Der Gedanke hinter Occupy, Echte Demokratie Jetzt!, aCAMPada, usw.
Von Florian Hauschild
Am 15. Mai 2011 begaben sich Millionen Spanier auf die Straße um ihren Unmut über unser derzeitiges, im Kern längst gescheitertes, Gesellschaftssystem kundzutun. Die Proteste in Spanien waren inspiriert von den Demokratiebestrebungen im arabischen Raum. Seit September 2011 demonstrieren und organisieren sich in den USA Aktivisten unter dem Mem „Occupy“.
Zusammen mit den weltweiten Demonstrationen vom 15. Oktober 2011 wurde „Occupy“ schnell zu einem der meist verwendeten Label der neuen „Bewegungen“. Doch greift es zu kurz in klassischen Kategorien sozialer Bewegungen zu denken. Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse sind von umfassenderer Natur.
Digitale Direktkommunikation als Ursprung eines globalen Aufwachens
Menschen aus allen Gesellschaftsschichten nutzen die technischen Möglichkeiten unserer Zeit – vor allem das Internet – um miteinander zu kommunizieren. Dabei stellen sie fest, dass viele ähnliche Probleme haben und dass die tieferen Ursachen dieser Probleme fehlerhafte Systemstrukturen sind: Ein ungerechtes Geldsystem, monopolistische und oligarchische Wirtschaftsstrukturen die mit der Mär vom „freien Markt“ längst nichts mehr zu tun haben, weitestgehend korrupte politische Systeme und Konzernmedien, die sich überwiegend der Hofberichterstattung der Mächtigen widmen anstatt die grundlegenden sozialen Fragen unserer Zeit zu stellen.
Einmal festgestellt, dass dieses System letztendlich fast allen schadet ist es der nächste logische Schritt gemeinsame Aktionen umzusetzen, die ausdrücken: So geht es nicht weiter. Die Welt gehört uns allen und nicht nur einigen Banken! Da der wachsende Unmut und die sich ausbreitende Empörung vor allem auf dezentraler Direktkommunikation fußt, ist es nur logisch, dass auf diesen Wegen dann auch Alternativen besprochen, Demonstrationen organisiert, Kontakte geknüpft werden etc.
Gibt es eine Bewegung?
Die Konzernmedien bemühen sich teils ein Bild von dieser so genannten „Bewegung“ zu zeichnen, was bei vielen Menschen zunächst die Vorstellung erzeugt bei Occupy, 15-M, Echte Demokratie Jetzt!, aCAMPada, Anonymous oder wie man die stattfindende Vernetzung nun auch immer nennen will, handele es sich um eine wie auch immer geartete Gruppe – oder auch um verschiedene Gruppen.
All dies ist jedoch falsch und zeugt von einem immer noch sehr stark verankerten Schubladendenken. Verwirrenderweise ist dies selbst bei vielen Aktiven oft noch vorhanden. Ganz deutsch ist gar von vereinzelten Initiativen der Occupy-(Förder-)Vereinsgründung zu hören. Auch wenn eine solch starre Strukturbildung von den entsprechenden Akteuren natürlich als sinnvoll erachtet wird, sollten diese Menschen sich doch die Frage gefallen lassen, ob sie denn die Grundidee der „Bewegung“ wirklich verstanden haben.
Denn was die „Bewegung“ ist lässt sich mit einem Satz erklären: „Miteinander kommunizierende Menschen, die überzeugt davon sind, dass die grundlegenden Regeln unseres Zusammenlebens neu überdacht werden müssen“.
Da dieser Gedanke per se niemanden ausschließen kann, ist letztendlich auch jeder Teil eben dieser Idee. Ob als bewusstes Subjekt oder als (noch) unbewusstes Objekt des Diskurses. Fakt ist: Weltweit nimmt die Vernetzung der Menschen miteinander zu, weltweit schlittern bestehende staatliche Strukturen in die Handlungsunfähigkeit, weltweit wird den Menschen klar, dass es so nicht weiter geht und weltweit wird über Alternativen gesprochen.
Diesem Prozess kann man sich eine Weile entziehen – irgendwann holt die Realität aber jeden ein. Ebenfalls ist oft zu beobachten, dass generell interessierte Menschen Antworten von „der Bewegung“ erwarten. Da es aber wie hier dargestellt keine eine Bewegung im klassischen Sinne gibt, kann dieser Anspruch natürlich nicht erfüllt werden. Es besteht lediglich die Möglichkeit, dass man als Interessierter durch die eigene zunehmende Vernetzung auf bereits aufgeklärtere Menschen trifft, die dann im Diskurs einige Antworten liefern.
