Geschockt und sprachlos?

„Nazis im Parlament! Ich bin geschockt und sprachlos!“ Die Statusmeldungen im Internet kamen zeitgleich mit den ersten Hochrechnungen um 18 Uhr. Richtig nachvollziehen kann ich sie allerdings nicht. Dass über zehn Prozent der deutschen Bevölkerung entweder frustriert genug sind, um kein Problem damit zu haben, ihren Protest über eine eindeutig rassistische und antidemokratische Partei deutlich zu machen, oder eben schlicht selber Rassisten und Antidemokraten sind, das kann nur denjenigen überraschen, der in den letzten Monaten und Jahren beide Augen und Ohren fest zugehalten hat. Der Einzug ins Parlament als drittstärkste Kraft ist nur der nächste unvermeidbare Schritt. Und vielleicht ist er auch gar nicht mal so schlecht. Das Problem sind nicht knapp 90 Abgeordnete der AfD. Das Problem sind die bereits erwähnten Menschen, die bereit sind, diese zu wählen. Diesem Problem müssen wir uns stellen, sowohl die Parteien wie auch die gesamte Gesellschaft. Dabei haben wir bislang ehrlich gesagt einen irre schlechten Job gemacht. Der Einzug ins Parlament erhöht den Druck, es besser zu machen. Vielleicht ist das dringend nötig.

Auch abseits davon gibt es wenig Überraschungen. Höchstens noch, dass die Grünen nicht abgestürzt sind. Auch wenn einem eine weitere Amtszeit von Angela Merkel nicht schmecken mag – dass es nur darauf hinauslaufen kann, war zweifelsfrei klar. Alles andere wäre eine tatsächliche Überraschung gewesen.

Fraglich war nur der Koalitionspartner und hier begrüße ich ebenso das miese Abschneiden der SPD, dass eine Neuauflage der unseligen Großen Koalition extrem unwahrscheinlich macht wie auch den Wiedereinzug der FDP, der Jamaika ermöglicht. Kommen wir erst mal zur SPD. Die erneute Klatsche kann der Partei die Chance geben, sich endlich personell wie auch inhaltlich von dem Weg zu verabschieden, den sie unter Gerhard Schröder eingeschlagen hat und der nur in eine Richtung führen kann – zum Abgrund. Martin Schulz kann einem leid tun, aber wenn die Partei jetzt endlich auf die Idee kommt, das Wort „Sozialdemokratie“ wieder im Lexikon nachzuschlagen, dann hat sie möglicherweise wieder eine Zukunft. Es wäre ihr und uns zu wünschen.

Was die FDP angeht, da habe ich den Niedergang vor ein paar Jahren auch aus Überzeugung gefeiert. Aber mit ihrem Auszug ist nichts besser geworden. Der Neoliberalismus ist nicht mit ihr verschwunden, wie wir damals gehofft hatten, sondern nach wie vor fest in der Politik der anderen Parteien verankert. Dafür braucht es keine FDP. Der traurige Rest Liberalismus, den die FDP zum Schluss noch in Ansätzen verkörpert hat, der ist allerdings mit ihr aus dem Parlament verschwunden. Auch wenn sich die anderen Parteien durch die Bank als legitime Nachfolger dieses Gedankens geriert haben – eingelöst hat dieses Versprechen niemand. Die Bürgerrechte sind schneller im freien Fall als je zuvor. Vielleicht wird auch die FDP das nicht aufhalten. Schlechter werden die Chancen auf eine liberalere Politik mit ihrem Wiedereinzug aber wohl nicht.

Insgesamt ist es zu begrüßen, dass die nächste Regierung vermutlich aus Parteien bestehen wird, die politisch nicht so nah zusammenstehen, wie CDU und SPD das aktuell tun. Union, FDP und Grüne sind sich in zentralen Punkten inhaltlich fremd und werden sich nicht nur wieder eindeutig positionieren, sondern um gemeinsame Politik ringen müssen. Das begrüße ich ausdrücklich, denn wir brauchen dringend wieder echte Debatten und echte konstruktive Konflikte. Davon können sowohl das Parlament wie auch die Gesellschaft profitieren. Und es könnte auch den rechtsradikalen Schreihälsen das Leben schwerer machen, als gerümpfte Nasen und überhebliches Herunterschauen auf das Pack.

Der heutige Abend ist sicher kein Grund zum Feiern. Aber er ist auch kein Grund zum Verzweifeln.


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