Viele Kosmologen fasziniert die Idee, es gebe unzählige Paralleluniversen mit jeweils eigenen Naturgesetzen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft, November 2011
Seit einigen Jahren debattieren Theoretiker über eine kühne These: Außer dem Universum, das wir wahrnehmen, sollen noch ungezählte weitere Universen existieren. Es gäbe demnach nicht nur einen Kosmos, sondern ein Multiversum. Der amerikanische Physiker Brian Greene bezeichnet diese Vorstellung als "super-kopernikanische Revolution", da ihr zufolge nicht nur unser Planet einer unter vielen ist, sondern sogar unser gesamtes Universum in kosmischem Maßstab nur eine unbedeutende Spielart möglicher Welten darstellt.
Wissenschaftler wie Greene oder der russisch-amerikanische Physiker Alexander Vilenkin postulieren völlig unterschiedliche Universen mit einer jeweils anderen Physik, mit einer eigenen Geschichte oder gar mit unterschiedlich vielen Raumdimensionen. Die meisten dieser hypothetischen Welten sind lebensfeindlich, doch einige wimmeln von Organismen. Vilenkin entwirft das dramatische Bild einer unendlichen Menge von Universen, in der unendlich viele Personen Ihren Namen tragen und gerade diese Zeilen lesen.
Wie kommen Kosmologen neuerdings allen Ernstes auf eine Idee, die zunächst wie pure Sciencefiction anmutet? Die Anhänger des Multiversummodells machen verschiedene Vorschläge, wie derart viele Universen entstehen könnten. Die am meisten akzeptierte Variante ist die chaotische Inflation. Die Idee besagt, dass der Raum insgesamt eine ewig expandierende Leere darstellt, in der Quanteneffekte fortwährend neue Universen hervorbringen. Das Inflationsmodell stammt aus den 1980er Jahren, und Physiker haben es auf Grundlage der Stringtheorie – einer „großen Vereinheitlichung“ aller Naturkräfte mit Ausnahme der Gravitation – weiterentwickelt. Gemäß der Stringtheorie können die blasenförmig keimenden Universen ganz unterschiedlich aussehen. Jede Blase beginnt demnach nicht nur mit einer zufälligen Materieverteilung, sondern auch mit einem beliebigen Materietyp. Zum Beispiel enthält unser Universum Elektronen und Quarks, die elektromagnetisch wechselwirken; in anderen Universen könnte es ganz andere Teilchen und Kräfte geben – und somit andere physikalische Gesetze. Die Gesamtmenge der zulässigen lokalen Gesetze wird als Stringlandschaft bezeichnet. Laut einigen Interpretationen ist diese Landschaft riesig und erlaubt eine enorme Vielfalt von Universen.
Tatsächlich lässt sich aus bestimmten Eigenschaften der kosmischen Hintergrundstrahlung, die als eine Art schwaches Nachglühen vom heißen Urknall übrig geblieben ist, auf eine anfängliche Phase der kosmischen Inflation schließen. Außerdem hat unser Universum die bemerkenswerte Eigenschaft, dass die physikalischen Konstanten just passende Werte haben, um komplexe Strukturen und insbesondere Lebensformen zu ermöglichen. Wie prominente Theoretiker behaupten, liefert das Multiversum eine gute Erklärung für diesen scheinbaren Zufall: Wenn in einer genügend großen Menge von Universen alle möglichen Werte vorkommen, müssen gewiss irgendwo lebensfreundliche Bedingungen herrschen. Wir leben eben in einem Universum, das unser Dasein ermöglicht – andernfalls gäbe es gar keine Kosmologen, die sich den Kopf über ein mögliches Multiversum zerbrechen könnten.
Allerdings überzeugt das Multiversummodell längst nicht alle Forscher. Besonders gründlich tut sich der südafrikanische Kosmologe George Ellis von der Universität Kapstadt als Kritiker der Paralleluniversen hervor. In der Novemberausgabe von Spektrum der Wissenschaft nennt er das Multiversum eher ein vages Konzept als eine definierte Theorie.
Zweifellos, so Ellis, ist eine einheitliche Hypothese, die viele Phänomene zufrieden stellend erklärt, einem Sammelsurium von separaten Ad-hoc-Annahmen vorzuziehen. Dafür wäre man geneigt, sogar die Existenz unbeobachtbarer Paralleluniversen zu akzeptieren. Doch werden im Fall des Multiversums ungeheuer viele – oder gar unendlich viele – unbeobachtbare Gebilde postuliert, nur um ein einziges vorhandenes Universum zu erklären. Das passt schlecht zu der Maxime des englischen Philosophen William von Ockham (1285–1314), dass "Entitäten nicht unnötig vervielfacht werden sollen".
