Gestatten, Walter – Seite 11 – Teil 1 – Der Schlächter von Hannover

Täglich wird hier eine Seite einer Geschichte veröffentlicht – sie trägt den Arbeitstitel Gestatten, Walter und untersteht dem alleinigen Copyright von Pascal Wiederkehr. Die Geschichte stammt aus einem Manuskript, welches nur grob überarbeitet wurde, und kann deshalb Fehler in Grammatik und Rechtschreibung aufweisen.

Der Schlächter von Hannover
Aus Walters Tagebuch

Europa lag im Wandel denn der nationale Gedanke hatte im neunzehnten Jahrhundert an Wichtigkeit gewonnen. Das Vereinigte Königreich Grossbritannien und Nordirland galt als mächtigstes Land der Welt. Zurückgebliebene Völker mussten regiert und auf den richtigen Pfad der Tugend gebracht werden, der Kolonialismus wurde durch den nationalen Gedanken noch stärker in der Gesellschaft verankert. 1871 schlossen sich das Grossherzogtum Baden, das Königreich Württemberg und das Königreich Bayern dem Norddeutschen Bund an, womit das Deutsche Reich, unter der Vorherrschaft des Königreich Preussens, offiziell gegründet wurde. Otto von Bismarck hatte die Preussische Vormachtstellung vorangetrieben und somit die Krönung des preussischen Königs Wilhelms I. zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Schloss Versailles ermöglicht. Acht Jahre später wurde Friedrich Heinrich Karl Haarmann in Hannover geboren, welches durch Annexion seit 1866 preussische Provinzhauptstadt war.

Im alten Elternhaus war das Leben ein stetiges auf und ab gewesen. Während die Mutter ständig für den jungen Fritz sorgte, bestrafte ihn der Vater für jeden kleinen Fehltritt hart, züchtigte Fritz autoritär, sperrte ihn im Keller ein und liess den Sohn erst wieder ans Licht wenn er mehrere Verse aus der Bibel auswendig konnte. Was später geschah lag im Schatten, er hatte die Unteroffiziersschule besucht und später um Entlassung wegen vermehrt auftretender Halluzinationen gebeten. Haarmann wurde wegen sexuellem Missbrauch an Kindern in eine Heilanstalt eingeliefert, musste wieder zum Militär und wurde erneut entlassen, da Schizophrenie ihn an der Ausübung seiner Pflichten hinderte. Dr. Gustav Busch sass stirnrunzelnd über seinen Akten, niemals hätte er gedacht, dass sein Patient siebenundzwanzig Jungen im Alter zwischen zehn und zweiundzwanzig Jahren umbringen könnte, auch nach der Flucht aus der Heilanstalt waren nie gross angelegte Suchaktionen gestartet worden, Haarmann war unheilbar geistesgestört, doch deswegen wurde doch niemand zum Mörder. Ausserdem war der erste Weltkrieg schlecht für das Nachdenken gewesen. Anfänglich hatte das Deutsche Reich niemals vorgehabt länger als ein paar Monate zu kämpfen, Frankreich sollte dank des Schlieffen-Plans rasch fallen und damit den Zweifrontenkrieg zu verhindern versucht, was nicht gelang weil Russland schneller mobilmachen konnte, als angenommen und sich Deutschland in Frankreich verzettelte. Grabenkriege gegen das französische und britische Heer schwächten Deutschland zusehends, die Seeblockaden der Briten zwangen Deutschland zum uneingeschränkten U-Bootkrieg bei dem auch Passagierschiffe nicht mehr verschont wurden. Bereits früher waren dabei amerikanische Bürger ums Leben gekommen, was zu starken Spannungen zwischen der damaligen weltpolitischen Unbekannten USA und dem Deutschen Reich führte. Nach Drohungen der Amerikaner versprach der deutsche Kaiser 1915 keine Passagierschiffe mehr anzugreifen, 1917 wurde der uneingeschränkte U-Bootkrieg wieder aufgenommen, was den Kriegseintritt der USA nachfolgen liess. Gustav war wegen seines Alters nicht mehr eingezogen worden, verlor jedoch gute Krankenschwestern an die Lazarette und mit dem fortschreiten des Krieges konnte die Nahrungsmittelversorgung nicht mehr auf dem Niveau der Vorkriegszeit gehalten werden. Anhaltender Hunger bei Unter- und Mittelschicht war die Folge. Obwohl sich Russland nach der Revolution zurückzog, musste sich Deutschland geschlagen geben. Das durch den Krieg gebeutelte Land konnte sich nur schwer erholen, junge Arbeiter und Fachkräfte waren gefallen, was die Lage verschärfte. Demokratisches Gedankengut ohne Monarchie setzte sich in den Köpfen der Bevölkerung fest, was jedoch zu Spannungen zwischen den gesellschaftlichen Schichten führte. Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger liessen die Menschen in der Nachkriegszeit unzufrieden werden und boten damit Nährboden für nationalistisches Gedankengut. Die wirtschaftlichen Spätfolgen des Krieges hatten viele Menschen nur noch an sich denken lassen, gestörte, arbeitslose Männer wie Haarmann wurden weiter an den Rand der Legalität gedrängt. Nicht einmal die Hannoveraner Polizei hatte genügend Mittel um den Fall schnell genug lösen und damit Opfer vermeiden zu können, ausserdem waren weniger hungrige Mäuler für manche Familie kein Weltuntergang. In dieser Lage war die eigene Verwirklichung mit genügend krimineller Energie ein leichtes.

Copyright Pascal Wiederkehr



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