Durch den Titel “Eindeutig ein Stellvertreterkrieg” neugierig geworden, las ich auf Telepolis kürzlich einen Artikel von Reinhard Jellen, in dem er ein Interview mit der Psychotherapeutin Christine Bauer-Jelinek niederschrieb. Gefiel mir der Anfang noch ganz gut, so wurde ich gegen Ende hin geradezu wütend: Selten habe ich so viel Intelligentes und absoluten Blödsinn so dicht nebeneinander gelesen. Völlig einverstanden bin ich mit der These, dass der ewige Konflikt zwischen Frauen und Männern eindeutig ein Stellvertreterkrieg ist – natürlich, was denn sonst? Und ich denke auch, dass es ein Irrglaube ist, dass Frauen die besseren Menschen wären, also auch die besseren Kanzlerinnen oder überhaupt Herrscherinnen sind – denn die Spielregeln der Macht funktionieren nicht nach Geschlechterrollen, sondern nach bestimmten Machtmechanismen, die Männer und Frauen gleichermaßen brutal oder subtil ausüben können.
Lieber gemeinsam kämpfen statt gegeneinander!
Problematischer finde ich dann aber die These, dass durch den Werteverfall der Ware Sex infolge der sexuellen Revolution die Frau von heute gezwungen sei, ihr Geld halt durch eigene Arbeit zu verdienen – haben die Frauen früher etwa nicht für ihren Unterhalt arbeiten müssen? Hausfrau und Mutter zu sein war ja die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte durchaus mit harter Arbeit verbunden – und eben nicht nur mit ab und zu mal die Beine breit machen, damit der Gatte einen neuen Pelzmantel springen lässt. Die Kinder zu ernähren war und ist in vielen Gesellschaften Frauensache. Und je ärmer die Gesellschaft, desto härter ist dieser Job.
Davon mal abgesehen, ist es heute kaum mehr möglich, eine Familie mit einem einzelnen Normalverdienergehalt zu unterhalten, da muss die Frau mit ran, Sex hin oder her. Dass die Männer gerade ein Imageproblem haben, mag aber vielleicht auch damit zusammen hängen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, eine Familie zu ernähren. Aber auch das liegt nicht an der sexuellen Revolution, sondern am unseligen Wirken des Kapitalismus – den Frau Bauer-Jelinek aber nicht als solchen kritisiert, sondern nur in der Form des Neoliberalismus. Der sei nämlich in Wahrheit schuld am derzeitigen Geschlechterdilemma. Eigentlich seien in den westlichen Gesellschaften Chancengleichheit und Gleichberechtigung durchgesetzt.
Hier wird es jetzt aber komplett bescheuert: Zum einen argumentiert Frau Bauer-Jelinek, dass es ja rechtlich gesehen keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern geben dürfe, weil das so in den Verfassungen geschrieben stünde. Na wenn das so ist, dann ist ja alles gut! Und zum anderen könne aus der biologischen Tatsache, dass Kinder noch immer nicht geklont, sondern von Frauen ausgetragen und geboren würden, auch kein Nachteil mehr konstruiert werden, weil ja auch die Männer heutzutage keine glatten Erwerbsbiografien mehr hätten, sondern auch mal den Job und die Firma wechseln würden, so dass es eigentlich kein Problem mehr sei, wenn Frau nach Kinderpause und Erziehungszeit wieder in einen Job einsteigen wollten. Über den Einwand, dass Arbeitgeber aufgrund marktwirtschaftlicher Überlegungen Frauen nicht so gern einstellen, eben weil sie wegen Kinderkriegen und allem drum und dran mit höherer Wahrscheinlichkeit ausfallen, geht Frau Jelinek hinweg, weil das ja nicht sein darf. Dafür regt sie sich über Frauenquoten auf, weil diese den Wettbewerb verzerren würden. Was ist das denn für ein Argument?!
