Täglich wird hier eine Seite einer Geschichte veröffentlicht – sie trägt den Arbeitstitel Gestatten, Walter und untersteht dem alleinigen Copyright von Pascal Wiederkehr. Die Geschichte stammt aus einem Manuskript, welches nur grob überarbeitet wurde, und kann deshalb Fehler in Grammatik und Rechtschreibung aufweisen.
Oslo liegt unter mir, als das Anschnallzeichen eingeschaltet wird und der Scandinavian Airlines Flugklotz zur Landung ansetzt. Ich lege mein Time Magazine weg hat doch der iPod einen leeren Akku, leider Gottes seit ich in Brüssel eingestiegen bin. Stunden ohne Musik, unangenehme Erinnerungen an den dritten Mord meiner langen Karriere voller Morde, als ich über die Grenze nach Piedra Negras fuhr, eine mexikanische Kleinstadt, deren Bürgermeister bei einigen reichen Bürgern der Stadt unbeliebt gemacht hatte, der Grund war damals schon egal, es galt unerkannt über die Grenze zu kommen und dann wieder zurück, möglichst unauffällig. Das die Mexikaner keine Kontrollen machten, wenn ich aus den hinausfuhr, nahm ich stark an, hinein war die Chance auf Kontrollen durch die Grenzwächter gross, da würden wohl Fragen auftauchen, die ich nicht beantworten konnte oder wollte. Eher wollte. Nach langer Planung stand ich also im Büro des Bürgermeisters und rammte ihm eine Schere in die Halsschlagader, mit grosser Kraft schoss das Blut aus seinem Hals auf meine Kleider, als ich die Schere wieder heraus gezogen hatte und ich war dumm genug keine Ersatzjacke mitzunehmen und wurde dann sofort richtig nervös. Trotzdem schlich ich besonders geschickt aus dem Rathaus und wurde nicht entdeckt, damals hatte ich es echt im Griff. Meine Jacke landete in einem Mülleimer in der Nähe, die Handschuhe, der Strumpf und die Schere entsorgte ich an verschiedenen Plätzen in Piedras Negras. Zum Glück war es so heiss, dass der Grenzwächter nur einen dummen Spruch machte als ich oben Ohne zurück nach Texas kam, irgendwas zum Thema „Well, haben Ihnen diese Grenzbanditen auch noch die Kleider vom Leib geklaut? Am Besten Sie prangen dafür einen Illegalen an, Kleider gegen Aufenthalt in unserem schönen Land, ist doch ein fairer Tausch.“ Viele Jahre später habe ich Piedras Negras im Kino wieder gesehen, die Stadt hatte eine Rolle in „No Country For Old Man“. Ging um einen Auftragsmörder, hat aber voll dämlich ausgesehen mit seiner Frisur. Seither habe ich immer Ersatzkleider dabei, manchmal auch zwei paar. Ich denke nicht gerne an Aufträge bei denen nicht alles perfekt lief, ich liebe Erinnerungen die für mich die reinste Wonne waren. Vor vier Jahren zum Beispiel, damals musste ich in Brasilien einen grünen Politiker um die Ecke bringen, er lebte interessanterweise auf einem Luxusschiff und legte normalerweise in der Nähe seines privaten Flugplatzes an. Ich fuhr mit einem kleinen Motorboot zur Jacht, kletterte an Bord, warf den grünen Politiker und drei Leibwächter tot ins Wasser und verschwand ohne Spuren zu hinterlassen. Das perfekte Verbrechen gibt es wirklich, Hauptsache der Mörder oder die Mörderin hat ein gutes Alibi. Das eigene Bett ist kein gutes Alibi, die Freundin, die Mutter, die Schwester, der Bruder geben auch kein gutes Alibi ab. Bekannte sind da schon besser, vielleicht die Prostituierte des Vertrauens, nur sollte sie nicht geldgierig sein, sonst kommt sie später mit Forderungen. Du weißt gar nicht wie wichtig ein gutes Alibi ist, du brauchtest nie eines, Schwätzer. Ja ist gut Hirn, aber ich habe es in meiner Ausbildung gelernt. Deine Ausbildung war für die Katz sonst würdest du nicht wie ein geschlagener Hund nach Oslo flüchten, ohne Ahnung was passieren wird, ohne zu wissen ob die Gilde dich noch weiterbeschäftigen wird, oder ob du warten musst bis Gras über die Sache gewachsen ist? Dummerweise kommen sie immer auf mich zu, nicht ich auf sie und momentan bin ich mit der rothaarigen Schönheit gar nicht gut zu sprechen, weil sie vom Problem Sergeant Muller wussten, weil sie immer mehr wissen als ich, dauernd, jede Sekunde seid ich dort arbeite, wissen sie, beinahe schon vor mir wenn ich jemanden getötet habe, wohlmöglich haben sie mir eine kleine Kamera implantiert, einen GPS Ordnungschip unter die Haut gespritzt? Gehört Paranoia zur Krise die ich gerade durchlebe oder ist es die Paranoia welche die Krise überhaupt erst verursacht hat? Wie soll ich die Wurzel des Problems erkennen wenn nicht einmal tausende Finanzgurus den wahren Ursprung der grossen, übernatürlichen, unvorhersehbaren Finanzkrise kennen? In schwachen Sekunden glaube ich sogar, dass ich mir die Krise jetzt gerade nur einrede, vor dem kleinen Zwischenfall in der Wohnung des U-Bahn Schaffners fühlte ich mich super. Ja du dumme Kuh, wenn du keinen kleinen Koffer als Handgepäck mitgenommen und den Koffer ordentlich eingecheckt hättest, würdest du jetzt auch nicht unter dem Gewicht zusammenbrechen. Und ich bin jetzt der nette Idiot. „Kann ich helfen?“ Lächle nur und zeige mir deine hübsches Lächeln und deine grossen Brüste, ich bin ja eh schon hin und weg. Ausserdem läuft das Gentleman Syndrom in mir Amok. „Danke, ich dachte ja immer, dass Gentleman ausgestorben sind.“ Wenn ich mir jetzt auch noch die Hände gewaschen hätte, wäre sie wohl in Ohnmacht gefallen. Dein Ritter in Weiss ist eigentlich der Botschafter des Teufels, Schätzchen. „Wir danken für Ihren Flug mit SAS und freuen uns Sie bald wieder auf einem unserer Flüge begrüssen zu dürfen.“ SAS wird mich erst wiedersehen wenn ich zurück nach New York fliege. „Passport, bitte.“ Ja, du Ausgeburt der Freundlichkeit, hier hast du meinen Pass, siehst du dieses Gesicht, es ist ein amerikanisches Gesicht, ja der Pass ist echt, ich bin Amerikaner, habe mich einbürgern lassen. War ja nach mehr als fünf Jahren mit permanenter Aufenthaltsbewilligung, Green Card, beinahe dazu gezwungen gewesen wenn ich nicht nur immer über die Politik im Land in dem ich wohnte jammern wollte. Nach meiner erfolgreichen Einbürgerung habe ich mich dann trotzdem nicht registrieren lassen. Naja, was konnte eine kleine Stimme schon verändern. Wenigstens bin ich hier wohl sicher, wenn auch totmüde, mit schmerzendem Nacken und ohne Akku, ich brauche Kaffee. Dringend.
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