Das Volkstheater spielt in dieser Saison „Zu ebener Erde und erster Stock“ von Johann Nestroy. Auf einer schwarzen Bühne, in einem von Grund auf schwarzen Tenor. So schwarz, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt.
Johann Nestroy ist in Österreich ein Säulenheiliger. Einer, der fälschlich oft ins rein komödiantische Fach gepresst wird, obwohl er dort beim genauen Hinsehen nur wenig verloren hat. Susanne Lietzow hat in ihrer Regie aber ganz genau hingesehen und jeglichen falschen Romantikschleier, aus dem sich eine ungesunde Wohlfühlattitüde entwickeln hätte können, gar nicht erst aufgezogen.
Das Stück, das 1835 uraufgeführt wurde und für das Nestroy selbst die horizontal zweigeteilte Bühne erfand, wurde von Lietzow leicht modifiziert. In ihm erscheint, abweichend zum Original, aber sehr plausibel, die Göttin Fortuna in Gestalt eines prächtig herausgeputzten, goldschimmernden Transvestiten (Kaspar Locher). Aus der Schweiz kommt sie/er natürlich, womit der Pfad bereits zum Hier und Heute gelegt wird. Einige Figuren wurden gestrichen, andere wiederum, wie die 4-jährige Resi, in ein Kinderwagerl verbannt aus dem sie – heftiger Verbalinjurien bereits mächtig – diese herausschleudert, ob es ihren Erzeugern passt oder nicht. Der Kinderwagen, rundum mit Plastiksackerln besetzt, scheint so ziemlich das einzige Hab und Gut der Familie Schlucker zu sein, deren Behausung nichts als ein kahles, schwarzes Loch ist. Einmal darf sie sich zu viert in einer Hängematte zusammen kuscheln, ein anderes Mal kommt dem Ziehsohn Adolf eine Wäschespinne in die Quere, wie man sie in den meisten zeitgenössischen Haushalten ohne elektrischen Wäschetrockner antrifft. Weder Tisch noch Sessel, Herd oder Waschgelegenheit nennen sie sonst ihr Eigen.
Zu ebener Erde und erster Stock von Johann Nestroy – Regie Susanne Lietzow © www.lupispuma.com / VolkstheaterAuch im ersten Stock ist der Salon des Herrn von Goldfuchs nicht gerade üppig ausgestattet. Ein Biedermeiersofa mit güldenen Verzierungen, ein Sessel und ein kleines Beistelltischchen reichen aus, um den Reichtum zu veranschaulichen – Noblesse oblige kann man dazu auch sagen. (Bühne Aurel Lenfert) Zwar herrscht hier mehr Platz, heimelig ist aber etwas Anderes. Gilbert Tandler, Spezialist für die Musik von Theater- und Tanzaufführungen, darf mit seinem Trio in einer kleinen Kammer im Parterre neben der Armen-Schlucker-Familie werken. Der soziale Status der Musiker ist, das wird klar, der Allergeringste. Und doch sind sie es, die dem Geschehen jene dunkle Note und zugleich auch schräge Würze verpassen, die von Beginn bis zum Schluss vorherrscht.
Marie-Luise Lichtenthal schuf ein wunderbares Kostümkompendium, das sich von biedermeierlicher Akkuratesse und ebensolcher Zerlumptheit bis hin zum aktuellen Wohlfühloutfit mit Leggings spannt. Diesem subtilen Cross-Over verdankt die Inszenierung, neben kleinen Hinweisen im Text und dem langen Couplet, das Hans Rauscher beisteuerte, seinen Aktualitätsbezug. Die eingesetzten Grippeschutzmasken, inklusive einem gewissen Herrn, der wiederum jenem gewissen Herrn ähnlich sieht, dessen Politikergattin einst Mundschutzmasken gleich im Millionenpaket für das Wohlergehen ihrer Landsleute orderte, spielen eine nicht unwesentliche Rolle, ja werden letztlich sogar zum Überlebensmittel für die Hautevolee. Die aufgesetzten Nasen und Ohren unterstreichen das Grelle der Figuren und machen deutlich, dass, wer sich nicht angesprochen fühlen möchte, das auch nicht tun muss, denn schließlich ist ja alles Theater. Oder? muss man automatisch hinzufügen.
Anklicken umHaymon Maria Buttinger und Sylvia Bra steuern an diesem Abend mit ihrer Darstellung des 8 Jahre alten Christoph und der kleinen Resi jede Menge Lacher bei. Der trockene Humor, mit dem die beiden hier ihr Kinderelend überspielen, ist einfach großartig. Bra, im Kinderwagen wie ein Gnom sitzend und ihre Umgebung nicht aus den Augen lassend, entwickelt sich rasch zum absoluten Publikumsliebling. Buttinger, ausstaffiert mit kurzen Hosen und Fußballershirt mit der Nr. 4, geht „nie ohne seine Waffe aus dem Haus“ und zieht, während er seine Schwester im Wagerl vor sich herschiebt, einen kleinen Panzer namens „Putin“ hinter sich her.
