Gespräche mit dem Tod (4): Wer zuletzt lacht

Es ist Samstagmorgen, 3 Uhr. Wache auf und habe einen Riesendurst. Hatten gestern Abend Besuch von Freunden und es wurde etwas später. Oder etwas früher, ganz wie man will. Mehr Alkohol getrunken, als es vernünftig ist, haben wir auch.

Entsprechen fühlt sich meine Zunge an, als sei sie in der Nacht zu einem Flokatiteppich mutiert. Und der Geschmack in meinem Mund deutet darauf hin, dass ein räudiges Frettchen auf diesen Teppich gepinkelt hat. Es bleibt mir also nichts anderes übrig als aufzustehen, um etwas zu trinken.

Betrete die Küche und zucke zusammen. An unserem Küchentisch sitzt eine hagere, fahle Gestalt, gekleidet in eine zerschlissene, leicht müffelnde Kutte. Neben ihr an der Wand lehnt eine große Sense. Die Gestalt lächelt mich freundlich an. Es ist der Tod, der mich ab und an besucht, um ein Schwätzchen zu halten.

Der Tod. Auf Besuch.

Der Tod. Auf Besuch.

„Hallo Tod“, begrüße ich ihn.

„Grüß Gott“, antwortet er.

„Wie bist du den reingekommen?“, will ich wissen. „War die Tür nicht richtig zu?“

„Keine Sorge. Ich bekomme jede Tür auf. An meiner Sense ist eine Dietrich-Applikation“, erklärt der Tod eifrig. „Das ist praktisch, wenn ich Kunden einsammeln muss, die alleine wohnen und wo mir niemand die Tür öffnen kann. Dann muss ich nicht extra auf den Schlüsseldienst warten.“

„Verstehe.“ Ich nicke und schaue bewundernd auf die High-Tech-Sense.

„Bei euch wollte ich mitten in der Nacht nicht klingeln, um die Kinder nicht zu wecken“, erklärt der Tod. „Deswegen habe ich mir erlaubt, mir so Zutritt zu eurer Wohnung zu verschaffen.“

„Wie umsichtig von dir“, erwidere ich. „Aber was führt dich zu mir? Hast du mal wieder Zeit totzuschlagen?“

Der Tod lacht laut auf. Er mag diese Wortspiele rund um den Tod und das Sterben. Besonders, wenn sie sich auf Fips Asmussen-Niveau bewegen.

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Dann wird der Tod auf einmal ernst. „Um ehrlich zu sein, ist der Anlass meines Besuchs diesmal nicht so erfreulich. Wenigstens für dich nicht“, erklärt er mit bedrückter Miene.

„Wie? Nicht so erfreulich. Für mich“, stammel‘ ich. „Bist du etwa gekommen, um mich zu holen?“

Der Tod schaut mich traurig an.

„Aber ich bin doch kerngesund und fit wie ein Turnschuh“, sage ich und ziehe dabei den Bauch ein. „Ich bin nie krank und gehe regelmäßig Laufen. Also, zumindest nehme ich es mir regelmäßig vor.“

Der Tod hebt bedauernd die Schultern: „Manchmal trifft es auch die Allergesündesten. Erst letzte Woche musste ich einen von der Bio-Fraktion abholen. 35 Jahre alt, hat immer nur auf dem Öko-Markt eingekauft, keine Süßigkeiten gegessen und sich streng fleischlos ernährt. Dann ist er an einer Rosine in seinem Müsli erstickt. Tragisch! Aber auch ein bisschen lustig.“ Der Tod kichert.

„Aber ich esse doch gerade gar keine Rosinen“, werfe ich ein.

„Kann ich mich denn wenigstens von der Freundin und den Kindern verabschieden? Und vielleicht noch einen letzten Käsekuchen backen?“

Der Tod macht ein trauriges Gesicht und schüttelt den Kopf.

Plötzlich prustet er los: „Hahaha, April, April! War nur ein Scherz!“

„April, April? Heute ist überhaupt nicht der 1. April!“, rufe ich erbost.

