Ihr Lieben,
im Jahr 1978 wurde die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, deren Bücher ich bis heute liebe, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
In ihrer Antwort auf die Auszeichnung hielt Astrid Lindgren die folgende kleine Rede:
Quelle: www.welt.de
„Über den Frieden“„Jetzt werde ich eine kleine Geschichte erzählen. Ich hörte sie selbst vor langer Zeit, eine alte Dame erzählte sie mir, und ich habe sie niemals vergessen.
Sie ging so - wenn ich mich recht erinnere:
"Ich war jung zu jener Zeit, als fast alle Kinder oft geschlagen wurden.
Man hielt es für nötig, sie zu schlagen, denn sie sollten artig und gehorsam werden.
Alle Mütter und Väter sollten ihre Kinder schlagen, sobald sie etwas getan hatten, von dem Mütter und Väter meinten, dass Kinder es nicht tun sollten.
Mein kleiner Junge, Johan, war ein artiger und fröhlicher kleiner Kerl und ich wollte ihn nicht schlagen. Aber eines Tages kam die Nachbarin zu mir herein und sagte, Johan sei in ihrem Erdbeerbeet gewesen und habe Erdbeeren geklaut und bekäme er jetzt nicht seine Schläge, würde er wohl ein Dieb bleiben sein Leben lang.
Mit Müttern ist es nun einmal so, dass ihnen angst und bange wird, wenn jemand kommt und sich über ihre Kinder beschwert. Und ich dachte: Vielleicht hat sie recht, jetzt muss ich Johan wohl ein Tracht Prügel verpassen.
Johan saß da und spielte mit seinen Bausteinen - er war ja damals erst fünf Jahre alt -, als ich kam und sagte, dass er nun Prügel bekäme und dass er selbst hinausgehen solle, um eine Rute abzuschneiden. Johan weinte, als er ging. Ich saß in der Küche und wartete.
Es dauerte lange, bis er kam, und weinen tat er noch immer, als er zur Tür hereinschlich.
Aber Rute hatte er keine bei sich.
,Mama', sagte er schluchzend, ich konnte keine Rute finden, aber hier hast Du einen Stein, den Du auf mich werfen kannst!' Er reichte mir einen Stein, den größten, der in seiner kleinen Hand Platz fand.
Da begann auch ich zu weinen, denn ich verstand auf einmal, was er sich gedacht hatte:
Meine Mama will mir also weh tun, und das kann sie noch besser mit einem Stein. Ich schämte mich. Und ich nahm ihn in die Arme, wir weinten beide so viel wir konnten, und ich dachte bei mir, dass ich niemals, niemals mein Kind schlagen würde.
Und damit ich es ja nicht vergessen würde, nahm ich den Stein und legte ihn in ein Küchenregal, wo ich ihn jeden Tag sehen konnte, und da lag er so lange, bis Johan groß war.
Ein Dieb wurde aus Johan keiner. Das hätte ich gerne meiner Nachbarin erzählen mögen, aber sie war schon lange fortgezogen."
Ja, so sprach die alte Dame, die mir dies alles erzählte, als ich noch sehr jung war. Und ich weiß noch, dass ich bei mir dachte: Ich werde meine Kinder auch nicht schlagen, sollte ich welche bekommen. Ich bekam zwei Kinder und ich schlug sie niemals.
Trotzdem wurden gute Menschen aus ihnen. Und auch sie schlagen ihre Kinder nicht.
Warum erzähle ich das alles? Es sollte ja vom Frieden die Rede sein. Ich glaube, das tut es auch. In gewisser Weise. Immer noch gibt es viele Mütter und Väter auf der Welt, die ihre Kinder schlagen und glauben, das sei gut.
Sie meinen, Kinder würden artig und gehorsam durch die Schläge. Aber stattdessen werden sie zu solchen Menschen, die gerne selber Andere schlagen und weitermachen damit, wenn sie groß sind. Denn wie sollte einer, der sich als Kind an die Gewalt gewöhnt hat, zu einem friedlichen Menschen heranwachsen?
