Wenn man sich in der Comicabteilung einer deutscher Buchhandlung umsieht, springen einem hauptsächlich nur Cartoons ins Auge. Wenn man aber über diese Läden und den Tellerrand hinausschaut, lassen sich auch viele Comics mit Substanz entdecken, wie die von Comickünstlerin und Illustratorin Jennifer van de Sandt – oder wie ich sie nenne – den weiblichen Alan Moore. In einem Interview erzählt sie uns von ihrem Werdegang und der Comicszene in Deutschland.
Woher kommt deine Liebe zu Comics und Illustrationen? Erzähl uns, wie du zum Zeichnen gekommen bist!
Eigentlich erst sehr spät. Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und dank der sehr begrenzt ausgestatteten Bücherei und der noch begrenzteren Buchhandlung, bin ich nur sehr selten mit Comics in Berührung gekommen. Die meisten mochte ich nicht, weil die Frauen darin immer nur die hübschen Püppchen waren, die von irgendjemanden gerettet werden mussten. Da passten die Geschichten, die ich mir ausdachte, nicht wirklich hin.
Erst als mir während des Studiums Comics wie Ghost World in die Hände fielen und ich Arbeiten von interessanten Illustratoren zu Gesicht bekam, habe ich die Sache mit dem Zeichnen ernst genommen.
Was für eine künstlerische Ausbildung hast du? Hast du dir das Zeichnen selbst beigebracht oder warst du auf einer Kunsthochschule?
Ich habe meinen Bachelor in Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste gemacht und beginne jetzt mit dem Master Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.
Und was waren deine ersten Comics, die du gezeichnet hast?
Ohje, meine ersten Comics waren Mangas, die ich als Kind für Wettbewerbe gezeichnet hatte.
Du hattest jüngst eine Ausstellung zu deiner Graphic Novel “Hier gibt es keine Bären”. Kannst du den Lesern von der Ausstellung und dem Buch erzählen?
Meine Ausstellung war etwas speziell, da es die letzte in den Räumen des Gespinst war und gleichzeitig mein Abschied aus Essen sein sollte. Das machte die Vernissage sehr wehmütig, aber auch sehr schön, da das Illustratorenkollektiv des Gespinst (Jonathan Kröll, Maren Endler und Judith Bungert) unter Anderen, wichtige Bezugspunkte im Entstehungsprozess dieser Arbeit waren.
Inhaltlich geht es in Hier gibt es keine Bären um die alltägliche Maskierung und Selbstdarstellung des Individuums. Inwieweit muss sich jeder Einzelne von uns an bestehende Konventionen anpassen und wen lassen wir hinter die Rolle schauen, die wir dafür spielen? Erzählt wird ohne Panels, sodass sich die einzelnen Figuren im Bildraum als veränderliche Persönlichkeiten wiederholen und überlagern können. Reproduziert wurde diese Arbeit als 40iger Auflage im Siebdruck.
“Hier gibt es keine Bären” lebt mehr von seinen Bildern als von langen Dialogen. Kann man in deinen zukünftigen Comics mit einem ähnlichen Stil rechnen?
Auf jeden Fall. Text ist für mich ein sehr präzises Werkzeug. Gerade im Comic, wo zu große und zu viele Sprechblasen die Bilder zerstückeln, braucht es meiner Meinung nach Dialoge, die ohne große Umschweife die gewünschte Aussage treffen. Wenn ich dann doch mal mehr zu erzählen habe, muss auch auf der Bildebene mehr geschehen.
In “Hier gibt es keine Bären” finden sich auch Charaktere anderer Zeichnungen von dir wieder. Welche Bedeutung haben die Figuren für dich?
Die Charaktere sind Freunden und Verwandten nachempfunden. Und obwohl die Maskenwesen keine äußerlichen Ähnlichkeiten mit ihren Vorbildern haben und ich auch niemanden gesagt hatte, dass sich die Figuren auf reale Personen beziehen, wurden einige Leute darin wiedererkannt. Allerdings hat sich niemand selbst erkannt, was das Spiel mit den Figuren für mich einfach sehr interessant macht.
Deine Arbeiten wirken auf den Betrachter, als hätten sie auch einen philosophischen Hintergrund. Welche Autoren inspirieren dich in deiner Arbeit?
