Gewittertag auf der Bahntrasse

Von Erichkimmich @Erich_Kimmich

Sonntag 3. August 2014.  Von Villersexel nach Filain (Les Gambes).

Erst gegen 10.30 Uhr ziehe ich am Camping in Villersexel los. Es ist schließlich Sonntag heute. Der Weg führt entlang des Flusses Ognon. Ich komme an einer Garage vorbei, die mit einem schönen Jakobspilger-Motiv bemalt ist. Bis Santiago de Compostela wären es noch 100 Tage à 21 km oder etwa 70 Tage zu 30 km – so hat der Maler sich das ausgerechnet.

Der Camino überquert bei Moimay den kleinen Fluss auf einer alten Eisenbahnbrücke. Bald erreiche ich das kleine Dorf Marast mit dem alten Kloster. In einem Prospekt habe ich ein Foto des Innenraums gesehen und freue mich auf den Besuch. Auf einer großen Tafel steht “ouvert tous les jours” – doch heute bin ich ein Pechvogel: die Kirche ist geschlossen. Außerdem hat es zu regnen begonnen und ist stehe etwas begossen vor der Tür dieser uralten Abteikirche. Gestern Abend gab es hier offenbar ein Fest wie in Villersexel. Die Zuständigen schlafen vermutlich noch ihren Rausch aus. Ich bin reichlich enttäuscht und warte noch eine Weile. Doch außer zwei Touristen taucht niemand auf.

  

  

Das frühere Kloster wurde 1117 von Mönchen aus den Vogesen gegründet und im romanischen Stil erbaut. Die Klostergebäude stammen aus dem 16. Jahrhundert. Im Zuge der Revolution wurde das Ganze verkauft und verfiel. Nun gehört die Anlage dem Département und wird nach und nach restauriert.

  

Die Rue de Compostelle führt mich aus Marast hinaus. Durch viel Wald, mit viel Regen geht es nun auf lang gezogenen Strecken weiter. Kleine rosafarbene Blüten bringen selbst im tristen Regen ein Lächeln zustande. Pilze sprießen in der feuchtwarmen Witterung aus dem Boden. Überall im Wald treffe ich auf die orangefarbenen Nacktschnecken (Rote Wegschnecke). Irgendwann beschließe ich, die glitschigen Regen-Fans zu portraitieren und taufe sie Alfred und Eulalia:

  

  

Am Rand des Feldweges steht wieder einmal eine Marienstatue. In diesem Landstrich hat die Jungfrau Maria offenbar eine große Fangemeinde… Dann folgt der Weg einer ehemaligen Bahntrasse. Der Regenponcho ist fast schon wieder trocken. Die Sonne übernimmt wieder die Wetterregie. Die Strecke ist geteert und als Radweg ins Netz eingebunden. Immerhin 16 Rad fahrende Menschen zähle ich auf diesem Wegstück. Tja, ohne meine Blase wäre das die perfekte Strecke für den Pélérin à grande vitesse, den Rennpilger, den ich vor einem Jahr mal war.

  

  

Dann verlässt der gut markierte Jakobsweg die Bahntrasse. Ein Schild weist darauf hin, dass es in Dampierre-sur-Linotte neben der Kirche sogar eine Bar gibt. Bei der Kirche unterhalten sich drei junge Männer auf ihren Mofas sitzend. Einer kann etwas deutsch und möchte sich damit vor den anderen hervortun. Er erklärt mir den Weg zur Bar und beteuert, sie sei geöffnet. Kaum bin ich um die Ecke der Kirche so stehe ich auch schon davor. Doch sie ist geschlossen.
Frustriert gehe ich noch ein Stück weiter und finde am Ortsende eine Sitzbank am Friedhof. Zeit für einen Energieriegel. Doch hier scheint die Sonne stechend vom Himmel und ich ziehe bald weiter.

  

Ich erreiche Filain mit seinem großen Schloss aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Noch bin ich nicht am Ziel, denn in Filain gibt es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Das wäre jetzt doch klasse: Ein Quartier zu haben in diesem pompösen Landsitz rechts der Dorfstraße, vor dem ein Mercedes mit Hamburger Kennzeichen parkt…

Am Ortsrand von Filain hat ein Tour-de-France-Fan ein weiß gestrichenes Rennrad sehr kunstvoll zwischen gelb blühende Blumen gepflanzt und es mit rotgepunkteten “Trikots” aus Holz dekoriert. Klasse!

Das Quartier, bei dem ich am Morgen angerufen habe, liegt 3,5 km weiter nordwestlich im Weiler Les Gambes. Es ist drückend schwül, dunkle Wolken stehen am Himmel, Schweiß läuft mir ins Gesicht. Eine Bremse umkreist mich. Sie möchte sich gerne setzen und zustechen, ich verscheuche sie durch fuchtelnde Bewegungen. Der Angriff dauert gut eine Viertelstunde, bevor sie endlich aufgibt.

Die Deutschschweizerin Yvonne Vetsch bewirtschaftet hier in Les Gambes ein Anwesen. Neben dem Hund gibt es dort noch über 100 Schafe, aus deren Milch sie selbst Käse herstellt.  Wie schön ist es, als ich die Wanderschuhe endlich ausziehen kann und sie mir ein frisch gezapftes Panaché zu trinken hinstellt! Elsbeth ist noch nicht da; Yvonnes Mann fährt mit dem Auto los und erspart ihr so den letzten Kilometer.

  

Beim Abendessen sprechen wir auch über die TGV-Bahntrasse. 2007 ist sie fertiggestellt worden. Man habe nach zwei Jahren bereits überlegt, die Strecke wegen zu geringer Auslastung wieder stillzulegen, erfahre ich. Ein Grinsen schleicht sich in mein Gesicht, denn ich muss unwillkürlich an das “tolle” Stuttgarter Schnellbahnprojekt denken.

     28,2 km      3,4 km/h    8:21     567 hm    509 hm     121,2 km.

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