar, riechbar ist. Und über allem thront die Zwanglosigkeit nahe dem italienischen Neorealismus - die Rührung, Berührung, das Berührtwerden entspringt einer Selbstdisziplinierung, Leben zu dokumentieren.
Das Dorf lebt seinen ihm eingeschriebenen Glauben. Humorvoll beleuchtet Rohrwacher die Mythen und den Aberglauben, etwa die Angst, seichtes Wasser zu überqueren oder die Prophezeiung, dass Wölfe Menschen fressen. "Glücklich wie Lazzaro" vegetiert an der Schwelle zum Schamanistischen, der Film überquert den Realismus gleichermaßen, indem er die Magie, das Märchen subtil antastet. Dazu passt Lazzaros "Auferstehung", nachdem er von einer Bergschlucht gefallen ist, die Augen behutsam aufschlägt und - er lag anscheinend mehrere Jahre in der Schlucht - nicht alterte. Der überraschende Twist, den Rohrwacher lustvoll ausspielt, bedeutet zugleich eine postheroische Metamorphose vom Ruralen zum Urbanen. Plötzlich entpuppt sich ein einst rotes Licht am Himmel, von einer anderen Galaxie stammend, als Signallicht einer Industrieanlage. Lazzaro muss diese "große Befreiung" infolge des "großen Betrugs", so ein vergilbter Zeitungsartikel, erst kennenlernen. Die zweite Hälfte des Films ist damit eine Zeitreise. Nur noch Schätze des Vergangenen veredeln das Vergangene, Ausgrabungsstücke wie wertvolles Besteck, das über die Jahre in der Schublade verblieb, halten die Erinnerung an das Draußen aufrecht. Im Drinnen wiederum, in der Stadt, am Stadtrand, pulsiert das Moderne, Harte, Glatte und Schmutzige ökonomisierten Überlebens. Weit entfernt sind die Eindrücke von jener Ausbeutung, wie sie Lazzaros Dorf zu spüren bekam, nicht.
Auch das Leben außerhalb des Ländlichen beinhaltet (materielle) Herausforderungen. In einer der eindrücklichsten Szenen feilschen potenzielle Arbeitsbewerber um ihren ihnen zustehenden Lohn, der paradoxerweise stetig nach unten korrigiert wird. Dennoch erträgt Lazzaro - er ist Zuschauer dieser bizarren Auktion - die Veränderung, wie er Veränderungen erträgt. Zum Geist erklärt, kehrt er zurück und entdeckt inmitten von Abfall und Unkraut die Menschen, mit denen er zusammenlebte, sichtlich gealtert, gezeichnet, vernarbt. "Glücklich wie Lazzaro" ist auch eine Sozialkritik - der Unterschied zwischen den besten Törtchen der Stadt und einer sparsamen Abendmalzeit, die aus essbaren Pflanzen und Kartoffeln besteht, belastet die Menschen, ohne gleichwohl ihr Glück zu marginalisieren. Mit Lazzaro kehrt die Zeit in die Stadt zurück, wo sie ansonsten schneller zu vergehen scheint und umstandslos beschleunigt. Das daraufhin Heilige entzündet sich an einer unverhofften Begegnung (Tancredi mitsamt Hund und Witz), an einem erfolgreichen Verkauf, an gefundener Nahrung, an einem Kirchenbesuch, der unerwünscht ist, aber die Tasten verstummen lässt und die Musik unendlich echot. Wie jeder Heiliger allerdings wird auch Lazzaro verleugnet, beschimpft, geschlagen. Er wehrt sich nicht, er erträgt es. Das heilige Moment Lazzaros besteht darin, dass er gibt, einsteckt, vergibt. Nie würde er sein Grinsen verlieren, nie würde er lachen.