Bei aller Skepsis hält Ellis das Konzept des Multiversums für einen guten Anlass, um über das Wesen der Wissenschaft und den Grund unseres Daseins nachzudenken. Wir sollten den Begriff des Multiversums vorurteilsfrei betrachten – aber nicht voraussetzungslos. Ob Paralleluniversen existieren oder nicht, bleibt unentschieden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft, November 2011
Seit einigen Jahren debattieren Theoretiker über eine kühne These: Außer dem Universum, das wir wahrnehmen, sollen noch ungezählte weitere Universen existieren. Es gäbe demnach nicht nur einen Kosmos, sondern ein Multiversum. Der amerikanische Physiker Brian Greene bezeichnet diese Vorstellung als "super-kopernikanische Revolution", da ihr zufolge nicht nur unser Planet einer unter vielen ist, sondern sogar unser gesamtes Universum in kosmischem Maßstab nur eine unbedeutende Spielart möglicher Welten darstellt.
Wissenschaftler wie Greene oder der russisch-amerikanische Physiker Alexander Vilenkin postulieren völlig unterschiedliche Universen mit einer jeweils anderen Physik, mit einer eigenen Geschichte oder gar mit unterschiedlich vielen Raumdimensionen. Die meisten dieser hypothetischen Welten sind lebensfeindlich, doch einige wimmeln von Organismen. Vilenkin entwirft das dramatische Bild einer unendlichen Menge von Universen, in der unendlich viele Personen Ihren Namen tragen und gerade diese Zeilen lesen.
Wie kommen Kosmologen neuerdings allen Ernstes auf eine Idee, die zunächst wie pure Sciencefiction anmutet? Die Anhänger des Multiversummodells machen verschiedene Vorschläge, wie derart viele Universen entstehen könnten. Die am meisten akzeptierte Variante ist die chaotische Inflation. Die Idee besagt, dass der Raum insgesamt eine ewig expandierende Leere darstellt, in der Quanteneffekte fortwährend neue Universen hervorbringen. Das Inflationsmodell stammt aus den 1980er Jahren, und Physiker haben es auf Grundlage der Stringtheorie – einer „großen Vereinheitlichung“ aller Naturkräfte mit Ausnahme der Gravitation – weiterentwickelt. Gemäß der Stringtheorie können die blasenförmig keimenden Universen ganz unterschiedlich aussehen. Jede Blase beginnt demnach nicht nur mit einer zufälligen Materieverteilung, sondern auch mit einem beliebigen Materietyp. Zum Beispiel enthält unser Universum Elektronen und Quarks, die elektromagnetisch wechselwirken; in anderen Universen könnte es ganz andere Teilchen und Kräfte geben – und somit andere physikalische Gesetze. Die Gesamtmenge der zulässigen lokalen Gesetze wird als Stringlandschaft bezeichnet. Laut einigen Interpretationen ist diese Landschaft riesig und erlaubt eine enorme Vielfalt von Universen.
Tatsächlich lässt sich aus bestimmten Eigenschaften der kosmischen Hintergrundstrahlung, die als eine Art schwaches Nachglühen vom heißen Urknall übrig geblieben ist, auf eine anfängliche Phase der kosmischen Inflation schließen. Außerdem hat unser Universum die bemerkenswerte Eigenschaft, dass die physikalischen Konstanten just passende Werte haben, um komplexe Strukturen und insbesondere Lebensformen zu ermöglichen. Wie prominente Theoretiker behaupten, liefert das Multiversum eine gute Erklärung für diesen scheinbaren Zufall: Wenn in einer genügend großen Menge von Universen alle möglichen Werte vorkommen, müssen gewiss irgendwo lebensfreundliche Bedingungen herrschen. Wir leben eben in einem Universum, das unser Dasein ermöglicht – andernfalls gäbe es gar keine Kosmologen, die sich den Kopf über ein mögliches Multiversum zerbrechen könnten.
Allerdings überzeugt das Multiversummodell längst nicht alle Forscher. Besonders gründlich tut sich der südafrikanische Kosmologe George Ellis von der Universität Kapstadt als Kritiker der Paralleluniversen hervor. In der Novemberausgabe von Spektrum der Wissenschaft nennt er das Multiversum eher ein vages Konzept als eine definierte Theorie.
Zweifellos, so Ellis, ist eine einheitliche Hypothese, die viele Phänomene zufrieden stellend erklärt, einem Sammelsurium von separaten Ad-hoc-Annahmen vorzuziehen. Dafür wäre man geneigt, sogar die Existenz unbeobachtbarer Paralleluniversen zu akzeptieren. Doch werden im Fall des Multiversums ungeheuer viele – oder gar unendlich viele – unbeobachtbare Gebilde postuliert, nur um ein einziges vorhandenes Universum zu erklären. Das passt schlecht zu der Maxime des englischen Philosophen William von Ockham (1285–1314), dass "Entitäten nicht unnötig vervielfacht werden sollen".
Bei aller Skepsis hält Ellis das Konzept des Multiversums für einen guten Anlass, um über das Wesen der Wissenschaft und den Grund unseres Daseins nachzudenken. Wir sollten den Begriff des Multiversums vorurteilsfrei betrachten – aber nicht voraussetzungslos. Ob Paralleluniversen existieren oder nicht, bleibt unentschieden.