“Ginger & Rosa” von Sally Potter

© Concorde Filmverleih GmbH / Ginger und Rosa demonstrieren gegen Atomwaffen

© Concorde Filmverleih GmbH / Ginger und Rosa demonstrieren gegen Atomwaffen

Die 1998 geborene und in diesem Jahr fünfzehn Jahre alt werdende Elle Fanning, Schwester von Dakota, hat schon jetzt einen Ruf als großartige Schauspielerin, die Emotionen und Gefühle auf der Leinwand darstellen kann, wie keine andere Jungschauspielerin in ihrem Alter. Sie ist ein kleiner aber stark leuchtender Stern der über Hollywood kreist. Sie wurde von Sofia Coppola für „Somewhere“ engagiert, durfte in Cameron Crowes “We Bought A Zoo“ mitwirken und zeigte eine großartige Performance in J. J. Abrams’ „Super 8“. Ihr neuester Film vereinte sie mit der Filmemacherin Sally Potter, in deren Film „Ginger & Rosa“ sie die geballte Angst einer ganzen Generation zum Ausdruck bringt.

Die beiden Teenagerinnen, deren Namen sich im Filmtitel wiederfinden lassen, sind Kinder der frühen 60er Jahre und beste Freundinnen. Sie schwänzen gemeinsam die Schule, reden stundenlang über Liebe, Religion, Politik und träumen dabei von einer Zukunft voller Freiheiten, wollen Abenteuer erleben und nicht so enden wie ihre Mütter, die im tristen Alltag zu zergehen drohen. Doch ebenso wie ihre Vorstellung von Freiheit auseinander driftet, beginnt sich ihre Freundschaft zu entzweien. Ginger (Elle Fanning) kämpft für die Freiheit der Welt, geht im Zuge des drohenden Kriegs und der Kuba-Krise zu Ban-the-Bomb Treffen um Demonstrationen gegen die atomare Waffenkraft beizuwohnen. Derweil verliert sich Rosa (Alice Englert) in der sexuellen Freiheit, umschwärmt Gingers Schriftsteller-Vater, der das Begehren der jungen Frau gerne erwidert.

Ginger (Elle Fanning)

Ginger (Elle Fanning)

Eindringlich macht uns Sally Potter klar, welch feste Freundschaft hier durch die Zeit der atomaren Bedrohung und sexuellen Revolution zerbrochen wird. Mit welch zerstörerischer Kraft ein dickes Band entzweit werden kann, dass von Geburt an vorhanden war. Schon die Mütter der beiden Mädchen werden gemeinsam in den Wehen liegend gezeigt, wie sie einander die Hände haltend ihre Töchter im Jahr 1945 zur Welt bringen, parallel zu der zerstörerischen Atombombe, die auf Hiroshima niedergeht. Es sind wenige dokumentarisch festgehaltene Bilder, die als Zeugnis dieser Katastrophe den Film einleiten, aber dennoch eine schwermütige Stimmung über ihn legen. Ein kriegerisches Mittel, das später besonders Gingers Leben bestimmen soll. Über den Zusammenhalt der beiden Mütter, wie auch von Ginger und Rosa hinaus, zeigt Sally Potter aber auch den Mann als unsicheres und unzuverlässiges Individuum. Denn schaut man aus dem Krankenzimmer hinaus, sieht man schon jetzt zwei Männer, die keinen Anteil an den Leben ihrer Töchter haben werden. Rosas Vater sitzt bereits jetzt zusammen gekauert, verzweifelt den Kopf in den Händen haltend auf einer Bank, verlässt die Familie kurze Zeit später um nie mehr wiedergesehen zu werden. Immerhin bleibt Ginger ihr Vater erhalten, wenn auch getrennt von ihrer Mutter lebend. Mit ihm kann sie über den drohenden Krieg sprechen, ihre Ängste zum Ausdruck bringen, ihn um seine Freiheit beneiden. Zumindest bis zu dem Moment, in dem er beginnt mit Rosa ins Bett zu gehen. Hier bricht für Ginger dann eine Welt zusammen, ein Gefühl das durch Fannings Spiel schlimmer erscheint als jeder Atomkrieg.

