9.1.2012 – Ohne den Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg und die darauf folgenden Personalwechsel im Innen- und Verteidigungsministerium wäre Hans-Peter Friedrich noch immer Chef der CSU-Landesgruppe. Ob er seinem Parteifreund hierfür dankbar ist muss man bezweifeln. Sonderlich wohl scheint sich der Oberfranke auf dem Berliner Parkett nämlich nicht zu fühlen.
Am liebsten tummelt sich Friedrich in der Provinz. Ob im heimatlichen Hof, in Wildbad Kreuth oder in Bad Steben: Nur fernab der Hauptstadt läuft der Innenminister zur Höchstform auf und findet die passenden Worte, um die CSU-Basis mitzureißen. Dort schwört er vor allem auf die “beiden Säulen” der deutschen Gesellschaft: “Patriotismus und christlicher Glaube“.
Notizen aus der Provinz
„Gestatten, mein Name ist Hans-Peter Friedrich.“ So stellt sich der Bundesinnenminister der Öffentlichkeit auf seiner persönlichen Homepage vor. Kurz werden der berufliche und der politische Werdegang beleuchtet, dann kommt Friedrich auf seine politischen Ziele zu sprechen. Hier stutzt man, denn im ersten Satz des betreffenden Abschnittes heißt es:
„Meine wichtigste politische Aufgabe sehe ich darin, die Region Hof/Wunsiedel zu vertreten.“
Von einem deutschen Innenminister, der von Amts wegen für Themen wie die Kriminalitätsbekämpfung, den Schutz der Verfassung, die Informationssicherheit oder die politische Bildung zuständig und verantwortlich ist, erwartet man eigentlich einen Horizont, der über die Bedürfnisse einer oberfränkischen Kleinstadt mit 46.286 Einwohnern hinausgeht.
Doch Friedrich fremdelt mit der großen Politik, ist kein Mann gewichtiger Worte und fühlt sich auf den kleinen Bühnen sichtlich wohler als auf dem politischen Parkett der Hauptstadt. Gerne folgte er daher der Einladung nach Bad Steben, wo er im Kurhaussaal in der Badstraße 31 am 6. Januar auf dem 36. Dreikönigstreffen der CSU als Hauptredner auftrat.
Hier sind die CSU Basis und ihre Spitzenvertreter fast ohne Beobachtung durch die Presse unter sich und entsprechend deftig fallen das musikalische Rahmenprogramm, die zünftige Bewirtung und die kernigen Redebeiträge aus.
Die Ortschaft mit den 3.473 Einwohnern leistet sich als Hauptredner traditionell einen Spitzenpolitiker mit bundespolitischer Tragweite. 2007 trat hier Edmund Stoiber auf, 2008 Günther Beckstein, 2009 Horst Seehofer und 2010 Karl-Theodor zu Guttenberg. In diesem Jahr fiel die Wahl auf Hans-Peter Friedrich und der ließ sich nicht lange bitten.
Bin Laden wurde seinem Ende zugeführt
In seiner Rede wirft Friedrich einen Blick auf das vergangene Jahr und resümiert erfreut:
“Bin Laden wurde seinem Ende zugeführt.”
Diese Formulierung angesichts der Tötung eines Menschen ist selbst für einen evangelisch-lutherischen Christen gewöhnungsbedürftig. Auf den ersten Blick versöhnlich wirkt dagegen ein weiterer Satz aus der Rede des Ministers:
“Ich werde es als Innenminister nicht dulden, dass jemand durchs Land laufen kann und anständige Menschen zu Tode bringt.”
Leider bezieht sich das entschiedene Bekenntnis allerdings nicht auf die Morde der Nazi-Terrorzelle aus Thüringen sondern auf den Anschlag vom 2. März 2011, bei dem in Frankfurt zwei US-Soldaten getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden.
Zu den Nazi-Morden fällt Friedrich dagegen nur ein, die „große Wichtigkeit der Vorratsdatenspeicherung“ erneut zu betonen und in diesem Zusammenhang an die „gute, alte Bundespost“ zu erinnern.
Hiermit dürfte vor allem das Abhörgesetz in der Fassung vom 1. November 1968 gemeint sein, in dem es dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst unter anderem gestattet wurde:
„Dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegende Sendungen zu öffnen und einzusehen, sowie den Fernschreibverkehr mitzulesen, den Fernmeldeverkehr abzuhören und auf Tonträger aufzunehmen”.