Auch gilt zu erkennen: Der Grundgedanke lautet eben nicht „Wir haben die Antworten“, der Grundgedanke lautet viel eher: „Wann fangt „ihr“ endlich an Fragen zu stellen?“ Denn sobald man beginnt Fragen zu stellen, wird man schnell erkennen: Zwischen „wir“ und „ihr“ gibt es eigentlich gar keinen Unterschied. Genau genommen gibt es nicht einmal ein „wir“ oder „ihr“. Es gibt nur die Vernetzung zwischen „uns“.
Gibt es eine Art Paradigma?
Im seit Mai 2011 weltweit stattfindenden Anwachsen des hier dargestellten Gedankens und den daraus resultierenden Diskursen hat sich bereits so etwas wie ein neues gesellschaftliches Paradigma herausgebildet, das als potente Alternative zum jetzigen Gesellschaftsentwurf verstanden werden kann. Dieses Paradigma lautet: Ausgehend von einer konsensorientierten Kommunikationsweise kann die Gesellschaft gemeinsam Lösungen im direkten Diskurs entwickeln. Ziel kann es nicht weiter sein, bereits fest definierte Partikularinteressen und individuelle Überzeugungen durchzusetzen, Sinn und Zweck von gesellschaftlicher Kommunikation muss es werden, gemeinsam sinnvolle Lösungen für real existierende Probleme zu erarbeiten.
Inspiriert von den Vorgängen in Spanien wird zu diesem Zweck, auch in Deutschland mittlerweile mit dem Modell der „Asamblea“ experimentiert. Eine Asamblea sollte keine gewöhnliche Gesprächsrunde sein, bei einer Asamblea geht es vor allem darum bewusst kollektive Intelligenz zu erzeugen, die als Ganzes sui generis mehr zu leisten im Stande ist als die Summe deren Teile.
Nichts anderes findet letztendlich in digitaler Form auf Blogs und auf hoch frequentierten Seiten in den sozialen Netzwerken statt. Immer gilt: Bei entsprechender Teilnehmerzahl und konsensbewusster Kommunikationsform entstehen Debatten, die letztendlich allen Beteiligten neues Wissen bieten, Kreativität fördern und schließlich zu Lösungen führen. Kollektiver, dezentraler, direkter Informationsaustausch löst somit – im Interesse aller – das Durchboxen von Einzelanliegen ab. Sozialwissenschaftlich entspricht all dies in etwa der Theorie des kommunikativen Handelns nach Jürgen Habermas, der aufbauend auf diesem Paradigma das Modell der „deliberativen Demokratie“ entwickelte.
Wie geht es weiter?
Bereits kurz nach den Großdemonstrationen am 15. Oktober 2011 wurde der 15. Januar 2012 als nächster großer Demonstrationstermin vorgeschlagen. Schnell verbreitete sich dieses Datum weiter, so wie dies auch zuvor mit dem 15. Oktober der Fall war. Sinn und Zweck dieser Großdemonstrationen ist es weltweit Menschen auf die Straßen und Plätze zu rufen, die sich den hier dargestellten Ideen verbunden fühlen.
Auch der Aufruf #15j richtet sich wieder an alle Mitglieder der Gesellschaft und hat zum Ziel, dass jeder Einzelne versteht, dass er oder sie Teil eines globalen Gedankens ist, der sich mit den grundlegenden Fragen menschlichen Zusammenlebens beschäftigt. Zwar gibt es einige besonders gut vernetzte Aktivisten, die organisatorische Arbeit leisten, Demonstrationen anmelden, Equipment besorgen, bereits vorhandene Strukturen vernetzten etc., jedoch gibt es keine Gruppe, kein Patent auf gewisse Claims, Labels und Symbole, keine feste Struktur, keine Vereine bzw. die Notwendigkeit dieser. Es gibt nur das Netzwerk, dem letztendlich jeder angehört, denn: Man kann nicht nicht kommunizieren.
Was jeder tun kann:
Social Media kann genutzt werden um Partyerlebnisse zu verbreiten oder aber man nutzt diese Kanäle sinnvoll für die politische Arbeit. Hierfür empfiehlt sich, die eigenen Social-Media-Profile möglichst umfangreich zu vernetzen und über diese Kanäle relevante Information zu verbreiten und weiterzuleiten. Eine weitere Möglichkeit bieten Blogs. Emfehlenswert ist es, kostenlos bei wordpress den eigenen Blog zu eröffnen, oder, sofern zu aufwändig, aktiv Projekte wie den Kollektivblog alex11.org zu nutzen. Zur Demo-Mobilisierung zirkulieren zudem viele Flyer im Netz, die ausgedruckt und verteilt werden können.
Die technischen Entwicklungen der letzten Jahre geben uns die Möglichkeit selbst Medien zu sein. Wir können und sollten unsere Pressekontakte nutzen um für die Demonstrationen am 15. Januar zu mobilisieren. Gleichsam müssen wir aber auch nicht auf die Solidarität interessenverquickter Redaktionen warten. Wir können uns selbst und gegenseitig informieren.