Giechenland und Spardiktat: Über die Grenzen der Gier und zu menschlichen Alternativen

Gedanken zur Entmenschlichung und zum Realitätsverlust des Gesamteuropäischen Wirtschaftsparadigmas zu einem radikalen Wachstumsmarkt und der unregulierten Finanzwirtschaft

Bestandsbedingungen einer wirtschaftlichen und politischen Zivilisation

Die Zivilisationsgeschichte der Menschheit zeigt deutlich, dass das Überleben von Kulturen und Nationen im wesentlichen davon abhing, ob und wie die Gesellschaften und politisch Herrschenden sozio – ökonomische und ökologische Probleme zu lösen imstande waren. Häufig bereicherten sich – gerade während einer Krisensituation – die Wirtschafts- und Politikelite an der Allgemeinheit, begründeten dadurch extreme soziale Spannungen und zerstörten durch ihr uneinsichtiges und egoistisches Verhalten die wirtschaftliche Substanz ihres Landes, was letztendlich zum Zerfall führte.

Der Begriff der “spätrömischen Dekadenz ” nimmt auf diesen Umstand Bezug. Das römische Reich verfügte über Jahrhunderte hinweg über eine bürgerliche Beteiligungs Gesellschaft, in der die Lyoalität zum römischen Staat mit alterssicherenden Grundbesitz belohnt wurden. Römische Legionäre, die 20 Jahre Rom dienten, erhielten unabhängig von ihrer Herkunft, das Römische Bürgerrecht und eben jene Existenz sicherende Grundversorgung. Während ihres Dienstes bezogen sie freie Kost und Logie und verlässlich einen ordentlichen Sold. Beamte des Staates waren ähnlich versorgt. Mit den Rechtskodizes “nulla poene sine lege” (keine Strafe ohne Gesetz) und “gleiches Recht für alle Bürger”, wurden eine Form sozialer Gerechtigkeit geschaffen; und gleichzeitig verbindliche (und für jeden nachvollziehbare) Muster für Konfliktlösung und Konsensbildung.

Den Bürgern wurden uneingeschränkt wirtschaftliche und soziale Partipzipation zu gesichert.  Dadurch entstanden Bindung zu Staat und Gesellschaft, Motivation und Verantwortungsbewusstsein für die selbigen; und vor allem: es entwickelte sich ein System der Problemlösungskompetenz.

Natürlich waren nach heutigen (theoretisch vorhandenen) demokratischen Standards die römischen Gesellschaften nicht gerecht für alle Bewohner, denn etwa 1/3 der Bevölkerung waren rechtlose Sklaven. Korruption und Mauscheleien der Mächtigen waren an der Tagesordnung; aber der entscheidende Punkt für den Erfolg der römischen Zivilisation war eben das umfassende System der ausgewogenen wirtschaftlichen und gesellschafts-politischen Partizipation, die trotz – zweifellos vorhandener Gier einer mehr oder weniger gewissenlosen Gruppe von “Räubern” oder “Ausbeutern” (egal wie man sie nennen möchte, es waren Schmarotzer), eine grundsichernde und relativ gerechte Verteilung von Gütern, Grundbesitz und vor allem auch Lebenschancen gewährten.

Die berüchtigte und gern zitierte altrömische Dekadenz bestand nun darin, dass die maßvolle Distribution (Verteilung) nach allgemein anerkannten Regeln, außer Kraft gesetzt wurden; eine relativ kleine Gruppe bereicherte sich auf Kosten der großen Allgemeinheit und zerstörte nebenbei auch die gesamtwirtschaftliche Substanz des Imperiums. Das allgemein gültige Recht für Alle wurde zum Recht des wirtschaftlich Stärkeren oder des politisch Mächtigen, das gekauft, aber nicht mehr unbedingt jeden Bürger zugestanden wird. Die Beteiligungs-Chancen des Einzelnen an Wirtschaft und Staat wurden auf eine in sich abgeschlossene Gruppe beschränkt; der Feudalismus kaiserlicher Prägung setzte sich durch. Armee und Beamtenapparatur wurden zu Tageslöhnern ohne Altersabsicherung degradiert. Identifizierung und Loyalität zum bestehenden Staatswesen schwanden darauf hin. Die gesamtgesellschaftliche Problemlösungskompetenz existierte nicht mehr.

Das Imperium wurde fortan militärisch von allen Seiten bedroht. Ein Problem, das nicht mehr gelöst werden konnte. Goten, Vandalen, Germanen, Kelten. Sie konnten mit einer zerfallenden Armee nicht mehr aufgehalten werden. In Rom zerfielen die Aquädukte und die Kanalisation, die Strassen und Bäder.

Was hat dies mit Griechenland und der Eurokrise zu tun?

Die Geschichte wiederholt sich, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene. In Europa entwickelte sich ein spezieller demokratischer Freiheitsbegriff; und eng damit verflochten, das Wirtschaftsparadigma eines freien sozialen Marktes – die soziale Marktwirtschaft in der Prägung Ludwig Erhardts, die sich unter den Maßgaben der Demokratie und den Menschenrechten entfalteten. Jeder Bürger konnte frei nach Talent und Interesse am Markt teilnehmen, sich eigenverantwortlich einbringen und seinen Lebensunterhalt unter für alle gleichen Zugangs- und Verwirklichungs-Chancen verdienen. Aus der sozialen Marktwirtschaft ist aber indes ein marktradikales System geworden, das die Konditionen der Fairnis und sozialen Verträglichkeit  zugunsten der Profitmaximierung aufgab.