Und wie soll es Frieden geben in der Welt, wenn es keine friedfertigen Menschen gibt? Zu Hause, in den Wohnungen, da muss der Friede beginnen. Ich glaube, es wäre gut, wenn ein Stein in den Küchenregalen läge, fast überall auf der Welt, als Erinnerung: Schluss mit der Gewalt!
Ich kenne eine Menge Staatsmänner und Politiker, die einen solchen Stein auf dem Küchenregal haben sollten.Aber dann würden sie vielleicht bloß die Steine nehmen und hinausgehen und einander die Schädel damit einschlagen.
Denn glaubt man an Gewalt, dann handelt man auch so!“
Ihr Lieben,
der Grund, warum ich diese Geschichte heute wieder einmal erzähle, ist die Tatsache, dass Untersuchungen ergeben haben, dass noch immer 14% aller Eltern ihre Kinder regelmäßig verprügeln und das sehr intensiv!
Quelle: www.welt.de
Das hat mich tief erschüttert.Ich bin deshalb so tief berührt, weil ich als Kind selbst sehr viel geschlagen wurde.
Ich weiß heute nicht mehr, wie viel Ausklopfer, Kleiderbügel und Stöcke auf meinem Körper zerschlagen wurden. Aber ich bekam nicht nur zuhause Schläge, sondern über vier Jahre lang mit Billigung der Lehrer in einer Schulklasse bei den verschiedensten Gelegenheiten.
Wenn ich das hier erwähne, dann geht es mir weniger um die Schläge, denn die sind vergessen, die Wunden verheilt, nur wenige Narben sind übrig geblieben.
Ich erzähle das hier, weil Schläge, die Kinder bekommen, weit mehr Schaden anrichten als nur den körperlichen.
Für mich bedeuteten die Schläge zuhause:
„Ich bin nichts wert, ich werde nicht geliebt!“
Die Schläge in der Schule signalisierten mir:
„Du bist nur ein Stück Dreck, Du hast gar nichts zu sagen!“
Bei dem Geschlagenwerden zuhause und in der Schule stellte ich etwas ganz Wichtiges fest:
Denen, die mich schlugen, ging es nicht nur darum, mir körperlich weh zu tun, nein, es ging darüber hinaus darum, mich zu demütigen und mir das Rückgrat zu brechen.
Woher ich das weiß:
Ich wurde regelmäßig zuhause und in der Schule nackt ausgezogen, wenn es darum ging, mich zu schlagen, weil sie Beteiligten genau spürten und wussten, wie unendlich peinlich mir das war.
Auch wurde ich zuhause und in der Schule nicht nur mit einer bestimmten Anzahl Schläge „bestraft“, sondern in der Regel so lange geschlagen, bis ich wimmernd am Boden lag und selbst dann wurde weiter zugeschlagen.
In einem Punkt kann ich zum Glück Astrid Lindgren nicht zustimmen, wenn sie sagt:
„Denn wie sollte einer, der sich als Kind an die Gewalt gewöhnt hat, zu einem friedlichen Menschen heranwachsen?“
In diesem Punkt irrt Astrid Lindgren, aber dafür kann sie nichts, denn sie hat niemals Schläge zuhause bekommen. Von daher kann sie auch nicht wissen, dass man als Kind zwar lernt, Gewalt auszuhalten, sich aber niemals daran gewöhnt.
Aufgrund der Tatsache, dass mir in meiner Kindheit und Jugend bei allem Leid liebevolle Engel begegnet sind (meine Oma, mein Jugendfreund, meine kleine Freundin), die Sonnenschein und Liebe in mein Leben brachten, wurde in mir das Feuer der Liebe entzündet, das mir half, den Hass und die Rachegedanken in mir zu überwinden.
Deshalb kämpfe ich heute so leidenschaftlich für die Rechte der Kinder und gegen die Gewalt und für die Liebe. Bitte tut Ihr das auch, einen besseren Dienst könnt Ihr den Kindern nicht tun!
Ich wünsche Euch einen fröhlichen Abend und grüße Euch herzlich aus dem schönen Bremen
Flussschifffahrt bei Bremen
Euer fröhlicher WernerQuelle: Karin Heringshausen