Gespräche mit dem Tod (7): Die Imagekampagne

Freitagabend, 20.30 Uhr. Sitze missmutig im Büro und schreibe an einem Konzeptpapier zu einer Kommunikationskampagne. Die Deadline rückt bedrohlich näher, denn das Konzept muss noch heute zum Kunden. Die späte Stunde und das nahende aber doch so ferne Wochenende sind weder der Originalität meiner Gedanken noch der Eloquenz meiner Ausführungen zuträglich.

Überlege, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, Bier zu trinken. Komme zu dem Schluss, dass es zumindest nicht der falsche Zeitpunkt ist, und mache mich auf den Weg in die Büroküche, um den Kühlschrank zu inspizieren. Entdecke erfreut im Gemüsefach noch einige Biere und will mir gerade eins nehmen, als es plötzlich an der Tür klingelt. Bin etwas irritiert, denn normalerweise kommt nie jemand bei uns im Büro vorbei (ungünstigerweise nicht einmal Paketboten und Kuriere).

Öffne zögerlich die Tür und befürchte, von ein paar zur späten Stunde marodierenden Zeugen Jehovas das Ende der Welt verkündet zu bekommen. Atme erleichtert auf, als ich sehe, wer vor der Tür steht. Es ist mein Freund, der Tod.

Der Tod.

Der Tod. Auf Besuch.

„Mensch, das ist ja eine freudige Überraschung“, rufe ich.

„Ich hatte in der Gegend zu tun und wollte mal nachschauen, wie es dir geht“, antwortet der Tod und umarmt mich zur Begrüßung.

Bin etwas besorgt, dass er vorher bei Luigi, dem greisenhaften italienischen Gastronom, war, zu dem wir regelmäßig in der Mittagspause essen gehen, weil es dort so vorzügliche Pizzen gibt. Es wäre sehr unschön, sich ein neues Mittagessen-Lokal suchen zu müssen. Frage aber nicht nach, denn in geschäftlichen Dingen ist der Tod immer sehr diskret.

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Schicke den Tod in mein Büro und hole aus der Küche noch zwei Bier. Der Tod öffnet die Flaschen mit einer flüssigen Bewegung seiner Sense. Wir prosten uns zu und trinken einen großen Schluck.

„Wie geht es dir denn?“, frage ich. „Wir haben uns ja schon lange nicht mehr gesehen.“

„Geht so“, antwortet der Tod. „Die letzten Wochen waren in etwa so attraktiv wie ein eitriges Furunkel. Am Hintern von Florian Silbereisen.“

Hebe fragend eine Augenbraue.

„Arbeit, Arbeit, Arbeit“, stöhnt der Tod. „Die Leute sterben in letzter Zeit wie die Fliegen.“

Klopfe ihm empathisch auf die Schulter.

„Außerdem schlägt mir die winterliche Kälte, die ewig klamme Feuchtigkeit und die fehlende Sonne aufs Gemüt“, klagt der Tod. „Und es deprimiert mich, dass mich niemand leiden mag.“

„Nun ja, wenn du auch innerhalb von ein paar Wochen Lemmy, David Bowie und Alan Rickman abholst, nehmen dir die Leute das halt übel“, werfe ich ein.

„Ach komm, so wie Lemmy gelebt hat, ist es doch ein Wunder, dass der überhaupt 70 geworden ist“, schnaubt der Tod.

„Auch wieder wahr“, pflichte ich ihm bei.

„Ich verrate dir mal was“, sagt der Tod verschwörerisch. „Der Krebs hat Lemmy seit 20 Jahren regelmäßig besucht, um ihm mitzuteilen, dass er unheilbar krank ist. Lemmy hat ihn aber immer wieder zu einer Runde Poker überredet. Der Deal war, wenn Lemmy gewinnt, bleibt er gesund. Dann hat er den Krebs mit billigem Whiskey abgefüllt und beim Kartenspielen abgezogen. An Heiligabend hatte der Krebs dann kein Bock mehr auf diese Spielchen – zack! – zwei Tage später wars vorbei mit Lemmy. Aus die Maus!“

„Interessant“, erwidere ich leicht verwirrt. Schweigend nippen wir an unserem Bier.

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„Ich finde es aber trotzdem nicht schön, dass ich so unbeliebt bin“, unterbricht der Tod die Stille. „Keiner will etwas mit mir zu tun haben und niemand möchte, dass ich mal vorbeikomme.“

„Ein Schicksal, das du mit Schwiegermüttern teilst“, erwidere ich.

Der Tod schaut mich irritiert an.

„Dabei verstehe ich mich immer ganz prächtig mit denen, die ich abhole“, erklärt der Tod.

„Die können halt niemandem erzählen, was für ein dufter Typ du bist“, kichere ich.

