Gestern wurde die Schrottschönheit gewählt!

Auf einem Schrottplatz ist ein Riesenstreit ausgebrochen. Alle die Sachen hatten das Gefühl, sie seien die Schönsten und der Schrotthändler, der in einem kleinen Häuschen beim Eingang wohnte, kümmerte sich nicht um den Lärm. Der Schrottplatz war groß, und es hatte die verschiedensten Dinge drauf. Da war eine Sektion mit kaputten Autos. Die einen standen noch auf den Rädern, aber die meisten waren ganz zusammengequetscht und lagen auf einem riesenhohen Haufen. Dann war da eine Sektion mit Haushaltsgeräten, alten Kühlschränken und Mikrowellenherden, alten Waschmaschinen und Bügelbrettern. An einem andern Ort waren Dinge, die noch ein bisschen brauchbar waren, wie zum Beispiel Gartentische oder Fahrräder.

Angefangen mit dem Ganzen hatte eine richtig große, verbeulte Druckmaschine einer Zeitungsdruckerei, die lauthals rief: „Ich bin die Schönste, ich bin die Schönste.“ Als die anderen Sachen das anzuzweifeln wagten, begann die Druckmaschine aufzuzählen: „Schaut doch, meine herrlichen Walzen in tiefstem Schwarz und die koketten dunklen Tintenflecken auf den Führungsschienen, guckt die charmanten Rostflecken auf meinem Gestell oder beachtet meinen ursprünglich blauen Anstrich, den man da und dort noch erkennt!“ Ein altes Auto ohne Räder, ein Chevrolet, war recht verständig, konnte aber trotzdem die volle Schönheit nicht wahrnehmen und wagte Einspruch – und dann begannen alle Sachen ihre Vorzüge aufzuzählen. Aber da alle nur redeten und niemand zuhörte, beschlossen die verbeulten Baugerüste, einen offiziellen Wettbewerb auszuschreiben.

Und so kam Leben in den Schrottplatz. An allen Ecken wurden kleine Plakate aufgehängt (ein verkratzter Laserdrucker hat das gerade noch hingekriegt). Am nächsten Sonntag sollte der Schönheitswettbewerb stattfinden. Und die verbeulten Baugerüste begannen den Laufsteg aufzubauen, eine Art Bühne, auf dem die Schönheitskandidaten dann hin und hergehen können. Sie suchten nach einer geeigneten Jury – nämlich denjenigen, welche die Schönheit beurteilten, und sie bereiteten einen großen Platz für das Publikum vor.

Am Sonntagmorgen trafen schon im Morgengrauen die ersten Schrottteile ein, um sich gute Plätze zu sichern – denn so was hat es hier noch nie gegeben. Gegen neun war der ganze Platz voller Publikum, und hinter einer groben Wellblechwand waren elf Kandidaten (unsere verspritzte Druckmaschine, ein alter Liegestuhl, drei verbeulte Autowracks, ein Computerbildschirm und einige weitere Sachen). Die Jury wurde von drei Experten gebildet: ein Spiegel (mit einem großen Sprung) der alles wiederspiegeln konnte, einem Chromlavabo, das sein Leben lang Dinge gewaschen hatte und einer besonders sensiblen Bassgeige (die allerdings keine Saiten mehr hatte).

Ein großes Hupkonzert der vielen Schrottautos eröffnete den Anlass punkt neun Uhr. Und nach einer kurzen Eröffnungsrede eines Bretts vom verbeulten Baugerüst rumpelte auch schon die Druckmaschine auf den Laufsteg, zeigte sich von links und von rechts, selbstgefällig und ganz verliebt in die eigene Schönheit. Aber es tut mir fast leid, die meisten fanden sie nicht so schön. Aber die Jury war da ganz gerecht, sie hatten eine lange Liste und gaben Noten dafür, ob das Gerät ordentlich war, und zum Beispiel, ob die Beulen und Kratzer regelmäßig verteilt waren. Und so zog sich der Anlass über den ganzen Tag hin. Jeder Kandidat wackelte hin und her, wippte mit dem Hintern, wurde mit Geklapper beklatscht, wurde lange begutachtet und am Schluss immer sorgfältig beurteilt.

Und wer hat den ersten Preis bekommen? Kaum zu glauben: eine fast achtzigjährige, italienische Kaffeemaschine, die hatte so viele Kratzer, dass man kaum mehr irgendwo ihre ursprüngliche Oberfläche sah. Und der Preis? Ein Döschen Klarlack. Mit dem Lack wurde sie dann lackiert und dann war sie schöner als je zuvor. Und auf dem Schrottplatz herrschte Hochstimmung. Die Schrottteile haben noch bis tief in die Nacht zusammen Altöl getrunken und laut Lieder gesungen, und selbst die Druckmaschine war nicht mehr beleidigt und sang mit.

Nur der Schrotthändler in seinem Häuschen hat nichts mitbekommen.


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