Girl
8DramaObwohl Lukas Dhonts eindrucksvolles Debüt einem Lehrfilm streckenweise gefährlich nahekommt, obsiegt die Charakterstudie durch die differenzierte Natürlichkeit des Hauptdarstellers.
In seiner ersten Kinorolle verkörpert Viktor Polster brillant das Nebeneinander von Verwundbarkeit und Stärke der 16-jährigen Lara, deren selbst initiierte Angleichung ebenso belastend wie befreiend ist. Die entschlossene Protagonistin strebt parallel nach drei verschlungenen Idealen, die jedes anders unerreichbar scheinen: Autarkie, Weiblichkeit und Ballett. Die Profession zelebriert ihrerseits ein extremes Konzept der femininen Formvollendung und dient dem sensiblen Porträt als Symbol des Balanceakts zwischen Selbsterfüllung und Selbstversagung.
Kongruenz und Dissonanz von Empfindung und Form stehen im Zentrum der zurückgenommenen Story, deren schlichter Titel bereits geschickt auf die Undefinierbarkeit trügerisch simpler Zustände verweist. Identität enthüllt sich als doppeltes Konstrukt; eines sozial vorgegeben und eines, das sich jeder im Laufe des Heranwachsens schaffen muss. Für Lara ist dieser Vorgang ungleich schwieriger, trotz der breiten Unterstützung seitens ihres fürsorglichen Vaters (Arieh Worthalter), der Ärzte und des Familienumfelds. Mit eisernem, oft brutalem Determinismus ringt sie um eine Vollkommenheit, die ihre quälenden Unzulänglichkeitsgefühle mit einem Schlag beenden soll.
Unerbittlicher Perfektionismus ist ihr Schutzmechanismus in einer Situation, die eine permanente Angriffsfläche bietet. Die vordergründige Akzeptanz ist brüchig, signalisieren das tadelnde „Junge, Junge“ der Tanzlehrerin und eine traumatische Grenzüberschreitung der Schulkameradinnen. Ohne in Sentimentalität und simplifizierte Lösungsvorgaben auszuweichen, lotet der internalisierte Plot in schmerzlichen Szenen die emotionale Komplexität der Problematik aus und offenbart parallel die universelle Facette eines spezifischen Konflikts: die sublimierte Bestrafung eines Körpers, der nicht die ersehnte Gestalt oder Belastbarkeit besitzt. Die rohe Katharsis der aufgestauten Aggression mag aufgesetzt wirken; der Schmerz dahinter bleibt authentisch.
Regie: Lukas Dhont, Drehbuch: Lukas Dhont, Angelo Tijssens, Darsteller: Victor Polster, Arieh Worthalter, Valentijn Dhaenens, Nele Hardiman, Filmlänge: 105 Minuten, Kinostart: 04.01.2019