Gleichnisse

Erstellt am 21. Januar 2011 von Andramas

Man hat sie stets zur Hand und sieht zu, dass sie passen.

Und: Die Schulden der Anderen bemerkt man insbesondere dann, wenn man gerade selbst Geld benötigt.

Ein Moldawier – den sie hier in Berlin immer nur den Russen nennen – schuldet mir Geld. Und rührt sich nicht – kein Mucks! Worüber ich mich ärgere und was sie mich zum Handeln treiben lässt.

“…und was willst du nun unternehmen?”

Dies klingt sehr eindringlich.

Ich versuche mich zu rechtfertigen, indem ich ihn rechtfertige.

“Vielleicht hat er nicht genügend, um zu zahlen?”

Soll ich etwa für die paar Kröten ein Inkassounternehmen beauftragen?

Bringt doch nichts.

Sie bleibt hartnäckig:

“Meine Großmutter war aus anderem Holz geschnitzt. Für das, was ihr zustand, war sie sogar bereit, ihr Leben zu riskieren.”

Sie repetiert eine Geschichte, die ich bereits kenne. Aus den Vierzigern des vergangenen Jahrhunderts.

In den Tagen, da die Deutsche Wehrmacht Kiew verließ, stahl ein deutscher Unteroffizier den Pelzmantel ihrer Großmutter. Was sich die Dame sich nicht gefallen ließ. Die Truppe war wohl bereits angetreten und setzte sich in Bewegung und wurde von ihrer Großmutter behindert, indem sich diese an den Dieb klammerte und diesen zeternd ersuchte, das Diebesgute heraus zu geben. Woraufhin der Kommandeur “Halt!” befohlen haben soll und etwas Deutsches gesagt habe. Der Delinquent trat schließlich vor, mit der Geste, dass es ihm leid tue und gab er ihr den Mantel zurück.

“Babuschka hätte auch erschossen werden können, aber sie hatte die Energie, sich für ihr Eigentum einzusetzen!”

Hmmm.

Die Geschichte kann aber auch für anderes als Gleichnis gelten.

“Vielleicht waren nicht alle Deutschen so, wie du sie aus den sowjetischen Kriegsfilmen kennst?  – Und bist du sicher, dass es genau so hätte geschehen können, wenn der Kommandeur ein Moldawier gewesen wäre?”

Immer versuche ich alles zu verkomplizieren, hält sie mir vor.

Das Leben ist Zickzack, daher von sich aus kompliziert, halte ich dagegen.


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