Gesellschaftliche Instanzen und Glück: Passt das zusammen?

Wir Menschen haben ein tiefverankertes Bedürfnis nach normativer Einordnung und sehnen uns nach einer Richtschnur zu einem ethischen Leben. Auch die aufgeklärte, pluralistische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts braucht moralische Instanzen und mahnende Autoritäten. Üblicherweise fühlen wir uns zufrieden, wenn wir im Einklang mit unserem Gewissen ein gutes Leben führen. Wie der Philosoph Theodor W. Adorno es ausdrückte: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Aber unser Gewissen ist ohne moralische Orientierung blind.

Gesellschaftliche Instanzen und Glück: Der Zusammenhang zwischen Moral und Freude

Michael Foucault ist der Vordenker einer am Glück orientierten Ethik. Die Ethik liefert allgemein verbindliche Normen und bindet das Individuum in die Gesellschaft ein. Lebenskunst und Moral überschneiden sich in vielerlei Hinsicht, das moralisch gute Leben ist eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für ein glückliches Leben. Wichtig für das individuelle Glück ist dabei, dass die Moral dabei nicht auf blinden Gehorsam setzt, sondern auf Selbstdenken, Reflexion und Freiwilligkeit. Im Nachdenken über das Glück enthüllt sich das Potential von Moral, genauso wie in der Moral ein Potential von Glück und Lebenskunst enthalten ist.

Aber auch diese Ethik der Freiheit verlangt allgemeingültige moralische Normen, damit wir Menschen vertrauen können. Doch wer liefert diese in der heutigen Zeit?

Die Kirche als Instanz für Moral und Glück

Religionen haben in den vergangenen Jahrzehnten tiefgreifende Transformationsprozesse durchlaufen. Zahlreiche Menschen wollen sich nicht ein Leben lang an eine Religionsgemeinschaft binden und die Religionszugehörigkeit ist immer stärker eine Frage der individuellen Wahl geworden. Immer mehr Religionsformen werden unabhängig von der Kirche praktiziert. Auf der anderen Seite sorgen aber gerade diese unendlichen Wahlmöglichkeiten auch für Verunsicherung. Das Bedürfnis nach Sinnfindung ist nach wie vor da, ein glückliches Leben ohne Sinn schwer vorstellbar.

Die Entwicklung der Kirche zur Moralinstanz ist eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts, um den Verlust politischen Einflusses durch moralische Kontrolle auszugleichen. Christliche Moralvorstellungen wurden Schritt für Schritt verkirchlicht. Aber immer mehr Menschen tun sich schwer, der kirchlichen Autorität, der biblischen Überlieferung sowie der praktischen Vernunft gleichermaßen gehorsam zu sein. Sie stellen die überlieferte Moraldoktrin in Frage, beispielsweise wenn es um gleichgeschlechtliche Partnerschaften geht. Kirchliche Moralgebote werden zunehmend an eigenen Wertvorstellungen gemessen. Zwar gibt es christlich unstrittige Prinzipien, wie Nächstenliebe oder Barmherzigkeit, darüber hinausgehend liefert die Kirche aber immer weniger Antworten auf die komplexen Herausforderungen des Lebens im 21. Jahrhundert.

Aber auch die Kirche von heute klagt bestehendes Unrecht an und setzt sich für eine Veränderung ungerechter Verhältnisse ein. Zudem äußert sich der Papst auch zu den brennenden Themen unserer Zeit, wie beispielsweise dem Klimaschutz. Damit liefert die Kirche nach wie vor Anhaltspunkte für ein moralisches und in Folge glückliches Leben, ihre Antworten sind aber längst nicht mehr unfehlbar, sondern vielmehr eine moralische Richtschnur unter vielen. Durch den Missbrauchsskandal hat die Kirche zusätzlich an moralischem Gewicht verloren.

Politik und Wirtschaft als gesellschaftliche Instanzen

Der Philosoph John Rawls hat mit seiner „Theory of Justice" eines der einflussreichsten Werke politischer Philosophie verfasst. Darin sieht er die Gerechtigkeit als maßgebliche Tugend sozialer Institutionen, die jedoch die Freiheit des Individuums nicht verletzen darf. Der Politik kommt eine wichtige Rolle in der Festlegung der Grundstruktur der Gesellschaft zu. Sie bestimmt mittels Gesetzgebung über die institutionelle Zuweisung von Rechten und Pflichten sowie über die Verteilung von Ressourcen. Als Moral und Glück vermittelnde Institution kann die Politik aber höchstens insofern gesehen werden, als die den Schutz von Menschenrechten garantiert und damit eine Grundvoraussetzung für Glück schafft.

Darüber hinaus lässt sich politisches Handeln schwer aus moralischen Grundsätzen und Überzeugungen ableiten. Machiavelli begründete die neuzeitliche Lehre der Staatsräson, die besagt, dass ein Herrscher auch Handlungen durchführen kann, die er privat für amoralisch hält, wenn dies dem Wohle oder dem Erhalt des Staates dient. Auch andere Philosophen fordern eine Lösung der Politik von der Moral. In Deutschland versucht sich die Politik aber sehr wohl als moralische Instanz und will Vorbild sein, etwa beim Klimaschutz, dem Zusammenhalt Europas oder der Verteidigung der freien Welt.

Dem gegenüber stehen Waffenexporte oder der nationale Egoismus als Exportweltmeister sowie wirtschaftliche Interessen, beispielsweise die der Automobilindustrie. Damit verliert die Politik als moralische Instanz an Glaubwürdigkeit.

Archaische Gesellschaften und Glück

In archaischen Gesellschaften waren Recht, Moral und Sitte eins, mit der Aufklärung begann dann die Unterscheidung von Recht und Moral. Dennoch gibt es bis heute staatliche Rechtsnormen, die stark moralisch geprägt sind, wie beispielsweise das Verbot der Todesstrafe oder der Bigamie sowie in jüngster Zeit Plastiktütenverbot oder teurere Flugtickets. Für das individuelle Glück sind Regierungen sicher nicht zuständig, sie sollten aber versuchen, möglichst viel Leid und Unheil zu vermeiden. Diese Thematik ist gerade in der Corona-Krise aktuell, wo individuelle Freiheiten sowie ökonomische Interessen gegen Menschenleben abgewogen werden müssen. Die Politik als moralische Instanz zu sehen, wäre verfehlt, dennoch beeinflusst die politische Debatte die Moralvorstellungen der Gesellschaft.

Was die Wirtschaft anbelangt, stellt sich die Frage nach ihrer Moral nicht einmal, solange sie sich mit aller Konsequenz dem Wachstumsparadigma verschreibt und dafür Ausbeutung, Umweltzerstörung und dergleichen in Kauf nimmt. Aber wie steht es mit dem Glück? Solange wir dieses mit immer mehr Konsum gleichsetzen, könnte man argumentieren, dass die Wirtschaft das Glück fördert. Indem sie uns über die Werbung einredet, was wir zum Glücklichsein brauchen, versucht sie sich sogar als Instanz in Sachen Glück. Sobald wir aber Glück nicht mehr mit Konsum gleichsetzen, erübrigt sich die Frage von der Wirtschaft als Instanz in Sachen Moral und Glück.


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