Gewalt gegen Frauen – Es passiert in unseren Wohnzimmern…

Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, bei dem viele lieber weggucken. „Sie ist doch selber Schuld!", „Warum geht sie nicht einfach?", sind unsere Standard-Anworten auf die Konfrontation mit diesem Thema, die aber vor allem eins zeigen: Dass wir als Gesellschaft noch einen langen Weg vor uns haben.

Denn wenn wir weiterhin dem Opfer die Verantwortung zuschieben ohne die Rahmenbedingungen zu hinterfragen, dann können wir uns als Gesellschaft nicht mit Solidarität brüsten.

Solidarität
auf das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Eintreten füreinander sich gründende Unterstützung

Die Gesellschaft gibt den Rahmen vor

In Deutschland (wie auch in vielen anderen Ländern) ist es Gang und Gebe dem Opfer die Schuld daran zu geben, dass es Opfer wurde.

Hätte sie sich halt nicht so nuttig anziehen sollen!

Dass der kein guter Mann ist, hat man doch drei Meilen gegen den Wind gerochen!

Selbst Schuld, wenn sie in dieser Gegend wohnt!

Dem Opfer die Schuld zu geben, ist dabei vor allem ein Selbstschutz-Mechanismus: Wenn das Opfer dazu beigetragen hat zum Opfer zu werden, dann kann mir das nicht passieren. Denn ich würde mich ja nie so verhalten!

Und ja, natürlich gibt es bestimmte Dinge, die man tun kann um nicht Opfer von Gewalt zu werden. Nicht nachts allein in bestimmten Bezirken spazieren zu gehen. Auf Partys sein Glas nicht abstellen. Nicht mit Fremden mitgehen.

Doch ein Großteil der Gewalt an Frauen passiert dort, wo wir uns kaum schützen können: Bei uns Zuhause. Es sind unsere Ehemänner, unsere Freunde. Unsere Väter und Onkel. Es sind die Freunde unserer Eltern. Es sind Personen, denen wir vertrauen.

Und oft zeigen sie ihr wahres Gesicht erst, wenn wir sie schon in unser Herz gelassen haben. Wenn wir uns nicht schützen, weil wir vertrauen. Wenn wir Kinder haben, die wir schützen und denen wir gleichzeitig eine intakte Familie bieten wollen.

Zahlen und Daten zu Gewalt an Frauen in Partnerschaften

Jedes Jahr veröffentlicht das bka eine kriminalstatistische Auswertung zum Thema Partnerschaftsgewalt. Und die zeigt uns vor allem eins in aller Deutlichkeit: Es ist keine Randerscheinung. Es betrifft nicht nur Ausländer. Es ist nicht an ein bestimmtes Milieu gebunden. Aber es betrifft in erster Linie Frauen.

138.893 Opfer gabe es im Jahr 2017

(genauer: Opferwerdungen, das heißt gezählt wird jedes Mal, dass eine Person Opfer wird, eine Person, die während des Erhebungszeitraums mehrfach Opfer wird, wird somit auch mehrfach gezählt). Erfasst wurden Delikte in den Bereichen Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Stalking, Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution.

113.965 (82,1%) der Opfer waren weiblich

Fast alle dieser Frauen waren volljährig (ab 21 Jahre, was aber in diesem Fall auch mit der Erhebung zusammenhängt: der Anteil an unter 21-jährigen, die schon mit einem Partner fest zusammenleben oder verheiratet sind, ist relativ gering.). Am häufigsten betroffen waren Opfer der Altersklasse der 30-
bis 39-Jährigen (44.238 Personen; 31,9%), gefolgt von jenen der Altersklasse der 40- bis 49-Jährigen (25.735 Personen; 18,5%).

99.434 (71,6%) der Opfer waren deutsche

Am häufigsten werden deutsche Opfer partnerschaftlicher Gewalt, wenn sie sich von ihrem Partner bereits getrennt haben ( „ehemalige Partnerschaften" (41.727 Personen; 79,3%) ). Bei nichtdeutschen Partnerschaften dominieren türkische Staatsangehörige mit 5.535 Personen (4,0% an allen Opfern) vor polnischen Staatsangehörigen mit 4.428 Personen (3,2% an allen Opfern).

Von den 116.043 Tatverdächtigen sind 93.494 (80,6%) männliche Personen

(Hierbei handelt es sich um eine „echte" Zählung: mehrfach registrierte Tatverdächtige werden nur einmal in die Statistik aufgenommen.) Die meisten Tatverdächtigen (37.518 Personen; 32,1%) waren zwischen 30 bis 39 Jahre zum Zeitpunkt der Erafssung gefolgt von der ALtersklasse der 40- bis 49-Jährigen (24.877 Personen; 21,3%).

Als besonders risikoreiche Zeit gelten Schwangerschaft, Geburt und Trennung

Was können WIR tun?

Bevor ich auf die Hilfsangebote für Frauen, die Gewalt erfahren, eingehe, möchte ich zunächst einen oft vernachlässigten Punkt ansprechen: Was können WIR tun, um Gewalt gegen Frauen einzudämmen? Um Frauen zu helfen? Um dazu beizutragen, dass unsere Töchter so etwas nicht erleben müssen?

Solidarität und Zusammenhalt

Ich glaube, dass einer der wichtigsten Punkte ist, dass wir betroffene Frauen Unterstützen. Emotional. Praktisch. Ohne zu verurteilen.