Mich haben vor allem Erwing Goffman, Immanuel Kant und Erik Erikson geprägt. Eine Mischung also aus Soziologie, Philosophie und Psychoanalyse. Ich versuche zu verstehen, weshalb Menschen auf eine bestimmte Art und Weise handeln. Ich will die Muster unter der Oberfläche erkennen, sozusagen hinter die Maske schauen. Die Erkenntnisse und Fragen, die sich daraus ergeben, lasse ich dann häufig mit in meine Arbeiten fließen.
Wenn du zu deinen Anfängen zurückschaust, was sind für dich die wichtigsten Arbeiten, die du bis jetzt realisiert hast?
Das ist momentan definitiv Hier gibt es keine Bären. Das ist bisher meine aufwändigste, größte und durchdachteste Arbeit.
Wie würdest du die Comicszene in Deutschland beschreiben? Ist es leicht für einen Künstler, ein Buch bei einem Verlag zu veröffentlichen?
Leider sind die Verlage hier nur wenig experimentierfreudig und man bekommt dann schon mal zu hören, dass die Arbeiten zwar sehr schön sind, man sie sich aber im Programm des Verlages nicht vorstellen könnte. Da sind Länder wie Frankreich, Belgien oder auch Norwegen und Finnland wesentlich interessanter in dem, was dort veröffentlicht wird.
Richtig ärgerlich wird es, wenn wirklich gute Arbeiten nicht veröffentlicht werden, weil sie nicht genau in eine der bestehenden Kategorien passen. Ganz platt formuliert: die Buchhandlung weiß nicht, wo sie es ins Regal stellen soll, also wird es nicht verkauft.
Es kann nur wenig Innovatives entstehen, wenn man sich vor jeder Arbeit anschauen muss, in welche Kategorie sie soll, was dort gängige Buchformate sind und in welchem Rahmen sich Ästhetik und Erzählstruktur bewegen sollten.
Aber um auch etwas positives zu sagen: man merkt schon, dass der Wille da ist, auch mal experimentellere Arbeiten zu veröffentlichen, nur macht man das eben mit der typischen deutschen Vorsicht.
Würdest du sagen, dass die Comicskunst in Deutschland ernst genommen wird? Welche Erfahrungen hast du persönlich gemacht?
Wenn ich mich auf Veranstaltungen wie dem Fumetto, dem Comic-Salon Erlangen oder dem Comicfestival Hamburg bewege, habe ich schon das Gefühl, dass Comics sehr ernst genommen werden und längst auch was für kulturell Anspruchsvolle sind. Wenn ich mich dann aber außerhalb der Comicszene bewege, gerate ich häufig in Erklärungsnot, weil die Leute sich einfach keine Comics vorstellen können, die sich mit ernsthaften gesellschaftlichen, geschichtlichen und philosophischen Themen auseinandersetzen. Die Meisten sind dann aber doch positiv überrascht, wenn sie diese Comics mal unter die Nase gehalten bekommen. Ich glaube ein Problem ist auch, dass anspruchsvolle Graphic Novels in Buchhandlungen immer noch sehr nah bei den Kinderbüchern stehen und deswegen nicht von der Masse wahrgenommen werden, obwohl das Interesse vielleicht da wäre.
Erzähl mir von deinen zukünftigen Projekten!
Momentan ist eine Geschichte in Planung, in der ich mich mit meinem persönlichen Zugang zur bildenden Kunst auseinander setze. Anlass dazu gab mir das Phänomen, dass viele Kreative in meiner Umgebung eher ein gespaltenes Verhältnis zur Kunst (gerade zur modernen) haben. Der andere Teil meiner Bekanntschaft lässt gerne Sätze wie: “Mit Kunst kenne ich mich nicht so aus.” verlauten. Welchen Platz hat die Kunst also? Gerade für mich.
Wahrscheinlich werde ich keinen meiner früheren Charaktere dazu verwenden, da es ein Versuch ist in einem etwas realistischeren Stil zu arbeiten.
Für mehr Informationen besucht die Seite der Künstlerin:
http://jennifervandesandt.tumblr.com/