„Ich weiß“, entgegnet der Tod. „Am 1. April war ich allerdings verhindert. Aber weil ich mir diesen lustigen Spaß schon ausgedacht hatte, wäre es doch eine Schande, ihn verfallen zu lassen.“

„Du spinnst wohl. Das ist kein bisschen lustig“, erkläre ich missmutig. „Mit dem Tod macht man keinen Spaß!“

„Warum kann man mit mir keinen Spaß machen?“, fragt der Tod entrüstet. „Ich bin ein sehr lustiger Zeitgenosse. Frag‘ mal Heinz Erhardt. Wir haben damals viel miteinander gelacht, als ich ihn abholte.“

Schaue ihn skeptisch an.

„Na, dann hör mal zu“, ruft der Tod. „Ich habe Heinz Erhardt sogar mit einem lustigen Gedicht begrüßt.“

Der Tod steht auf, räuspert sich und beginnt zu deklamieren:

„Da sitzt der Tod,
und in der Not
isst er so das Brot
Und macht drum kein Gewese.
Das wäre Käse.“

Erwartungsfroh schaut mich der Tod an.

Ich schaue um Fassung ringend zurück: „War Heinz Erhardt schon vorher tot oder ist er gestorben, als er das Gedicht gehört hat?“

Nun ist der Tod beleidigt.

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Wir schauen uns eine Weile schmollend an. Schließlich bricht der Tod das Schweigen: „Komm‘, wir vertragen uns wieder. Lass‘ uns zur Versöhnung ein Bier trinken.“

„Ich weiß nicht“, werfe ich ein. „Eigentlich hatte ich gestern Abend schon mehr als genug Alkohol. Und Kopfschmerzen habe ich auch.“

„Dann ist ein Konterbier genau das Richtige“, insistiert der Tod. „Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter. Ich muss es wohl wissen.“ Der Tod lacht schallend, verschluckt sich und bekommt einen Schluckauf.

Hole in der Zwischenzeit zwei Bier aus dem Kühlschrank. Frage den Tod, ob ich sie mit seiner Sense öffnen darf.

Er schüttelt energisch den Kopf: „Dafür brauchst du einen Sensen-Führerschein.“

Dann stellt er die beiden Flaschen nebeneinander auf die Anrichte, schwingt die Sense durch die Luft und haut mit einem geschickten Schlag die Kronkorken gleichzeitig von beiden Flaschen. Beifall heischend schaut er mich. Tue ihm den Gefallen und nicke anerkennend. Wir stoßen an und trinken beide einen großen Schluck.

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„Was bringt dich denn wirklich in unsere Gegend?“, will ich vom Tod wissen.

„Ach, ich habe in einer viertel Stunde einen Termin bei der alten Frau Meier im ersten Stock“, erklärt der Tod. „Sie geht gleich auf Toilette, rutscht auf der Badematte aus und knallt ungünstig mit dem Kopf an die Toilette und: PENG!“

Der Tod schlägt mit der flachen Hand auf den Küchentisch, um den schicksalhaften finalen Aufschlag des Meierschen Schädels auf die Kloschüssel zu simulieren.

„Das ist ja furchtbar“, sage ich. „Ich könnte doch schnell runtergehen und sie warnen.“

„Das geht unter keinen Umständen!“, ruft der Tod und hebt mahnend seinen dürren, knochigen Zeigefinger. „Eigentlich darf ich dir das gar nicht erzählen. Wenn Gott wüsste, dass ich das ausgeplaudert habe, wäre die Kacke am Dampfen und er würde mir die Hölle heiß machen. Und das meine ich beides wörtlich.“

„Schon gut“, beschwichtige ich ihn. „Von mir erfährt er nichts. Ich schweige wie ein Grab.“

Wir kichern beide. Das Bier scheint seine Wirkung zu entfalten.

„Außerdem kannst du die alte Meier gar nicht warnen“, doziert der Tod. „Wenn du jetzt um halb Vier Uhr morgens klingelst, bekommt sie vor Schreck einen Herzinfarkt und ist ebenfalls tot. Wer erstmal in meiner Kladde notiert ist, den hole ich auch ab. Da gibt es keinen Verhandlungsspielraum.“

„Verstehe“, sage ich nickend zum Tod.