Wenn wir Frauen, die Gewalt erleben, weiterhin hängen lassen mit der Begründung, dass sie doch selbst Schuld dran seien, zeigen wir den Tätern nicht nur indirekt, dass ihr Verhalten ok ist, sondern auch unseren Kindern, dass Gewalt toleriert wird. Wir vermitteln unausgesprochen, dass es ok ist Gewalt auszuüben - solange das Opfer sich nicht wehrt.

Stattdessen sollten wir doch dem Opfer Hilfe anbieten. Es stark machen. Zu verstehen geben, dass das Verhalten des Täters nicht in Ordnung ist. Anbieten auszusagen. Oder zumindest emotional stärken.

Die repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt, dass es unglaublich viel ausmacht, wie reagiert wird, wenn Frauen von Gewalterfahrungen berichten. Wenn ihnen vermittelt wird, dass sie selbst Schuld seien, ihnen nicht geglaubt wird oder sie nicht ernst genommen werden, verharren sie häufiger auch weiterhin in ihrer Situation.

Wird ihnen stattdessen Mitgefühl ausgesprochen, das gewalttätige Verhalten klar verurteilt und Unterstützung angeboten, gehen sie öfter die nächsten Schritte, um sich aus dieser Situation zu befreien.

Gewalt offen verurteilen

Einen großen Schritt gehen wir schon, wenn wir Gewalt offen und vehement ablehnen und verurteilen. Egal, ob on- oder offline. Drohungen, Beleidigungen und Demütungen sollten wir auch im Internet nicht still tolerieren und hinnehmen, sondern offen dagegen vorgehen und deutlich machen, dass solche Worte niemals in Ordnund sind.

Und ja, auch Frauen, die von Männern (oder auch anderen Frauen!) online beschimpft und beleidigt werden, müssen das nicht still und heimlich mit sich ausmachen, sondern dürfen (und sollten!) sich laut darüber beschweren. Kristina Kuzmic hat hat unter dem #outthem erst letztens ein tolles Video gemacht, das viele unserer ersten Reaktionen kritisch hinterfragt und zeigt, dass wir uns manchmal viel zu sehr daran gewöhnt haben Gewalt einfach hinzunehmen.

Ich weiß nicht wie es rechtlich aussieht, wenn man Täter tatsächlich öffentlich an den Pranger stellt (in Deutschland wäre ich tatsächlich vorsichtig, wenn es um personenbezogene Daten handelt und die Person nie öffentlich kommetiert hat - aber ich bin nun auch kein Anwalt) aber wenn ich irgendwo einen öffentlichen Hasskommentar sehe, dann darf und sollte ich darunter schreiben, dass das nicht in Ordnung ist. Dazu müsst ihr nicht eloquent und wortgewandt sein. Und wenn ihr euch nicht traut zu schreiben, dann lasst anderen, die sich dagegen wehren einen Daumen da. Jede Form der Unterstützung ist besser als das schlichte weggucken.

Sprache ist mächtig - achte auf deine Worte

Noch während ich diesen Text tippe, sträubt sich in mir alles gegen das Wort Opfer. Kinder (und zum Teil auch Erwachsene) nutzen dieses Wort als Schimpfwort. Ein Opfer ist schwach. Hat nicht genug gekämpft. Opfer zu sein, ist fast schon ein Stigmata. Kaum einer gibt es gerne zu. Denn in den Augen der anderen hat ein Opfer versagt.

Und im Gegensatz dazu erscheint das Wort Täter stark und mächtig.

Wir sollten das Wort Opfer nicht als Schimpfwort gebrauchen. Und unseren Kindern erklären warum es niemals ein Schimpfwort ist.

In diesem Zusammenhang finde ich die #metoo Aktion wahnsinnig toll: Hier konnten Frauen offen zugeben „Opfer" zu sein ohne dieses Wort überhaupt benutzen zu müssen. Wo Opfer fälschlicherweise mit Versagen und Schwäche gleichgesetzt wird, appeliert #metoo an Zusammenhalt und ein Gemeinschaftsgefühl.

Die Augen nicht verschließen

Wie oft ist es einfacher die Augen zu verschließen?

Wegzugucken?

So zu tun, als sei nichts gewesen?

Ich weiß selber, was es heißt vor Gericht aussagen zu müssen. Dort auf diesem Stuhl zu sitzen und etwas Revue passieren zu lassen, was man eigentlich nie erlebt haben will. Die leise Angst, die hochkriecht und die einem ins Ohr flüstert, ob man das alles so erzählen kann. Oder ob man selbst demnächst auf der anderen Seite der Bank sitzt und das Opfer ist.

Doch wenn wir nicht füreinander einstehen, werden wir Gewalt nie bekämpfen. Und je mehr Leute aufstehen und laut werden, zeigen, dass es so eben nicht geht, desto machtloser werden die Täter.

Hilfe für Betroffene

Es gibt in Deutschland prinzipiell viele Hilfsangebote für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden. Betroffene finden Hilfe zum Beispie auf der Seite der Polizei Beratung (auch Hilfe für Kinder), bei Frauen gegen Gewalt (umfassende Informationen zu dem Thema und Suche von Hilfe nach Standorteingabe) oder können direkt das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" (08000 - 116 016 (rund um die Uhr in 18 Sprachen)) anrufen.


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