Gibt es Gott, und wenn ja, warum nicht?

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Der Dialog in Form eines ver­öf­fent­lich­ten Briefwechsels ist ein belieb­tes Format, kon­tro­verse Themen in ihren ver­schie­de­nen Dimensionen aus­zu­leuch­ten, mit per­sön­li­chen Einsichten und Erfahrungen zu ver­knüp­fen und damit sol­chen Gesprächen eine authen­ti­sche Note zu geben.
Uta Griechen, in Philosophie und Religionsgeschichte durch­aus bewan­dert, war Chemielaborantin, ist heute Rentnerin, und der Katholik Johannes Schneider – selt­sa­mer­weise unter Pseudonym – noch akti­ver Religionslehrer, tre­ten in einen Wettstreit ein über die Glaubwürdigkeit und den Gewinn einer athe­is­ti­schen bezie­hungs­weise einer christlichen-religiösen Weltanschauung.

von Uwe Lehnert

Die Protagonisten kämp­fen mit offe­nem Visier und neh­men kein Blatt vor den Mund, soll hei­ßen, dass die Auseinandersetzung ohne Rücksichtnahme auf reli­giöse und nicht­re­li­giöse Gefühle aus­ge­tra­gen wird und dass ein gewis­ses Maß an erfri­schen­der Polemik die Folge ist. Aber immer wie­der ein­ge­streu­ter augen­zwin­kern­der Witz, im Verlauf des Briefwechsels erfol­gen­der Über­gang zum per­sön­li­che­ren Du und schließ­lich gegen­sei­tige Besuche zei­gen, dass trotz aller schar­fen Kontroverse im ande­ren in ers­ter Linie der Mensch gese­hen wird und nicht der welt­an­schau­li­che Gegner. Dieses sollte zunächst ein­mal als kul­tu­rel­ler Fortschritt im Kampf der Weltanschauungen regis­triert wer­den. Eine Feststellung, die bezüg­lich der geis­ti­gen Auseinandersetzung zwi­schen Vertretern des Islam und zum Beispiel säkular-humanistischen Vertretern lei­der bis­her allen­falls in Ausnahmefällen getrof­fen wer­den kann.

Die Diskussion wird eröff­net mit der Vorstellung von Frau Griechen. Sie ist in der frü­he­ren DDR auf­ge­wach­sen, ist Atheistin, gibt dafür ihre Gründe an und nennt ande­rer­seits Motive, wes­we­gen man ihrer Ansicht nach zum Glauben ver­führt würde. Schneider, ihr katholisch-gläubiger Kontrahent, weist alle diese Gründe für seine Bekehrung einst vom Atheisten zum Gottgläubigen zurück und erklärt, dass er als Jugendlicher “von Gott berührt wor­den sei” und schil­dert in knap­pen Worten, wie diese, seine höchst per­sön­li­che Gotteserfahrung zu ver­ste­hen sei. Damit ist auch schon ein ers­ter Dissenspunkt genannt, bei dem die kon­tro­ver­sen Auffassungen über reli­giöse Offenbarungen und Glaubensinhalte auf­ein­an­der­pral­len, ohne dass man hier zu einer Verständigung kommt. Schneider beharrt auf sei­nem Gotteserlebnis, Griechen führt des­sen Wandlung auf elter­li­che Beeinflussung und des­sen puber­täre Phase zurück.

Noch kon­tro­ver­ser und lang­an­hal­ten­der ist die Diskussion um eine als ech­tes Wunder bezeich­nete Marienerscheinung in Guadalupe/Mexiko Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Legende nach sol­len sich dort wie­der­holt Marienerscheinungen ereig­net haben, die dazu führ­ten, dass nach zunächst ver­geb­li­chen Missionierungsversuchen umge­hend Millionen von Azteken sich tau­fen lie­ßen, als sie das Bild der Gottesmutter mit mes­ti­zi­schen Zügen auf dem Umhang eines mexi­ka­ni­schen Indios erkann­ten. Schneider beharrt dar­auf, dass es sich hier um ein ech­tes Wunder han­dele, da meh­rere wis­sen­schaft­li­che Untersuchungen erge­ben hät­ten, dass das Bild der Gottesmutter auf die­ser Tilma (Umhang) nur durch gött­li­ches Einwirken zustande gekom­men sein könne, andere Erklärungen gäbe es nicht. Seine Kontrahentin, Frau Griechen, bezwei­felt ent­schie­den, mit abso­lut nach­voll­zieh­ba­ren Argumenten diese legen­den­hafte Marienerscheinung. Schneider wider­spricht in einer lan­gen, teil­weise hoch­theo­re­tisch, formal-logisch geführ­ten Auseinandersetzung. Der Rezensent muss an die­ser Stelle geste­hen, dass ihm Denkweise und Begründungen des Herrn Religionslehrers aus einer Zeit zu stam­men schei­nen, als der Glaube an Götter und Dämonen noch viel ver­brei­te­ter war als heute und Unerklärliches man­gels Einsicht und wis­sen­schaft­li­cher Erklärungen einen gött­lich ver­an­lass­ten Eingriff, eben ein Wunder dar­stell­ten. Selbst hoch­of­fi­zi­elle Vertreter der katho­li­schen Kirche äußern sich heute in sol­chen Fragen deut­lich zurück­hal­ten­der.