Der Tod blickt entrüstet auf und ich höre auf zu lachen. Zur Versöhnung hole ich zwei neue Bierflaschen, die der Tod für uns aufmacht. Versöhnt stoßen wir miteinander an.

„Du könntest mir vielleicht helfen“, sagt der Tod.

„Wie denn?“, frage ich.

„Du bist doch Kommunikationsberater“, ruft der Tod.

„Ja?!?“, antworte ich zögerlich. „Und wie hilft dir das?“

„Indem du eine Imagekampagne für mich entwickelst“, verkündet der Tod.

„Was?“, frage ich verdutzt.

„Na, du könntest mein Image ein wenig aufpolieren“, sagt der Tod. „Wenn die Leute Gutes über mich hören, werde ich beliebter und sie freuen sich, wenn ich sie besuchen komme.“

„Ich weiß nicht“, druckse ich herum.

„Für einen Freund kannst du das doch mal machen“, insistiert der Tod. „Und denk‘ doch an die Werbung für dich: ‚Der PR-Berater des Todes‘! Kannste dir so direkt auf die Website schreiben. Da rennen dir die neuen Kunden die Bude ein.“

Hege große Zweifel, dass der Tod mit dieser äußerst optimistischen Einschätzung richtig liegt. Andererseits ist er ein netter Kerl und ich will ihn nicht vor den Kopf stoßen.

„Na gut“, seufze ich.

„Prima!“ Der Tod klatscht begeistert in die Hände.

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„Lass uns am besten ganz systematisch vorgehen“, sage ich. „Was würdest du sagen, ist dein USP?“

„USP?“, fragt der Tod verwundert. „Was soll das denn sein.“

„Dein Unique Selling Point“, erkläre ich. „Was unterscheidet dich von der Konkurrenz? Was hebt dich von ihr ab?“

„Ich habe keine Konkurrenz“, antwortet der Tod.

„Aha! Ein Monopol also“, entgegne ich. „Eine Herausforderung für deine Positionierung.“

Der Tod nickt, schaut dabei aber nicht so aus, als verstünde er, was ich meine.

„Was macht deinen – nennen wir es Service – besonders und einzigartig?“, will ich wissen.

Der Tod denkt nach. Dann hellt sich seine Miene auf und er reckt seine linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Höhe: „Ich habe eine hundertprozentige Zufriedenheitsgarantie. Es hat sich noch nie einer meiner Kunden über mich beschwert.“ Er nippt an seinem Bier und fährt etwas nachdenklich fort: „Höchstens mal ein paar Verwandte. Aber auch nur, wenn sie mit dem Testament nicht einverstanden waren.“

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Ich denke kurz nach. „Vielleicht müssen wir eine Endorsement-Strategie fahren“, erkläre ich.

„Der Tod schaut mich fragend an. „Eine was?“

„Wir suchen nach neutralen Dritten, die positiv über dich reden“, erkläre ich. „Das kommt besser, als wenn du dich selbst lobst.“

Der Tod nickt. „Wer könnte das denn sein?“, will er wissen.

„Keine Ahnung“, erwidere ich. „Mit wem hast du denn häufig zu tun und zu wem hast du einen guten Draht?“

Der Tod überlegt. „Zum Beispiel mit der sizilianischen Mafia. Mit der arbeite ich immer sehr gut zusammen. Sehr umgängliche und zuvorkommende Leute.“

„Die haben aber selbst keinen guten Ruf“, äußere ich meine Skepsis. „Das nützt dann nicht viel, wenn die gut über dich reden.“

„Wie wäre es mit Bestattungsunternehmern?“, fragt der Tod. „Oder noch besser: Waffenproduzenten? Die führen mir speziell in den USA einen Großteil meines Geschäfts zu.“

„Ach, mit denen willst du lieber nicht in Verbindung gebracht werden“, gebe ich zu bedenken. „Vielleicht müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen, um dich in gutem Licht dastehen zu lassen. Irgendein spezielles Angebot.“

„Vielleicht Rabatte für Gruppenselbstmorde“, schlägt der Tod vor. „Bei einigen Sekten wäre das bestimmt der Renner.“

„Zu kleine Zielgruppe“, werfe ich ein.

„Oder wie wäre es mit einem Promi-Special?“, fragt der Tod. „Ich könnte einen verstorbenen Prominenten bei meinen Besuchen mitnehmen. Das freut die Leute bestimmt.“

Nun ist es an mir, fragend zu schauen.

„Letztens habe ich doch Achim Mentzel abgeholt“, führt der Tod aus. „Der machte einen sehr geselligen Eindruck. Den könnte ich mal fragen, ob er Lust hat, mich ab und an mal zu begleiten.“

„Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass es eine große Nachfrage danach gibt, von Achim Mentzel ins Jenseits befördert zu werden“, wende ich ein. „Außerdem hat er mit seiner Musik schon genug Leid über die Welt gebracht.“

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„Wir könnten auch eine innovative Todes-App anbieten“, wirft der Tod ein.

