Glaube – sich dem Erleben öffnen

Glaube – sich dem Erleben öffnenVertrauen bzw. Glaube bedeutet, sich dem Lebensprozess zu öffnen. Dies bedeutet, dass wir bereit sind, unsere Ängste und Hoffnungen loszulassen und uns auf das Frische und Unbekannte einzulassen. Das Sanskrit-Wort „Shraddha“ beschreibt eine geistige Eigenschaft, die Vertrauen, Klarheit, Zuversicht und Hingabe umfasst. Die Entwicklung dieser spirituellen Fähigkeit ist am Beginn der Meditationspraxis von großer Bedeutung, da sie uns dabei hilft, uns jedem Augenblick zu öffnen und in Kontakt mit der unmittelbaren Wirklichkeit zu treten. In zwei bereits erschienenen Beiträgen habe ich über die Bedeutung von Vertrauen und Glauben im Dharma geschrieben. Hier nun der dritte und abschließende Teil über die Merkmale des Vertrauens, den Fehler im Mangel an Vertrauen und über den Nutzen des Kultvierens von Vertrauen. Abschließend folgen ein paar Gedanken zum angewandten Vertrauen.

Die besonderen Merkmale des Vertrauens sind wie ein fruchtbares Feld, auf dem der Same des Bodhicitta wachsen und gedeihen kann. Ebenso ist Vertrauen wie ein Schiff, das einen über den Fluss von Samsara bringt. Vertrauen schützt die Praktizierenden vor ihren größten Feinden – den störenden Gefühlen. Vertrauen bzw. Glaube ist eine der sieben edlen Reichtümer auf dem Pfad der Befreiung.
Jene Leute, denen es an Vertrauen mangelt, sind vom glücklichen Umstand getrennt, den Dharma zu praktizieren. Verglichen wird dies mit einem Felsen am Meeresgrund, der niemals an die Oberfläche aufsteigen kann und daher niemals das trockene Land der Befreiung erreichen wird. Man kann diesen Umstand aber auch mit einer Fähre vergleichen, die ohne Fährmann ist, da man ohne Vertrauen bzw. Glauben den großen Strom des Leidens niemals überqueren wird können. Egal wie klug und geschickt jemand auch sein mag, aber ohne Vertrauen bzw. Glauben ist diese Person immer in der Grube der zyklischen Existenz gefangen. Alles was man auch macht, wird zu einer Handlung, die in den Daseinskreislauf hineinführt und daher ist es unmöglich, die Freiheit der Erleuchtung zu erlangen. Wie schon im Sutra der zehn Eigenschaften vermerkt: „Aus gerösteten Samen wird nichts Grünes sprießen. Ebenso ist’s bei jenen, die kein Vertrauen haben. Auch hier wird nichts Heilsames entstehen.“
Es gibt zahllose Tugenden des Pflegens und Vermehrens des eigenen Vertrauens. Zunächst ist Vertrauen die Grundlage der gesamten heilsamen Praxis. Daher reinigt es alle Leiden des Daseinskreislaufs und ist der erste Schritt auf dem Pfad der Befreiung. Als Resultat des Vertrauens, behüten die Buddhas und Bodhisattvas einen beständig im Geiste. In allen Leben wird man, sobald man geboren ist, auf einen erhabenen Lehrer, die heiligen Lehren und auf spirituelle GefährtInnen treffen. Und man wird in der Lage sein, den Dharma auszuüben. Man wird dann auch Zeit seines Lebens beschützt und behütet sein. Abends wird man friedlich einschlafen und erfreuliche Visionen von Buddhas und Bodhisattvas haben und auch den Dharma praktizieren. Man wird alle Wünsche erfüllen und schließlich friedlich sterben. Dabei wird man von den Buddhas und Bodhisattvas geführt werden. Im Zwischenzustand wird man keine schrecklichen Erfahrungen machen. Wo immer die früheren Wunschgebete einen hinführen, dort wird man wiedergeboren werden und die Linie der Drei Juwelen hochhalten. Schließlich wird man rasch Buddhaschaft erlangen.

Angewandtes Vertrauen

Wie können Vertrauen bzw. der Glaube unsere Praxis vertiefen? Wir können auf einer einfachen Verständnisebene von Aspekten des Dharma, den Symbolen, einem Gespräch, einer Begegnung etc. angeregt und inspiriert werden. Diese Inspiration kann in unserem Geist Klarheit und Hingabe entstehen lassen. Verbinden wird dies aber nicht mit dem Leben, dann kann der Glaube auch zu einem blinden Glauben werden. Setzen wir unseren Verstand und unser Unterscheidungsvermögen geschickt ein, nutzen wir diese Werkzeuge dazu, um unsere Erfahrungen zu untersuchen, dann dringen wir auf eine tiefere Ebene des Vertrauens vor. Es entsteht der überprüfte Glaube oder eifriges Vertrauen. Auf dieser Ebene nehmen wir gewisse Elemente des Dharma – wie Buddhanatur, Vergänglichkeit, Ich-Losigkeit – in unser Leben auf und vertrauen aufgrund von Erforschung, Nachdenken und Einsicht. Wir glauben aufgrund der eigenen Erfahrung daran. Auf dieser Ebene beginnt sich die Trennung zwischen Übung und Leben aufzuheben. Wir beginnen, den Graben dieser Spaltung zu überwinden und sehen unser Leben als geschicktes Mittel (oder Hilfsmittel) zur Entwicklung von Weisheit.
Wenn wir unsere Praxis vertiefen und jenseits von Äußerlichkeiten gelangen, erreichen wir einen Zustand intuitiver Weisheit. Dieser Zustand ist dann wie ein magisches Juwel, das in der Lage ist, alle Unreinheiten zu beseitigen. Dadurch werden Zweifel und innere Erregtheit zur Ruhe gebracht und ein Gefühl der geistigen Klarheit, Reinheit und geist-emotionalen Offenheit ist gegeben.
Unsere Fähigkeit, sich dem Augenblick zu öffnen, mit der Wirklichkeit in Kontakt zu sein, wird oftmals von Erinnerungen aus Vergangenheit und Projektionen auf die Zukunft überlagert. Wir hindern uns einfach durch unsere inneren Dialoge daran, mit denen wir diese Erinnerungen und Projektionen am Leben halten. Hatten wir in der Vergangenheit einmal eine angenehme Erfahrung, dann wollen wir sie in Zukunft wiederholen. Allerdings vergessen wir dabei gerne auf die entsprechende Ursache und die begleitenden Bedingungen dafür. Wenn wir eine unangenehme Erfahrung hatten, versuchen wir sie zu verhindern. Jede Erfahrung vergeht – egal ob angenehm oder unangenehm.  Versuchen wir Vergangenes wiederzuerlangen, dann machen wir uns zu Sklaven unserer Erinnerungen. Wir können aber auch unsere ganze Zeit mit Hoffnungen an die Zukunft vergeuden. In beiden Fällen sind wir jedoch nicht mit dem Augenblick und dem vorhandenen Erleben des Grundgefühls, das als Auslöser für den Geschichtenerzähler dient. Wir leisten auf diese Weise Widerstand zum tatsächlichen Erleben und verschließen uns der heilenden Kraft des Glaubens.


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