Gewinnen, lernen – und bitte einiges ändern

Ja, es war ein schwacher Ruf, auch wenn er laut durch das Festzelt schallte: „Wer Achtjährige wie Terroristen behandelt, der tickt nicht richtig“, stellte der Wiener Bürgermeister am Freitagabend in mittlerweile gewohnt rüdem Ton fest. Ein Problem dabei: Dieser Ton, der im Fall der jüngsten Unmenschlichkeit auf Basis österreichischer Gesetzgebung nicht unpassend war, unterschied sich kaum von der Frage Michael Häupls wenige Wochen zuvor, ob die amtierende Wissenschaftsministerin Beatrix Karl „wo ang’rennt“ sei. Damals ging es um die von ihr angesprochene Möglichkeit, künftig Universitäten bzw. Universitätsinstitute/-fakultäten zu schließen – eine Option, die mittlerweile auch Unirektoren erwägen.

Ausgerechnet das eher liberale Ende der ÖVP anzugreifen, wenn gleichzeitig weithin bekannt ist, wie gut man mit den echten Hardlinern (Erwin Pröll!) verhabert ist: Ob das so klug war von den Stadt-Roten? In jenem Zusammenhang völlig überzogen, wirkt die aktuelle Erregung jedenfalls umso schwächer: Hier die Zerstörung von vier menschlichen Existenzen, dort die (wahrscheinlich nicht einmal ernsthafte) Androhung eines institutionellen Rundumschlags, welche sich in ihrer Kritik zudem gegen den Finanzminister der eigenen Partei richtete.

Vielleicht hätte der Wiener Bürgermeister sein „tickt nicht richtig“ besser auch an die eigenen Reihen adressiert: Die Betroffenheit, die manche SPÖ-Abgeordnete an den Tag leg(t)en, ist kaum auszuhalten – war es doch diese Partei, die schon während der bitteren Jahre auf der Oppositionsbank pflichtschuldig die Verschärfungen des Asylgesetzes durch die damalige schwarz-blau/orange Koalitionsregierung mitgetragen hat. Sitzen doch viele der damals im Nationalrat versammelten Bürgervertreter nach wie vor auf ihrem sicheren Ticket.

Einer der wenigen, die sich parteiintern wie auch öffentlich gegen die Verhaiderung der SPÖ wehrten, war Walter Posch – der Menschenrechtssprecher wurde 2006 abserviert. In diesem Sinn eher rhetorisch die Frage: Wo bleibt der Aufschrei, liebe SPÖ, dass „wir“ was ändern müssen? Liebe Leute: Es fängt sich schlecht beim Gegenüber an!

Immerhin: Michael Häupl hat sich geäußert. Doch könnte er nach der Wiener Gemeinderatswahl durchaus eine Lehrstunde im Wilden Westen brauchen: Das kleine, schwarze Röthis machte vor Monaten vor, wozu das große, rote Wien am Mittwoch nicht fähig war.

Der Wiener Wahlkampf war an Inhalten arm und die Entscheidung an der Urne ist mehr denn je eine symbolische, weshalb ich dennoch (und unter Schmerzen!) empfehle, am Sonntag das Kreuzerl für die SPÖ zu machen. Warum? Nachdem wahrscheinlich ein Teil des Plans aufgehen wird, den die (Bundes-)ÖVP mit dem Abschiebefall so kurz vor dem Wahltermin verfolgt – nämlich, dass ein Haufen eigentlich enttäuschter Grün-Wähler/innen zähneknirschend zur Stammpartei zurück wechselt (oder daheim bleibt), sodass die Absolute für Häupl praktisch dahin ist –, wird es umso bedeutender, den Abstand zwischen dem traurigen, roten Riesen und dem fiesen, blauen Hetzer so groß wie nur möglich zu machen. Trotz roter Freunderlwirtschaft, trotz fürchterlichem Bettelverbot etc: Der erste Platz muss überdeutlich bleiben.

Das allein ist eine schwache Motivation, ich weiß. Vielleicht besser so: Die Partei, welche am ehesten in eine Koalition mit der SPÖ käme, ist auch die, welche den Abschiebekurs seit zehn Jahren vorgibt. Wollen wir diesen Einfluss im Rathaus stärken?

Die Wiener Grünen im Übrigen – ich freue mich über jede Stimme, mit der sie über das Ergebnis 2005 hinaus wachsen –, tun mir ehrlich leid: Abgesehen von dem Versäumnis, das Thema Bettelverbot ausreichend (bzw. ausreichend laut) zu bewahlkämpfen, und der Tatsache, dass ihnen die SPÖ mit dem Gratis-Kindergarten schon vor eineinhalb Jahren ein wichtiges Projekt entwunden hat, lieg ihr Problem bei einigen Bezirkskasperln und der ratlosen Bundespartei. Dort vor allem wird sich bis zur nächsten Nationalratswahl einiges ändern (müssen). Starkes, neues Personal muss her. Leute aus der zweiten und dritten Reihe müssen mehr Gehör, mehr Öffentlichkeit bekommen. Und die Koalitionsansage „Rot-Grün“ dürfte ruhig ernsthaft auf Bundesebene propagiert werden – denn was die Grünen wirklich nachhaltig schwächt ist die andauernde Leier, man sei doch in Wahrheit „eine bürgerliche Partei.“ Vielleicht wird dann auch Wien 2015 ein Erfolg.

Ein leidenschaftliches Plädoyer für Rot-Grün gibt übrigens Robert Misik ab!


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