Mitte August, kurz vor meinem Geburtstag, bekam ich eine nette Mail von Stefanie vom WDR. Sie schrieb, dass sie meinen Blog sehr interessant findet und im Zuge ihrer Recherche darauf gestoßen ist. Sie fragte mich, ob ich Interesse hätte für den WDR an einer Dokumentation teilzunehmen. Das Thema wäre Völlerei (Allgemein geht es um die Bedeutung der sieben Todsünden in der heutigen Zeit) und sie würden mich gerne zu meiner dicken Vergangenheit und meinem damaligen Essverhalten und auch zu meinem Umschwung interviewen. Wer mich kennt weiß, dass man mich für so was nicht lange fragen braucht und so sagte ich spontan und äußert erfreut zu.
Im Laufe der nächsten Wochen gab es viele Gespräche mit der Redaktion und schon ein Vorabinterview um sich besser kennenzulernen.
Am 12. September war es soweit und ich verließ meinen Heimathafen Wien Richtung Köln mit so wenig Gepäck wie es geht und mit einem Kopf voller Vorfreude. Schon an diesem Abend traf ich mich mit der Redakteurin Antia, damit man sich besser kennenlernen kann und um den Ablauf des nächsten Tages zu besprechen. Mein Drehtag war, ganz meiner Glücksträhne treu, Freitag der 13.
Mein Hotel war erstmal super! Mitten im Köln und dennoch hatte ich leider keine Zeit, mal einen Stadtrundgang zu machen. Am nächsten Morgen ging es schon sehr früh los und so hatte ich auch keine Zeit, am Abend noch mal ein bisschen schauen zu gehen. Das ist schade, konnte ich aber aufgrund der Vorfreude gut verkraften.
Um 8 Uhr wurde ich abgeholt und zu einem typischen Kölner Hinterhofladen für Retromöbel gefahren. Es hätte auch ein Museum für zeitgenössische Einrichtungen sein können. Die Kulisse war unheimlich toll und es standen viele Möbel rum, die ich gerne direkt mitgenommen hätte. Leider war meine Tasche zu klein *zwinker*
Nach der Verkabelung und der Einweisung des Teams wie und wo ich stehen soll und wie der Ablauf so ist, lernte ich Sabine Heinrich direkt beim Dreh kennen – on air sozusagen – da sie nämlich gerne das erste kennenlernen echt in der Doku zeigen möchte und das nicht nachspielen will. Das klappte dann auch wirklich super und Sabine ist sehr nett. Ich hatte während des Interviews nie das Gefühl, dass sie nur mit mir redet, weil sie es für die Doku muss. Ich hatte das Gefühl, dass sie echtes Interesse an der Geschichte und an mir hat und so fühlte ich mich sofort wohl (ich hoffe, dass man das auch in der Doku gesehen hat).
Für mich war das alles trotzdem kein leichtes Thema und ich merkte während der Unterhaltung dass es mich mehr belastet, als ich mir selbst eingestehen möchte. Noch nie habe ich davor mit jemanden über das Thema geredet – traurig, oder? Bisher habe ich immer nur darüber geschrieben. Da kommen die Gefühle nicht so hoch, da muss man sich nicht so reinsteigern und versuchen, die richtigen Worte zu finden. Beim Schreiben kommt bei mir alles von alleine, aber reden und erzählen war schwer und auch das sieht man mir an. Die paar Tränchen, die ich verdrückt habe, die waren ehrlich und kamen von Herzen und die waren für mich und meine Entwicklung verdammt nötig, denn erst da wurde mir so richtig bewusst, wie es mir damals ging und was ich alles erreicht habe in den letzten 3.5 Jahren.
Als ich hörte, dass auch eine Szene im Fitnessstudio gedreht wird, habe ich mich erst gefreut. Als ich dann hörte, dass es auf den Crosstrainer geht, hat meine Freude leicht abgenommen. Ich bin kein Crosstrainermädchen. Ich konnte mich mit diesem Gerät nie anfreunden, habe Krämpfe bekommen und bin darin gar nicht geübt. Insgesamt bin ich während der Dreharbeiten knapp 3 Stunden draufgestanden und wie ich feststellen musste (und auch schon befürchtet habe) sieht man mir das an. Mein Gesicht hat sich farblich meinen Haaren angepasst. Noch dazu kommt, dann ich ohnehin bei Anstrengung leicht rote werde. Schon nach wenigen Minuten sehe ich aus, als hätte ich schon Stunden im Fitnessstudio gerackert und mich ausgepowert. Blitzartig bin ich außer Puste (und mein Asthmaspray lag daheim) un dich schwitze wie ein Schwein. Sowas sieht im Tv ja immer toll aus und es würde mich auch nicht wundern, wenn mich Stefan Raab auf die Schippe nehmen würde. Dann bestehe ich aber darauf, bei ihm Gast im Studio zu sein *zwinker*
Am glücklichsten war ich, als ich aus dem Fitnessstudio rausgegangen bin. Dort draußen wurden noch einige Szenen gedreht, die allerdings dann nicht genommen wurden. Ohnehin war es ein 7 Stunden Drehtag und am Ende kamen knapp 15 Minuten raus. Ist ganz schön viel Arbeit, so eine Doku. Nach dem Crosstrainer kam das Essen. Sushi. Ich hätte essen können so viel will, aber ich wollte ja auch reden und noch dazu kamen wir gerade vom Essen bei einem ganz leckeren (und sehr scharfen) Thailaden. Ein paar Happen konnte ich mir aber bei bestem Willen nicht verkneifen – das wurde auch nicht gesendet *zwinker*
Am Ende des Drehtages – gegen 16 Uhr – war ich ganz schön geschafft. So viele Eindrücke, so viel Neues, so viel verarbeitet und so viel erlebt. Mein Heimweg dauerte ab diesem Zeitpunkt auch noch mal knapp 8 Stunden – mein Flieger war aber auch für 18 Uhr gebucht und ich hatte am Flughafen noch viel Zeit ein Mitbringsel für meinen Sohn zu suchen. Als ich weit nach Mitternacht zu Hause eingetrudelt bin, bin ich mehr als erschöpft in mein Bett gefallen und konnte trotz Müdigkeit nicht schlafen. So sehr hat mich das alles noch beschäftigt.
