Gestatten, Walter – Seite 108 – Teil 1 – Sonntagvormittag, Walter

Täglich wird hier eine Seite einer Geschichte veröffentlicht – sie trägt den Arbeitstitel Gestatten, Walter und untersteht dem alleinigen Copyright von Pascal Wiederkehr. Die Geschichte stammt aus einem Manuskript, welches nur grob überarbeitet wurde, und kann deshalb Fehler in Grammatik und Rechtschreibung aufweisen.

„Tut mir leid, direkte Flüge haben wir keine ausserhalb Europas, von hier gehen auch keine Flüge nach London, ich kann Ihnen keine gute Verbindung suchen, alle sind sehr umständlich.“ Ach ne, der Flughafen ist zu klein, schlecht, jetzt stehe ich schon hier, ich will nicht mehr länger durch diese Regeninsel wandern, egal wie lange es von hier aus dauert, Hauptsache die Reise geht ihren Weg oder ich gehe meinen Weg, wie auch immer. „Egal, wenn ich drei Mal umsteigen muss, ich will fliegen, ich fliege gerne. Bitte suchen Sie mir einfach die nächste Verbindung von hier nach Oslo.“ Schau mich nicht so verwundert an, ich zahle alles, jetzt will ich nur noch zurück, egal zu welchem Preis. „Nach Oslo? Haben Sie nicht zuerst New York gesagt? Sie sind wohl auf der Flucht, hihi, na gut, der nächste Flug, Moment, ach den möchten sie wohl nicht nehmen, Reisezeit sieben Stunden, besser als die anderen alle über neun Stunden, tut mir leid, die Verbindung wollen Sie wirklich? Sie fliegen mit BMI nach Brüssel, von dort nach Oslo.“ Ja nimm mich nur nicht ernst, dir kann es ja gleich sein. „Ist okay, das nehme ich, wie viel?“ „230 Pfund, zahlen Sie Bar oder mit Karte? Könnte ich noch Ihren Pass sehen?“ Ich bezahle, dieser Preis ist gerade noch annehmbar. Hier wegkommen ist das oberste Ziel, mein oberstes Ziel, weil ich so klug bin, leider nicht zurück ins Land meiner Träume. Jeder kluge Pen & Paper Rollenspieler hat stets einen Ausweg parat, lasse im richtigen Moment die Würfel rollen und habe einen Rückzugsort, mein Safe House in Oslo. Wenn ich wirklich aufgeflogen bin, dann wird mich die Gilde ausschalten und vermutlich war der Angreifer auf dem Parkplatz einer von ihnen gewesen. Vor Jahren habe ich aus mehreren Gründen nach einem Unterschlupf gesucht, den niemand mit mir in Verbindung bringen kann, weder die Interpol noch die Gilde. Da bin ich auf Norwegen gekommen, der Schweiz des hohen Nordens. Warum gerade Norwegen? Jedes Jahr fliege ich an mindestens zwei Wochenenden in die Schweiz um Spiele der Eishockeymannschaft meines Herzens anzusehen, die Spiele des HC Lugano in der Resega. 2008 spielte der Norweger Patrick Thoresen bei uns. Normalerweise sind Norweger nicht gerade als begnadete Eishockeyaner bekannt, doch dieser Norweger kam aus der amerikanischen NHL von den Philadelphia Flyers und war definitiv äusserst talentiert. Als er beim HC Lugano spielte, war ich richtig stolz in Norwegen einen Unterschlupf zu besitzen. Täglich denke ich an ihn zurück, wir Schweizer lieben Eishockey und der Mann hat uns alle vorgeführt, leider spielt er jetzt sehr erfolgreich in russischen KHL, bei Salavat Yulaev Ufa, kommt sicher nicht zurück. „Danke.“ Ich habe nur Handgepäck, dann bleibt mir das einchecken erspart. Je näher das Abfliegen kommt, auch wenn es vorerst nur Brüssel ist, je glücklicher wird meine Seele. Weg aus Grossbritannien. Scheisse, ich bin auf der Titelseite der Zeitungen, soll ich den Kiosk abfackeln damit es niemand lesen kann? Würde wohl gar nichts bringen, was ist ein Kiosk gegen viele auf der ganzen Welt? Das Fahndungsfoto ähnelt mir auch heute noch nicht. „War der Mörder des U-Bahn Schaffners ein Nazi?“ Spinnen die, bin ich jetzt schon ein Nazi? Ich will es gar nicht wissen, gehe durch den Zoll und werde glücklicherweise durchgelassen. Die Stühle vor dem Gate sehen unbequem aus, trotzdem steigt meine Stimmung jede Minute ein wenig, ich glaube ich gewinne Kraft zurück, vielleicht hilft mir die Musik meines iPods dabei, das kleine technische Ding spielt mich glücklicher. „You and me, our life is drifting along, Watching the world as it’s singing its song. High above, someone is calling to me, Life is for living and living is free.“ „Du und ich, unser Leben zieht vorbei, während wir die Welt ihr Lied singen hören. Hoch über mir, ruft jemanden meinen Namen, das Leben muss gelebt werden und leben ist kostenlos.“ Die sanften, auch rockigen Klänge der Musiker von Barclay James Harvest, die nicht einmal so weit von hier weg stammen, lassen mich träumen, von Zeiten die mir durch die Hände gerieselt sind, wie Sand und in diesem Moment glaube ich, dass „Life Is For Living“ meine Rettung ist.

Die Kälte des Flughafens Brüssel kriecht durch alle Hautschichten, mir schmerzt das Sitzkissen vom Sitzen, obwohl ich tausende Male geflogen bin, viel zu oft, viel zu lange geflogen, wäre ich doch auch durch die Aufnahmeprüfung als Auftragsmörder geflogen, dann hätten sie mich zum Dank wohl umgebracht und mein grösstes Problem wäre der Staub in den ich zerfallen bin. Es schmerzt wenn man nach dreissig Jahren im gleichen Beruf gerne damit aufhören würde, so lange habe ich ihn geliebt, so viel Freude daran gehabt, mein Leben genossen, meinen Beruf, nein meine Berufung genossen, jetzt scheint alles wie ein instabiles Kartenhaus zusammen, Karte für Karte fällt das Leben auf den Fussboden, weitverstreut und nicht mehr zusammenklebbar. Wenn man mich hier in Europa verhaftet, dann ende ich wohl lebenslang im Gefängnis. Anderswo wandere ich dafür in den Todestrakt. Mein Leben soll weder so, noch so enden. Gott schütze meine Zukunft.

Copyright Pascal Wiederkehr



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