Man kommt dann auf den für den christ­li­chen Glauben essen­ti­el­len “freien Willen” zu spre­chen. Selbstverständlich hält Schneider am sog. freien Willen fest und hält alle dies­be­züg­li­chen Forschungen für im bes­ten Fall vor­läu­fig und nicht aus­sa­ge­kräf­tig. Allerdings ist an sei­nen Äuße­run­gen zu erken­nen, dass er die Problematik nicht ein­mal im Ansatz ver­stan­den hat. Er setzt feh­lende Willensfreiheit fälsch­li­cher­weise gleich mit dem Fehlen eines Willens über­haupt. Die wie­der­holt von sei­ner Kontrahentin geäu­ßerte Bitte, doch mal ein­schlä­gige Literaturstellen, die sie ihm nennt und durch­aus in zumut­ba­rer Lesezeit zu bewäl­ti­gen wären, zur Kenntnis zu neh­men, igno­riert er. Auch an die­ser für den katholisch-christlichen Glauben fun­da­men­ta­len Voraussetzung kommt kein ech­ter Dialog zustande. Möglicherweise ahnt Schneider, dass er hier ein für ihn höchst gefähr­li­ches Terrain betre­ten würde.

Beide Seiten trak­tie­ren sich mit der Frage, was denn inner­lich, also intel­lek­tu­ell und emo­tio­nal pas­sie­ren würde, wenn der Ungläubige fest­stel­len müsste, dass es doch einen Gott gäbe, und der Gläubige ande­rer­seits mit der Erkenntnis kon­fron­tiert würde, dass die­ses geglaubte höhere Wesen nicht exis­tiere. Beide, sowohl die Atheistin wie der Religionslehrer, haben offen­bar Schwierigkeiten, sich die­ser Frage zu stel­len, nur ansatz­weise denkt man dar­über nach. Zu fest­ge­fah­ren sind offen­bar die jeweils gewohn­ten Denkstrukturen, als dass sich die Alternative noch rea­lis­tisch den­ken ließe. Stattdessen bemü­hen sich die bei­den Stellvertreter, ihre jeweils ein­ge­nom­me­nen Standpunkte far­big aus­zu­ma­len. Frau Griechen argu­men­tiert naturalistisch-humanistisch, bemüht die Philosophie und zitiert aner­kannte Größen der Religionskritik. Und gefragt, was sie Gott als Entschuldigung anbie­ten würde, sollte sie doch eines Tages “ihm” gegen­über­ste­hen, argu­men­tiert sie in Anlehnung an Bertrand Russell: Zu wenig Indizien, zu wenig Fakten. Schneider schwärmt von den Vorteilen und Glückseligkeiten des Glaubens und ver­heißt nach der Mühsal des dies­sei­ti­gen Lebens ein himm­li­sches Paradies, das alles Schlechte und Böse auf Erden ins Gute wende, zwar der irdi­schen Genüsse ent­behre, statt­des­sen – und das ver­kün­det er ohne jeden Anflug von Ironie – Nektar und Ambrosia als Steigerung des­sen bie­ten würde, was wir hier auf Erden als Gaumenfreuden über alle Maßen schätz­ten.