Der Tod schaut auf die Uhr und trinkt mit großen Schlucken sein Bier aus. „Es wird Zeit. Ich muss noch die Badematte bei der Meier präparieren. Nicht, dass ich mich verspäte und der Zeitplan gerät durcheinander. Das sieht Gott nämlich gar nicht gern.“

„Ganz schön streng, dein Chef“, bemitleide ich den Tod.

„Wem sagst du das?“, erwidert der Tod und rollt mit den Augen.

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Bringe den Tod zur Tür. Auf dem Weg dorthin gerate ich ins Taumeln und halt mich an der Wand fest.

„Was ist los?“, fragt der Tod besorgt.

„Keine Ahnung“, keuche ich. „Ich hab‘ so ein Stechen in der Brust und bekomme keine Luft.“

Der Tod schaut mich entsetzt an. „Alter, du wirst doch keinen Herzinfarkt haben!“

„Weiß nicht. Vielleicht musst du mich ja doch mitnehmen“, stoße ich hervor.

„Nein, nein, nein!“, ruft der Tod und blättert hektisch in seiner abgewetzten Lederkladde. „Das kann nicht sein. Hier steht nichts von dir. Und ich muss dringend zur alten Meier. Was mache ich denn jetzt? Ich kann dich doch nicht so zurücklassen!“

Ich röchel‘ ein wenig. Dann pruste ich los: „Selber April, April! Mir geht es blendend.“ Lachend halte ich mir den Bauch. „Ich kann nämlich auch lustig sein und Leute reinlegen.“

Der Tod schaut mich zornig an: „Haha, sehr lustig.“ Man sieht ihm aber an, dass er meine kleine Retourkutsche gar nicht lustig findet.

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Der Tod kontrolliert seine Uhr. „Verdammt!“. Er wird noch fahler, als er ohnehin schon ist. „Jetzt war Frau Meier schon auf dem Klo. Weil ich die Badematte nicht manipuliert habe, ist sie nicht ausgerutscht und liegt jetzt wieder selig schlummernd im Bett.“ Der Tod beginnt zu schluchzen und bedeckt sein Gesicht mit seinen dünnen Fingern. „Wie erkläre ich das Gott, wenn ich mit leeren Händen ankomme?“

„Ups, das tut mir leid“, sage ich betreten. Der Tod weint immer heftiger.

Tröstend lege ich meinen Arm um den Tod. „Lass‘ uns zusammen überlegen. Vielleicht fällt uns etwas ein.“

„Das verzeiht mir Gott niemals“, stößt der Tod hervor. „Bestimmt feuert er mich und dann finde ich nie wieder einen Job. Wer stellt mich denn schon ein in meinem Alter?“ Der Tod wird immer verzweifelter.

Denke angestrengt nach. Ich darf den Tod jetzt nicht im Stich lassen. Er ist doch mein Freund.

Da kommt mir eine Idee. „Du brauchst einen guten Ersatz“, erkläre ich. „Schau‘ doch mal bei Pierre Brice nach. Dessen Zeit ist doch bestimmt allmählich abgelaufen. Und wenn du Winnetou mitbringst, vergisst Gott bestimmt die alte Meier.“

Der Tod schaut mich an und sein Gesicht hellt sich auf. „Das ist genial!“, ruft er euphorisch. „Gott liebt die alten Filme und heult immer Rotz und Wasser, wenn Winnetou erschossen wird. Da freut er sich bestimmt, ihn persönlich kennenzulernen.“

Der Tod packt mich an den Schultern, zieht sich zu sich ran und küsst mich auf die Stirn. Mich schauert ein wenig, aber ich bin froh, dass ich dem Tod aus der Patsche helfen konnte.

„Nun muss ich mich aber sputen, damit ich rechtzeitig in Paris ankomme“, sagt er. „Das darf nicht schiefgehen.“

Mit wehender Kutte rennt der Tod aus der Tür und springt immer mehrere Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunter. Höre noch wie er murmelt: „Komm, mein roter Bruder. Lass‘ uns gemeinsam in die ewigen Jagdgründe gehen.“

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Am Fenster schaue ich dem Tod hinterher, wie er die Straße entlang rennt. Schön, dass noch einmal alles gut ausgegangen ist. Naja, für Pierre Brice vielleicht nicht ganz so gut. Er wird es schon verkraften.


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