GESPRÄCHE IN GRENZEN: JUTTA LAMPE

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Eine Frau mit Doppelleben:
Lili Groth, Gattin eines Wirtschafts-Professors, verliert ihr Gleichgewicht, weil sie neben ihrem gesicherten Leben , , als Partnerin eines Popmusikers, noch Abgründe kennenlernen möchte. Jutta Lampe spielte diese schillernde Figur in der Uraufführung des Botho-Strauß-Stücks   "Das Gleichgewicht" 1993 bei den Salzburger Festspielen in virtuoser Vielschichtigkeit. Später  war sie  die ausgeflippte Gutsbesitzerin in Peter Steins dichter, gar nicht elegischer Inszenierung von Tschechows "Der Kirschgarten".
Auch diese Frau im Kirschgarten ist eine Frau, die mehrere Leben nicht auf die Reihe bringt,  nichts von sich preisgibt, und wie eine Schauspielerin im Mittelpunkt ihres eigenen Untergangs steht. 
Jutta Lampe:  "Natürlich ist sie zu großen Gefühlen fähig. Sie ist ein Mensch, der in einer Durchgangszeit lebt. Das Problem ist, dass diese Menschen, und da beziehe ich mich durchaus ein, nicht mehr spüren, was verloren geht. Sie ist oberflächlich und auch wieder nicht, sie ist wahnsinnig großzügig, sie ist kindlich und lebenshungrig und in der Lage, jeden Moment zu leben und nicht geizig mit dem Leben umzugehen. Sie ist aber nicht in der Lage, um etwas zu kämpfen; sie ist nicht zielgerichtet, wie wir heutigen Menschen zum Beispiel, auch die jüngere Generation. Manchmal denke ich, wir wissen gar nicht, wie man richtig lebt. Das wussten die Tschechow-Menschen noch."
Gibt es Parallelen zu Lili Groth bei Strauß? "Die Lili Groth ist schon eine ungewöhnliche Frau, da muss man lange in sich herumsuchen, bevor man sie nachempfinden kann. Ihr Doppelleben ist heute ja etwas ziemlich normales. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen so leben, weil der eine Teil des Lebens immer enger wird, der Mensch will nicht mehr so begrenzt sein."
Starke Frauen am deutschsprachigen Theater
Jutta Lampe, einer der großen Stars der Berliner Schaubühne ist als Schauspielerin auch eine Frau mit Doppelleben. Ihre Anverwandlungskunst ist beinahe beängstigend. Dabei sind Frauen am Theater, was die Rollenauswahl betrifft, ziemlich benachteiligt. Jutta Lampe sieht das differenzierter: "Der Beruf der Schauspielerin ist für mich eigentlich nie ein Problem gewesen. Das ist einer der ältesten Frauenberufe. Und ich habe auch nie das Gefühl gehabt, dass ich kämpfen muss, weil ich eine Frau bin. Ich habe auch das Gefühl, die Frauen sind sehr stark vertreten am deutschen Theater. Wir spielen gerade  (Anm. 1996) in Berlin ein Stück: da sind sieben Frauen drin. Ein Problem gibt es vielleicht, wenn man älter wird, weil dann die Anforderung der Rollen weit auseinander klafft von unserem  Selbstbild. Diese Probleme haben Männer  nicht."
Kritiken in den Zeitungen werden übergangen
Ihre bisher größten Erfolge hat Jutta Lampe  mit Regisseuren erzielt wie Peter Stein, Luc Bondy oder aber auch Robert Wilson, mit dem sie 1989 in Berlin ihren vierstündigen Monolog nach dem Roman von Virginia Woolf , "Orlando - eine Biografie"  erarbeitete - eine Figur, die sich, beginnend im Zeitalter Elisabeths I., durch vier Jahrhunderte bewegt, dabei das Geschlecht wechselt und doch nur um 20 Jahre altert.
Nicht zuletzt für diese bravouröse Solo-Leistung wurde ihr während des Berliner Theatertreffens im Jahr 1992 der Theaterpreis der Berliner Stiftung  "Preußische Seehandlung" zugesprochen. Es war, wie man sich denken kann, nicht die erste Auszeichnung für ihre schauspielerischen Leistungen. Wieweit beeinflussen eigentlich solche Würdigungen, aber auch die Kritik in den Medien, die berufliche Entwicklung?  Lampe: "Ich habe das nie als karrierefördernd empfunden, aber das liegt daran, dass ich an der Schaubühne, wo ich seit 1970 spiele, in einer ungemein privilegierten Situation arbeite. Mein Platz an der Schaubühne hat sich nicht verändert, nur weil ich einen Preis bekommen habe. Natürlich habe ich mich  riesig über solche Auszeichnungen gefreut. Kritik in den Zeitungen nehme ich allerdings nicht mehr zur Kenntnis. Ich bin nur, wenn ich etwas höre oder lese, wenn es nicht mich betrifft, immer sehr traurig. Wenn ich höre, dass über den 'Cäsar' von Peter Stein böse geredet wird, dann bin ich traurig. Wenn es mich selbst betrifft, bin ich natürlich auch irritiert, sofern es mir zugetragen wird, aber ich mag mich damit nicht mehr befassen."