„Und was soll die machen, diese Todes-App?“, frage ich nach.

„Damit kannst du deine Termine mit dem Todestag koordinieren“, erklärt der Tod. „Wenn du beispielsweise weißt, dass du nachmittags um 16 Uhr von einem Laster überfahren wirst, dann lohnt es sich ja nicht morgens zu einer Wurzelbehandlung zum Zahnarzt zu gehen.“

„Klingt interessant, aber ich glaube nicht, dass deine Vorgesetzten so viel Offenheit und Transparenz bezüglich der Todestermine erlauben werden“, erwidere ich.

„Wahrscheinlich nicht“, stimmt der Tod mit leichter Enttäuschung in der Stimme zu. Er versinkt in ein tiefes Grübeln. Sorge derweil für Biernachschub aus der Küche.

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Als ich zurückkomme, strahlt mich der Tod an. „Wir sollten über einen guten Slogan nachdenken. Für Werbeplakate, Flyer und so.“

„Okay“, sage ich und reiche ihm sein Bier. „Und hast du schon eine Idee?“

Der Tod nickt enthusiastisch. „Ganz viele sogar. Zum Beispiel für romantisch Veranlagte.“ Mit diesen Worten steht der Tod auf, räuspert sich und deklamiert theatralisch:

‘Der Tod. Ich liebe es.‘“

Er schaut mich erwartungsfroh an. Ich schüttle den Kopf.

„Ich habe noch einen“, lässt sich der Tod nicht entmutigen. „Für die Progressiven und Vorwärtsdenkenden:

‚Der Tod. Ich mache den Weg frei.‘

„Eher nicht“, sage ich.

„Vielleicht lieber etwas Libertinäres“, wirft der Tod ein. „Zum Beispiel:

‚Tot. Die Freiheit nehm‘ ich mir.‘

Bevor ich etwas sagen kann, kommt er mit seinem nächsten Vorschlag: „Hier noch etwas für Entschlossene, die gerne zupacken:

‚Sterben. Wenn’s tot werden soll.‘

Trinke einen großen Schluck Bier, um Zeit zu gewinnen. Da sprudelt es schon wieder aus dem Tod heraus: „Oder für hedonistische Individualisten:

‚Death. Die different.‘

Nun ist der Tod nicht mehr zu bremsen. Vielleicht hätten wir weniger Bier trinken sollen.

„Ich hab‘ noch einen Guten“, erfreut sich der Tod an seiner eigenen Kreativität. „Der spricht alle an:

‚Egal ob du reich bist, oder lebst in großer Not, am Ende komm ich doch – der Tod.‘

Bevor ich ihn auf die metrischen und reimschematischen Unzulänglichkeiten des Slogans hinweisen kann, springt der Tod auf. „Jetzt hab‘ ich’s:

‚Heute die, morgen du. Der Tod.‘

„Genau, ganz große Klasse“, sage ich mit spöttischer Ironie. „Da machen wir dann virales Marketing mit einer E-Card-Kampagne, wo man statt ‚du‘ den Namen des Empfängers eingibt.“

„Grandios“, begeistert sich der Tod. „Du verstehst halt was von deinem Fach.“

Schaue ihn ausdruckslos an und überlege, ob das jetzt auch ironisch war. Wahrscheinlich nicht, denn der Tod ist nicht gerade für subtilen Humor bekannt.

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„Ich denke, du hast jetzt erstmal genug Input, um eine hübsche Kampagne zusammenzuzimmern“, erklärt der Tod. „Ein hübsches Corporate Design und ein paar Ideen für eine Website wären auch nett. Facebook, Instagram und Twitter brauche ich auch noch. Ich bin ja immer viel unterwegs und kann zwischendurch einiges posten.“

Ich nicke resigniert. Der Tod schaut auf die Uhr. „Ich muss jetzt aber los“, sagt er. „Habe noch etwas zu erledigen.“

Bringe den Tod zum Ausgang und wir nehmen uns zum Abschied in den Arm. Auf der Treppe dreht er sich noch einmal um. „Weißt du zufällig, wo hier ein gewisser Luigi Maccerone wohnt?“, erkundigt sich der Tod. „Da muss ich nämlich kurz vorbei.“ Schließe wortlos die Tür.

Kehre zurück an den Schreibtisch. Beschwingt durch die Biere und inspiriert von der Unterhaltung mit dem Tod finalisiere ich das Kommunikationskonzept. Baue noch ein paar der Slogans vom Tod mit ein und schicke es dann ab. Das wird bestimmt eine totsichere Kampagne.

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Alle Teile der Serie „Gespräche mit dem Tod“ gibt es hier.


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