Ich dachte, der Wettbewerb sei ein Bestandteil des Stellvertreterkriegs, mit dem mal Schluss sein müsse! Wegen des verdammten Rattenrennens um Erwerbsjobs sind die Beziehungen zwischen den Menschen doch so schlecht! Es ist eben nicht nur der verdammte Neoliberalismus, sondern überhaupt die Tatsache, dass Menschen ständig in Konkurrenzsituationen gestellt werden – und das geschieht immer, wenn um Lohnarbeit konkurriert werden muss, um damit den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Also immer, wenn die Leute nicht auf ihrem Stück Land sitzen, von dem sie leben können oder durch die Wälder ziehen und von dem leben, was ihnen so über den Weg läuft. Egal, ob man das soziale Marktwirtschaft, Kapitalismus, Neoliberalismus oder meinetwegen auch freiheitlich-demokratische Wirtschaftsordnung nennt: Die besitzende Klasse schafft es immer, die armen Würste, die für ihr Geld arbeiten müssen, gegeneinander auszuspielen, um sie bei der Stange zu halten. Dabei werden die Gutvverdiener gegen die Wenigverdiener, die Inländer gegen die Ausländer, die Verdienenden gegen die Arbeitslosen und natürlich auch die Männer gegen die Frauen ausgespielt. Und alle machen auch schön mit, damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird. Dabei ist der Wettbewerb doch von vorn herein schmu – denn die Interessen der Besitzenden bleiben auf jeden Fall gewahrt, die Loser dürfen aber untereinander eine Hackordnung auskämpfen, nach der herrschende Mangel verteilt wird. Denn Mangel muss sein, das ist gut für den Wettbewerb. Wären alle glücklich und zufrieden, müssten sie sich ja nicht mehr für andere Leute krumm machen. Leider macht sich Frau Bauer-Jelinek keine weiteren Gedanken hierzu.
Am Ende stimme ich Frau Bauer-Jelinek dann aber wieder zu, wenn sie konstatiert, dass die wirklich großen Verwerfungen in der Gesellschaft das Auseinanderdriften von arm und reich seien und die Schere beim Gehalt nicht zwischen Männern und Frauen sondern zwischen den Klassen aufginge. Hier würden keine echten politische Anstrengung unternommen, etwas dagegen zu tun und ein bisschen an der Frauenförderung herumgepfuscht. Ja, das ist richtig. Aber das ist noch längst nicht alles! Und deshalb vermisse ich eine ernsthafte und realistische Bestandsaufnahme der herrschenden Verhältnisse um so schmerzlicher! WAS wären denn ernsthafte politische Anstrengungen gegen aus Auseinanderklaffen von Gehaltsscheren und das Auseinanderdriften von arm und reich?! Ein bisschen mehr Umverteilung?! Hier würde es doch mal interessant, verdammt. Aber da kommt natürlich nichts.
Es ist doch nicht so, dass es vor dem bösen Neoliberalismus besser gewesen wäre. Warum sind die Frauen denn auf die Straße gegangen? Warum haben sie Frauenrechte bzw. Gleichberechtigung gefordert? Weil sie sich benachteiligt und unterdrückt gefühlt haben – und es ja nun auch objektiv waren. Dass die ganze Frauengleichberechtigung nicht den gewünschten Erfolg hatte, liegt leider nicht an der Entwertung des Sex, sondern daran, dass Männer und Frauen nun gleichberechtigt am Arsch sind! Etwa wenn der Chef oder die Chefin findet, dass ihre Arbeitskraft noch billiger zu haben sein müsse oder überhaupt nicht mehr benötigt würde. Und hier reicht es nicht, den Neoliberalismus anzuprangern, sondern es ist doch dieses ganze kapitalistische System samt seinem Konzept, den größten Teil der Menschheit (männlich und weiblich) zu enteignen und in Abhängigkeit zu halten, um die Menschen überhaupt Arbeitsmittel zur Profitmaximierung benutzen zu können.
Und es ist übrigens nur ein weit verbreitetes Missverständnis, dass dieses System eigentlich zur Produktion eines Mittelstandes diene, dem es den Umständen entsprechend ganz gut geht. Dass es eine vergleichsweise kurze Periode relativen Wohlstands für ziemlich viele gegeben hat, war eher ein Versehen, ein Betriebsunfall sozusagen, der bestimmt nicht mehr vor kommt. Insofern sollten Frauen und Männer endlich aufhören, sich gegenseitig Unterdrückung und Bevormundung vorzuwerfen, sondern gemeinsam etwas gegen die für fast alle hässlichen Zustände tun. Und ich wette, dass es den Sex ungemein aufwerten würde, wenn er überhaupt keine Ware mehr, sondern nur noch Vergnügen wäre…