Dabei wurde noch nicht einmal der rechtliche Rahmen verändert, nein, in der Verfassung der BRD sind Markt und Wirtschaft immer noch an elementare  Grundrechte gebunden; aber durch die realen Bedingungen in der Wirtschaftspraxis, ist diese Bindung de facto aufgehoben worden: es werden nicht existenz sichernd Löhne bezahlt, was gegen die Menschliche Würde verstösst und damit verfassungswidrig ist. Um dennoch  Verfassungskonformität irgendwie im Nachhinein zu sichern, und diese zudem aus dem Verantwortungsbereich der Wirtschaft zu entfernen, wurden über die Sozialgesetzgebung Auffang – Mechanismen aufgebaut. Sozialhilfe, Arbeitslosengeld 1 und Hartz 4.

Auf der Gesamteuropäischen Ebene wurde die Wirtschaft, vor allem aber die Finanzwirtschaft, ebenfalls aus dem demokratischen und menschenrechtlichen Verantwortungsbereich gelöst, um deren Profite zu sichern und diese nicht durch Schadenersatzzahlungen wegen Sozialbetruges/Ausbeutung und oder fehlgeschlagener Hochrisikospekulationen zu verlieren. Das Prinzip der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste setzte sich über alle Menschenrechte und demokratische Gepflogenheiten durch. Das ursprünglich sozial gerechte und wirtschaftlich vernünftige Marktsystem degenerierte – auf nationaler, als auch auf europäischer Ebene.

Warum wird ein gescheitertes und degeneriertes Wirtschaftssystem gegen jegliche wirtschaftliche Logik und entgegen aller demokratischer Rechte weiter gestützt?

Die Antwort kann nur sein: weil immer noch viele Mächtige davon profitieren und diese keine Verantwortung für Staat, Gesellschaft und deren Zukunft übernehmen wollen. Es wird dabei ganz bewusst der Eindruck vermittelt, dass wir uns alle immer noch in einer sozialen Marktwirtschaft demokratischer Prägung befänden. Das ist aber irrig. Dieser Glaube nutzt nur den Profiteuren des jetzigen Systems. Im übrigen hat eine elementare Kritik daran nichts mit kommunistischer Propaganda zu tun, obwohl dies den Reform bzw. Neugestaltunsgbefürwortern immer wieder vorgeworfen wird, um sie zu diffamieren und unglaubwürdig zu machen.

Im Bezug auf die Griechenlandkrise möchte ich dieser verklärten politischen Argumentation entgegentreten und formuliere folgende Thesen aus:

1. Wir befinden uns nicht mehr in einer sozialen Marktwirtschaft demokratischer Prägung (Ludwig Erhardt Modell) – auch, wenn man uns dies weiß machen will.

2. Radikale Marktwirtschaft und unregulierte Finanzwirtschaft, wie sie stattdessen zur Zeit existieren, sind auf Dauer volkswirtschaftlich destruktiv, und nutzen nur einer kleinen Gruppe gieriger und verantwortungsloser Profiteure, auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit und zu Lasten von Umwelt und Mensch.

3. Eine Weiterentwicklung bzw. Neugestaltung eines nachhaltigen und stabilen sozial-ökologischen Wirtschaftsmodells auf der Grundlage der Demokratie und den Menschenrechten wird von den Profiteuren des alten Systems verhindert. Auf nationaler, als auch auf europäischer Ebene.

4. Der ESM ist ein Instrument, um dies zu erreichen. Die negativen Folgen der damit verordneten regiden Sparmaßnahmen, in Form von Lohn- und Sozialabbau, Vernachlässigung der Infrastruktur und der Zerstörung des Bildungs und Ausbildungssystems udgl., fallen der Bevölkerung zu Last, die diese Krise nicht verursacht haben.

5. Die Stützung der Banken und deren Befreiung aus der Verantwortung, generiert neue Profite auf der Grundlage des maroden dekadenten Systems. Dieser Prozess wird als alternativlos verkauft. Die gestützten Banken werden treffend als systemrelevant bezeichnet.

6. Sparen, ohne Wachstumsimpulse. Dies ist selbst in der Systemlogik des Marktradikalismus völlig kontraproduktiv. Der Sparzwang in Griechenland zerstört alle zukünftigen Chancen auf wirtschaftliche Erholung. Die Maßnahmen sind daher nur als Versuch zu verstehen, noch das letzte aus den Opfern dieser Politik zu pressen. (und ihnen gleichzeitig zu erklären, dies sei wirtschaftlich vernünftig und alternativlos)

Persönliches Fazit:

Wenden wir unser Bewusstsein den Menschen und seinen Bedürfnissen zu

Es bleibt zu wünschen, dass wir wirtschaftideologische Dogmen überwinden und die reale Situation bewerten, um wirksame Weiterentwicklungen und/oder Neuentwicklungen für ein modernes menschliches, sozial – ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiges Paradigma, zu ermöglichen. Ich sehe unsere europäische Zivilisation an einen Scheideweg. Es geht um einen dauerhaften Bestand als Europäische Kulturnation, und nicht um die Sicherung von Einzelprofiten, und den dahinterstehenden Mechanismen. Wir müssen uns von Gier und Egoismus lösen, oder zumindest von denen, die diese uneinsichtig weiter vertreten und uns damit schaden. Wir brauchen den konstruktiven Dialog, jenseits von Parteiideologien, diesseits der Lebenswirklichkeit. Wir brauchen eine Hinwendung zum Menschen und seinen natürlichen Grundlagen und eine Abkehr von der destruktiven Lebensweise der maßlosen Habgier.

René Brandstädter – humanicum


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