Die Arbeit an der bereits legendären Berliner Schaubühne mag dem Beobachter aus der Ferne wie ein Festspiel im Alltäglichen erscheinen: die besten deutschsprachigen Schauspieler erarbeiten unter den besten Regisseuren Muster-Inszenierungen neuer und klassischer Stücke. Hier aber einen Zusammenhang mit Salzburg herzustellen, findet Jutta Lampe doch unangebracht: "Das ist natürlich etwas gewagt, das Festspiele zu nennen in Berlin. Es ist eine ganz besondere Arbeitsweise, die wir uns da leisten konnten. Hier in Salzburg ist es für mich deshalb nicht ein so großer Unterschied, weil ich schon zweimal mit Regisseuren gearbeitet habe, unter denen ich auch an der Schaubühne gespielt habe: mit Luc Bondy und mit Peter Stein. Deshalb ist das für mich auch vertrautes Terrain. Was für mich an Salzburg anders ist, ist das Schöne, was Peter Stein hier gemacht hat, dass er nämlich viele Schauspieler holte, die noch nie an der Schaubühne waren, die aber schätzenswert sind, und mit denen ich große Lust hatte, zu arbeiten. Salzburg ist eher ein Phänomen des permanenten Festes. Wenigstens in diesen drei Monaten hat man das Gefühl, die Zuschauer feiern auch ein Fest, man nimmt teil daran, was auf dem Theater, in der Oper, passiert. Das ist stimulierend. Das gibt es in dem Maße nicht mehr in Berlin. Wenn es das einmal gegeben hat, dann ist das schon 15 Jahre her."
Das Theater hinkt immer ein bisschen nach
"In Berlin ist es mit den Festen   zu Ende. Alle müssen sparen, alle müssen sich umstellen. Auch die Arbeitsbedingungen sind schwieriger geworden. Natürlich hat das mit dem Fall der Mauer, der deutschen Wiedervereinigung, zu tun. Gerade in Berlin ist man im Zentrum der großen Schwierigkeiten und Umwälzungen. Ich habe manchmal das Gefühl, in München, oder überhaupt in Westdeutschland, weiß man überhaupt nicht, was da eigentlich passiert ist. Berlin hat mächtig zu kämpfen: alle Menschen sind nervös, niemand weiß, wie es weitergehen soll, es ist beunruhigend im Moment." Und die vielzitierte Aufbruchstimmung, die in Berlin herrschen soll, wird das Theater davon nicht erfasst? "Das weiß ich nicht. Theater hinkt ja immer ein bisschen nach. Ich meine auch, dass da viel umstrukturiert werden muss, so luxuriös geht es ganz bestimmt nicht weiter. Das Theater braucht furchtbar viel Zeit, sich darauf einzustellen, vor allem die Menschen, die am Theater arbeiten. Die Aufbruchstimmung gibt es auch in Berlin, aber gerade im Theaterbereich sehe ich das überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass es zu viele Theater in Berlin gibt. Im Moment können wir die Häuser nicht füllen. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen zur Zeit nicht so viel Muße und  Geld haben, ins Theater zu gehen. Es ist auch nicht deutlich, was gewollt wird am Theater, worauf es letztendlich hinaus läuft, und das Publikum weiß auch nicht, was es will."
In Salzburg gibt es das also : ein permanentes Fest, wenigstens drei Monate lang. Kommt  Jutta Lampe neben ihrer Arbeit  überhaupt in den Genuss dieser Festesstimmung ?
"Ich versuche alles zu sehen, was hier angeboten wird.  Wenn man das bezahlen kann. Alles im Schauspiel, auch die Gastspiele, habe ich gesehen. Dann fahre ich gerne hinaus in die Natur, spazieren gehen, auf der Alm sitzen mit Freunden und Kollegen. Das ist schon ein bisschen wie Ferien. In Berlin sitzt man so zwischen Steinen. Hier in Salzburg lebt alles von gewachsener Kultur, in den kleinsten Details. Berlin ist ganz bestimmt eine der interessantesten Städte, aber es nicht schön. Es ist auch nicht offenherzig, auch nicht freundlich und einladend. Jede Art von Kultur muss erkämpft werden. In Salzburg  leben die Menschen schon seit Jahrhunderten damit, das ist ein anderes Lebensgefühl. Darum bin ich sehr gerne hier."
Immer wird gleich der Mensch abgesägt
Nächstes Jahr  wird Jutta Lampe nicht bei den Salzburger Festspielen sein. Das soll aber, trotz der Demission von Peter Stein als Schauspieldirektor, kein Abschied für immer sein: "Wenn er länger geblieben wäre, dann hätte man sicher etwas Neues überlegt. Ich bin gerne in Salzburg.Ich glaube, dass er ein sehr schönes Konzept hatte. Ich weiß auch nicht - diese Reaktionen: nicht vom Publikum, von der Kritik. Wenn man etwas auszusetzen hat, dann wird gleich der ganze Mensch abgesägt und beschimpft. Dass steht in keinem Verhältnis. Tod und Leben, Sein oder Nichtsein…." Jutta Lampe, eine Frau mit  vielen Gesichtern und vielen Leben: in Salzburg ist sie sozusagen auf Ferien, in Berlin arbeitet sie (in Flensburg wurde sie übrigens geboren.Wo ist sie eigentlich zu Hause? "In Berlin bin ich zu Hause."  Mit allen Konsequenzen? Ist das Heimat? "Das ist ein sehr umfassender Begriff. Aber es ist wenigstens ein Stückchen Heimat…."
(Das Gespräch erschien am Samstag, dem 24. August 1996, in einer Salzburger Zeitung.)


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