Besondere Verdachtsmomente oder richterliche Genehmigungen brauchte es damals nicht. Das Abhören und Mitlesen war bereits „zur Sammlung von Nachrichten über Sachverhalte, deren Kenntnis notwendig ist, um die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig zu erkennen“, erlaubt.
Patriotismus und Christentum
In gesellschaftlicher Hinsicht ruht Deutschland, so Friedrichs im weiteren Verlauf seiner Rede, auf zwei Säulen: „Dem Patriotismus und dem christlichen Glauben“. Und damit auch in der Provinz keine Zweifel an der offiziellen deutschen Leitkultur aufkommen, macht der Innenminister deutlich:
“Wir sind das christliche Abendland und werden das auch in Zukunft bleiben”.
Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen sei im Christentum zwar eingeschlossen. Allerdings nur dann, wenn diese Toleranz beidseitig vorhanden ist. Die Existenz von Personen außerhalb jeglicher Glaubensrichtung scheint im Weltbild von Friedrich nicht vorzukommen.
Ein Blick in die Statistik hilft bei der Einschätzung, wie viele Menschen im weltanschaulichen Modell des Innenministers „auf der Strecke bleiben“. Von insgesamt 81,77 Millionen Bundesbürgern gehören rund 24,65 Millionen der katholischen und rund 23,9 Millionen der evangelischen Kirche an. Bleiben also 33,22 Millionen Menschen ohne Zugehörigkeit zu einer der beiden christlichen Hauptkirchen.
Um zu ermessen, wie stark die persönliche Verbundenheit mit dem Christentum bei den Bundesbürgern ausgeprägt ist, taugt eine Betrachtung der Kirchenbesuche. Nach Angaben der Deutschen Bischofskonferenz zählte die katholische Kirche im Jahr 2010 insgesamt 3,1 Millionen Kirchenbesucher. Bei den Protestanten sieht es noch trauriger aus: Im Jahr 2008 besuchten gerade einmal 1,2 Millionen Menschen die evangelischen Gottesdienste.
Vor diesem Hintergrund in Bezug auf den christlichen Glauben von einer tragenden Säule der Gesellschaft zu sprechen, wirkt nur wenig überzeugend. Rein nach Kirchenzugehörigkeit beurteilt bleiben hier bereits mehr als 40 Prozent der Bevölkerung außen vor. Geht man nach der Anzahl der aktiven Kirchenbesucher, dann liegt der „ausgesperrte“ Bevölkerungsanteil bereits bei 94,7 Prozent.
Bleibt die zweite Säule in Friedrichs überschaubarem Weltbild: Der Patriotismus. Hier gibt der „Gallup Koexistenz-Index 2009“ Aufschluss über das Verhältnis der Deutschen zum eigenen Land. Der Untersuchung zufolge identifizieren sich gerade einmal 32 Prozent der Befragten mit Deutschland. Für den christlich-abendländischen Minister dürfte interessant sein, dass dieser Anteil unter den in Deutschland lebenden Muslimen mit 40 Prozent deutlich höher liegt.
Auch eine Untersuchung der Universität Chicago aus dem Jahr 2006 beschäftigt sich mit dem Nationalstolz und seiner internationalen Ausprägung. Hier landet Deutschland unter allen untersuchten Ländern auf dem siebtletzten Platz.
Haben wir das verdient?
In der Gesamtbetrachtung haben wir es also mit einem Innenminister zu tun, der zum Amt gedrängt werden musste, der sich in der oberfränkischen Provinz am wohlsten fühlt, der sich über die Tötung bin Ladens freut, der auf die Ermordung von zwei US-Soldaten mit drastischen Maßnahmen und auf die Nazi-Morde der Terrorzelle aus Thüringen mit der Vorratsdatenspeicherung reagiert und der davon ausgeht, dass die deutsche Gesellschaft auf den Säulen Patriotismus und Christentum ruht.
Vielleicht darf man sich über ein solch eingeschränktes Menschen- und Gesellschaftsbild im Innenministerium nicht wundern, wenn man es einer bayerischen Splitterpartei mit einem gesamtdeutschen Stimmenanteil von 6,5 Prozent überlässt, gleich drei wichtige Bundesministerien zu besetzen.
Allerdings hätten wir einen Innenminister verdient und nötig, dessen politische Perspektive deutlich darüber hinausgeht, „die Region Hof/Wunsiedel zu vertreten“.