Es wirkt zermürbend mit anzusehen, wenn Ginger im Zimmer nebenan liegt, mit Tränen in den Augen die Decke über ihren Kopf zieht, während sie ihrer besten Freundin und ihrem Vater beim Liebesspiel zuhören muss. Die Freundschaft bricht auseinander, Ginger verliert immer mehr Halt in einer Welt, die für sie sowieso unterzugehen droht. Der Drift macht sich aber auch schon vorher bemerkbar, wenn Rosa lange Zeit vor einem Spiegel steht, mehr Kraft darein investiert sich hübsch zu machen, als über ein anstehendes Ban-the-Bomb Treffen nachzudenken. Derweil schweifen Gingers Blicke im Raum umher. Der durchdringende Wille zum Aktivismus lässt sie Unempfänglich für die weltlichen Interessen Rosas werden. Ihre abschweifenden Blicke wirken wie der Wunsch nach mehr, mehr als sich in solchen Alltäglichkeiten zu verlieren. Auch wenn der Titel des Films beide Mädchen nebeneinander stellt, sind es solche schauspielerisch einwandfreien Momente, die Elle Fanning als allein stehende Hauptdarstellerin herausstellen. Alice Englert bleibt zurück, kann sich nicht gegen ihre Filmpartnerin durchsetzen, muss sie aber auch nicht. Ebenso wenig gelingt es dem Rest der Darsteller, von Oliver Platt bis Annette Bening, der jungen Dame den Rang abzulaufen, was in diesen Fällen aber eher ein Problem des Drehbuchs sein dürfte, das diesen Personen gar nicht genügend Raum eingesteht um sich zu entfalten.

Rosa (Alice Englert)

Rosa (Alice Englert)

Der Film fängt durch diese Handhabe, die Nähe zu Ginger, das Lebensgefühl einer Zeit ein, intensiv und umfangreich von Elle Fanning dargestellt. Sie ist die vielleicht etwas dramatisierte, aber dennoch typische Jugendliche dieser Generation, mit all ihren Ängsten hilflos der Welt ausgeliefert. Noch gehören weder Ginger noch Rosa zur Welt der Erwachsenen, die aber auch keine Antworten auf ihre Fragen parat haben. Ebenso wenig wie die Mädchen wissen sie einen Rat mit den unwirtlichen Umständen der Welt umzugehen, sprechen selbst von dem Untergang. Der drohende Atomschlag der Kuba-Krise zerwirft die Hoffnungen der Menschen, von jungen Teenagerinnen, kaum im Leben stehend, umso mehr. Auf einem dieser Ban-the-Bomb Treffen wird ausgerechnet Ginger von einem Alt-Aktivisten gefragt, was man am besten tun könne um die Aufmerksamkeit der Politiker zu erregen. Weder der Alt-Aktivist noch die stumm bleibende Ginger wissen hierauf einen Rat. All der Tatendrang manifestiert sich in Hilflosigkeit.

Kein Wunder das Gingers Leben immer ernster wird. Das Lachen, so freundlich, schön und Wahrhaftig von Elle Fanning hinaus posaunt, verstummt. Dann stellt sie sich die Frage, wie man es sich noch erlauben kann fröhlich zu sein, wenn die Welt jeden Moment in die Luft gesprengt werden könnte? Irgendwann sitzt Ginger nur noch alleine im Bild, von einer Welt abgekapselt, von der sie nichts mehr erwartet. Szenen, die ihren Seelenzustand wiedergeben. Derweil begibt sich Rosa auf die Suche nach der immerwährenden Liebe. Etwas das für immer anhält. In ihr zeigt sich die Angst so zu werden wie die vorangegangene Generation. Die Mütter der beiden Töchter, die ihre Männer nicht halten konnten. Auch Rosa ist haltlos, schwimmt in dieser Welt umher. Wo sie sich hier in die Nähe zu einem Mann flüchtet, sieht Ginger in solchen Dinen keinen tieferen Sinn. Was bedeutet in diesen Tagen schon die Unendlichkeit? Jeder Tag könnte der letzte sein. Das Ende ist für sie näher als das für immer andauernde.

Ginger wie auch Rosa verlieren im Verlauf ihre mädchenhafte Unschuld, womit der Verlust der Freundschaft einher geht. Rosa führt eine sexuelle Beziehung zu Gingers Vater, ist sogar schwanger von ihm. Ginger wiederum verliert sich in den ernsten Welten von T. S. Eliot und Simone de Beauvoir. Unter Tränen findet die letzte Begegnung dieser zwei Menschen statt, die nichts mehr gemein zu haben scheinen. Auch als Zuschauer erinnert man sich nur wage zurück an Szenen, in denen diese beiden Mädchen ganz alltägliche Dinge zusammen unternahmen: das Küssen üben, Zigaretten rauchen, abenteuerliche Touren ans Meer unternehmen. Aber nur das wäre auch keine Herausforderung für Elle Fanning gewesen, die hier schauspielerisch so viel mehr beweist als Alltägliches.

 


Ginger & Rosa_Hauptplakat

“Ginger & Rosa“


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