Ich habe an diesem Tag ganz viel über mich gelernt. Ich habe zum ersten Mal gesehen, was ich wirklich erreicht habe und das meine Leistung wohl sehr respektabel sein muss und das auch nicht jeder schafft. Ich habe gespürt, dass ich als der Mensch der ich bin, akzeptiert werde und dass ich alles richtig gemacht habe.
Natürlich bin ich zu diesen Dreharbeiten gegangen, um mir selbst was Gutes zu tun und zu zeigen „hier bin ich, schau was ich gemacht und geschafft habe“. Andererseits wollte ich aber auch ein Zeichen setzten für andere Übergewichtige, für Menschen mit Defiziten durch Übergewicht. Ich hoffe, ich habe mit dieser Doku erreicht anderen übergewichtigen zu zeigen, dass man sich für seine Schwächen nicht schämen muss und dass man viel erreichen kann, wenn man es nur will. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und hinter jedem Übergewichtigen steckt auch eine Geschichte und ein Grund, der ihn veranlasst hat, Erholung, Freude, Liebe und Verständnis im Essen zu suchen und zu finden. Man sollte nicht alle über einen Kamm schweren und sie spüren lassen, dass sie minderwertig sind, denn wir sind nicht minderwertig. Wir Übergewichtige (und ich werde immer einer von ihnen bleiben, auch wenn ich abgenommen habe) sind nicht minderwertig. Der einzige Vorwurf, den man uns machen kann ist der verzweifelte Versuch, Trost im Essen zu suchen, obwohl man es besser wissen sollte.
Selbstverständlich gibt es auchDicke, die gerne essen und nicht, weil sie ein Problem haben – das ist wieder ein anderes Thema.
Die Sendung zu schauen war für mich eine große Überwindung. Es ist ein komisches Gefühl, sich selbst im Fernsehen zu sehen und ich habe nur Dinge zum bemängeln an mir gefunden. Beispielsweise lispel ich, was ich vorher noch gar nicht bemerkt habe und was mir auch keiner gesagt hat. Meine Mutter beharrt darauf, dass ich es nicht tue, aber ich habe ja Ohren. Habt ihr mich lispel gehört? Gut, bei manchen klingt das ja ganz charmant und Katja Burkhart von RTL zeig uns, dass man auch beim Fernsehen moderieren kann, wenn man lispelt (und mit dem richtigen Mann verheiratet ist), demnach ist dieser „Sprachfehler“ keine große Bürde für mich. Ansonsten fand ich mich noch immer zu dick, obwohl ich bei den Dreharbeiten meine schlanke Jeans in Gr. 42 trug.
Zwischen den Drehzeiten habe ich mich ganz lieb mit Sabine Heinrich unterhalten. Sie ist super nett und macht das mit dem Moderieren echt souverän. Hätte ich auch Lust zu, aber ob ich auch das Zeug dazu hätte, ist eine andere Frage. Ich glaube, ich bin dann doch eher der Schreiberling, der mit seiner großen Nerdbrille vor dem Bildschirm sitzt.
5 FaQs zu den Dreharbeiten
- Bei den Dreharbeiten hatte ich noch 78 Kilo und habe inzwischen schon wieder 5 Kilo abgenommen
- Das Interview dauerte in Wirklichkeit fast 8 Stunden
- Der Name der Haarfarbe ist Rubinrot
- Ich habe keinen einzigen der Chips auf dem Tisch gegessen, obwohl sie mir mehrmals angeboten wurden
- Das Auto der Produktion war voll mit Süßigkeiten und 2 Bananen
Ich hatte einen wunderbaren Tag in Köln und mit den Leuten „vom Film“. Es hat mir riesig Spaß gemacht und ich möchte mich auch auf diesem Weg noch mal für die Chance und die Einladung bedanken.
Bei Unterhaltungen habe ich gehört, dass nicht jeder über seine Todsünde, seine Völlerei reden wollte und es viele sogar als persönlichen Angriff sahen, danach gefragt zu werden. Das kann ich nicht verstehen. Ich stehe hinter meiner Vergangenheit und hinter mir. Hinter dem ich, das ich damals war. Diese Phase und das Dicksein war für mich nötig mit vielen klar zu kommen in einer Zeit in der ich sehr allein und verzweifelt war. Heute weiß ich besser, dass Essen ist nicht immer mein Freund ist und dass man sich auch anders trösten kann. Damals wusste ich das nicht und ich wollte es auch nicht wissen. Ich stehe zu mir, wie ich war, wie ich bin und wie ich sein werde. Ich kann offen darüber reden, dass ich regelrecht gefressen habe ohne ein Ende zu kennen, ohne Hunger zu haben, nur um zu Betäuben. Heute ist es nicht mehr so und wenn ich mit meinen Worten nur einem einzigen geholfen habe, dann habe ich schon erreicht was ich wollte.