Natürlich taucht die Frage nach der Existenz Gottes immer wie­der auf. Da ist es nun inter­es­sant zu sehen, wie in raffiniert-advokatischer Manier Gott so erklärt wird, dass er per Definition gar nicht wider­legt wer­den könne. Die häu­fig von Atheisten gestellte Frage, so Schneider, wer denn Gott geschaf­fen habe, sei unsin­nig, da Gott nicht erschaf­fen sei, son­dern vor und außer­halb jeder Zeit exis­tiere. Die Frage, wer Gott erschaf­fen habe, sei daher ebenso unlo­gisch, wie die Frage, wann der Junggeselle X gehei­ra­tet habe, denn ein Junggeselle sei per defi­ni­tio­nem unver­hei­ra­tet. Auch die Quelle der Moral spielt immer wie­der eine Rolle. Für den Christen fol­gen die zwi­schen­mensch­li­chen Werte und die Menschenrechte aus Gott und der Ebenbildlichkeit des Menschen. Der natu­ra­lis­ti­sche Standpunkt ver­weist hier auf die Evolution, die die Über­le­bens­prin­zi­pien Kooperation und Mitleid als die Quellen der Moral her­vor­ge­bracht habe.

Über viele Seiten wer­den so Standpunkte, Begründungen, Einsichten und Erfahrungen aus­ge­tauscht. Eine Annäherung fin­det nicht statt. Der Leser fin­det eine Fülle von Argumenten vor, die er – je nach eige­ner welt­an­schau­li­cher Positionierung – gut­hei­ßen oder ableh­nen wird. Die Lektüre ist alle­mal emp­feh­lens­wert, gibt sie doch dem inter­es­sier­ten Leser eine auch in ande­ren Zusammenhängen ver­wert­bare Liste von Argumenten und Rechtfertigungen an die Hand, die die Positionen “Glauben und Vernunft” bzw. “Religion und Wissenschaft” gegen­ein­an­der abgren­zen bzw. aus Sicht des Gläubigen mit­ein­an­der ver­schrän­ken. Zwar wer­den viele Positionen abstrakt-theoretisch beschrie­ben, sie wer­den aber unter­füt­tert durch per­sön­li­che Erfahrungen und Erlebnisse, geben damit dem Gedankenaustausch Farbe und Authentizität. Der katho­li­sche Religionslehrer argu­men­tiert theo-logisch, die Atheistin viel direk­ter mit den Mitteln des gesun­den Menschenverstandes, gewis­ser­ma­ßen sach-logisch und alltags-logisch. Auf jeden Fall ist der Gedankenaustausch leben­dig, und – wie schon erwähnt – nicht frei von bis­si­gen und teil­weise scharf­zün­gi­gen Attacken. Andererseits sind immer wie­der ver­söhn­li­che Töne zu hören, nicht zuletzt daran deut­lich wer­dend, dass gegen­sei­tige Einladungen und Besuche erfol­gen.

Das Buch ist nichts für Fundamentalisten. “Weichgespülte” Christen, aber auch Nichtgläubige, die einen alter­na­ti­ven Standpunkt noch suchen, fin­den sicher­lich viele beden­kens­werte Argumente. Die athe­is­ti­sche Position ver­nach­läs­sigt meist die emo­tio­nale Komponente, man­che mei­nen, dass ihr die dem Menschen inne­woh­nende spi­ri­tu­elle Dimension abgehe. Dass hier die reli­giöse Seite mehr anzu­bie­ten hat, macht sicher­lich zumin­dest der­zeit noch einen Teil ihrer Attraktivität aus. Dafür darf man der reli­giö­sen Seite vor­hal­ten, dass sie mit Vernunft und Wissenschaft nie mit Über­zeu­gung befreun­det war. Die Religion gebe dem mensch­li­chen Leben schließ­lich Sinn, so wird argu­men­tiert, der Atheist müsse sich die­sen selbst suchen.

Der Rezensent macht kei­nen Hehl dar­aus, auf wel­cher Seite er steht. Die Gegenposition ist aber für ihn inso­fern von Bedeutung, als sie die mehr oder weni­ger offi­zi­elle Lehre des katho­li­schen Religionsunterrichts beschreibt, für die der gott­gläu­bige Diskussionspartner zudem ein Buch ver­fasst hat. Man erfährt somit, was jun­gen Menschen auch heute noch, ent­ge­gen aller wis­sen­schaft­li­chen Einsicht und ent­ge­gen aller mensch­li­chen 2000-jährigen Erfahrung als glau­bens­wert und bei­spiel­haft für ein gelun­ge­nes Leben ver­mit­telt wird.

Uwe Lehnert

Uta Griechen und Johannes Schneider: Gibt es Gott, und wenn ja, warum nicht? Atheistin und gläubiger Katholik im Briefstreit, Tectum Verlag, Marburg 2013, 247 Seiten; ISBN: 978-3-8288-3160-5; 19,95€

[Erstveröffentlichung: hpd]

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