Günter Franzmeier als Schlucker und Thomas Frank als sein Schwager Damian Stutzel geben ein unglaublich tolles, gegensätzliches Paar. Frank tritt als gutmütiger, aber erfolgloser Charakter in Erscheinung. In weißem Unterleiberl, aus dem ständig der Bauch hervorblitzt, möchte man ihm gerne helfend zur Seite stehen. Franzmeier als ausgehungertes Familienoberhaupt mit cholerischen Anfällen ist der Inbegriff eines quirligen Nestroy-Mimen, die Rolle scheint ihm wie auf den Leib geschneidert. Die Szene, in der beide in Panik vor dem Hausherren Zins davonlaufen, bewirkt einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch. Stan Laurel und Oliver Hardy könnten hier Pate gestanden sein. Auch ihr anschließender Gesinnungswandel, der einer schönen Summe Geld zuzuschreiben ist, die sie von Zins erhalten, stellt einen Höhepunkt der Inszenierung dar. Das sind jene Momente, in der Lietzow dem Unterhaltungstalent Nestroy ihre Reverenz erweist. Die derb-deftige Sprache, derer sich die Schluckers samt Anhang bedienen sind aus dem zeitgenössischen Theater längst bekannt. Ebenso die deftigen Bilder wie jene Erbrechensorgie, von der die armen Leute nach einem ausgiebigen Wirtshausbesuch heimgesucht werden. Dass die Regisseurin sie in Nestroys Stück einsetzt, zeigt deutlich, dass sie dieses zu Recht nicht für sakrosankt hält.
Das Publikum darf sich aber auch über die im ersten Stock Logierenden amüsieren. Wobei nicht zu übersehen ist, dass diese, angesiedelt auf einer schiefen Ebene, nicht gerade auf sicherem Terrain hausen. Der Augenblick, in dem Monsieur Bonbon und Herrn von Goldfuchs die Nachricht überbracht wird, dass sie beide bankrott sind, wird von ihnen gebührend ausgelebt. Rutschen sie doch sogleich so vom Sofa, als wäre es ihren werten Hinterteilen ab nun verboten, eine weiche Unterlage zu berühren. Das ist nicht nur eine wunderbare Metapher, sondern sie macht zusätzlich auch noch Spaß. Rainer Galke amüsiert mit einem französischen Akzent in einem Kostüm, in welchem ihm sein Hinterteil zu sagenhaften Ausmaßen anwächst. Stefan Suske als Goldfuchs, völlig verblendet von seinen Geldgeschäften, steht pars pro toto für all jene Börsenverlierer, welchen der Finanzmarkt seit Nestroys Zeiten bis hin in unsere Gegenwart, seine Fratze zeigte. Ihr Diener Johann (Sebastian Pass), ein Ekelpaket durch und durch, hat vor der Pause mit seinem Couplet seinen großen Auftritt. Seine Prophezeiung, dass bald andere Herren kommen werden und seine unschwer erkennbare Freude darüber, lassen mannigfache Assoziationen in die österreichische Politlandschaft zu. Durch Rauschers Zeilen verdichtet sich sein Charakter zu einem schleimigen, wendehalsigen Rechtswähler, der am liebsten kuschend mitläuft, ohne groß aufzufallen.
Lukas Holzhausen übernimmt die Rolle des Zins, die er in ungarischem Zungenschlag trotz egomaner Züge beinahe liebenswürdig bewältigt. Obwohl Besitzer vieler „Heiser“ gelingt es ihm nicht, Emilie zu erobern. Als Wanderer zwischen den Welten, durch besagten Immobilienbesitz saturiert, verfolgt er dennoch nur seine eigenen Ziele, wenn er der plötzlich zu Geld gekommenen Familie Schlucker den ersten Stock anbietet.
Die Damen Emilie (Nadine Quittner), Fanny (Katharina Klar), Sepherl (Steffi Krautz) und Salerl (Claudia Kottal) hat Nestroy allesamt mit liebenswerten Zügen ausstaffiert. Kottal muss sich mit polnischem Akzent den aufdringlichen Johann vom Leib halten, Quittners Organ passt wunderbar zum abgehobenen und zugleich naiven Charakter der Goldfuchs-Tochter. Krautz tut sich mit dem Wiener Dialekt naturgegebenermaßen etwas schwer. In der letzten Szene sind es jedoch ihre Gesten mit dem Frischgeborenen im Arm, die sehr tief berühren. Katharina Klar darf sich als genaues Gegenstück zu Johann etablieren. Sie ist treu bis in die Armut, die schließlich doch nicht eintrifft, denn bevor Lietzow die Bewohner der Ebenen Erd` samt und sonders von der Grippe dahinraffen lässt, wird Adolfs Liebesschwur an Emilie von deren Vater flugs als Eheversprechen umgedeutet. Was nichts Anderes zur Folge hat, als der Antritt seines Erbes. „Gfreist di, Pepi?“ fragt Goldfuchs seine Tochter am Schluss und beweist damit einmal mehr, dass die Fettaugen, wie es ein Sprichwort treffend ausdrückt, im Leben immer oben schwimmen.
Ein außergewöhnliches Nestroy-Bad, das nur diejenigen erhitzt nach Hause entlässt, die Stücke des Autors partout herkömmlich inszeniert sehen wollen. Für alle anderen eine richtige Erfrischung mit Prickeleffekt, der lange anhält.