Geschichte, Geopolitik und westukrainische Genozidphantasien

Geschichte, Geopolitik und westukrainische Genozidphantasien
Nach der Berichterstattung über die Tagesereignisse in der Ukraine soll es heute stärker um die historischen und geopolitischen Aspekte der gegenwärtigen Krise gehen.
Der polnische Aspekt - Geschichte
Das obige Bild stammt - Gott sei Dank - nicht aus dem Kiew des Jahres 2014. Vielmehr zeigt dieses patriotische Gemälde polnischer Provenienz den Kampf polnischer Einwohner der Stadt Lwow (auch Lwiw oder Lemberg geheißen) gegen ukrainische Insurgenten in den Jahren 1918/19. Infolge der polnischen Teilungen waren die Gebiete der heutigen Westukraine an Österreich-Ungarn und Rußland gefallen. Doch dadurch änderte sich in den Teilungsgebieten wenig an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Polen stellten zuvörderst die Grundbesitzer und die Bürger in den Städten (also die Oberschicht), die Ukrainer waren fast ausschließlich Bauern und Handwerker bzw. später Arbeiter. Damit war die gesellschaftliche Hierarchie klar.
In den Wirren nach den Revolutionen der Jahre 1917 und 1918 entstand zum einen eine ukrainische Unabhängigkeitsbewegung, zum anderen wurde am 11. November 1918 der polnische Staat wiedergegründet. Dieser versuchte nun, aus den Erbmassen der deutschen, österreichischen und russischen Kaiserreiche ein möglichst großes Territorium zu gewinnen. Die Vision war ein "Intermarum", ein großpolnisches Imperium zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Doch dem standen die Ukrainer mit ihrem Traum von einem eigenen Staat entgegen. Und so kam es insbesondere um Lwow zu harten Kämpfen. Die Stadt war weitgehend von Polen (und Juden) besiedelt, während im Umland größtenteils Ukrainer lebten.
Im Ergebnis der Auseinandersetzungen wurden die Ukrainer von den Polen geschlagen. Die Gegend  um Lemberg blieb bis 1939 Teil der Republik Polen. 1920 unternahmen polnische Truppen dann noch einen gewaltsamen Versuch, ihr Staatsgebiet auf das Territorium der heutigen Ukraine auszuweiten (Stichwort: Polnisch-sowjetischer Krieg). Im Ergebnis dieser Eroberungen lebten mehrere Millionen Ukrainer und Weißrussen im polnischen Staat. Besonders die Ukrainer wollten weiter einen ukrainischen Staat schaffen und gingen vom offenen militärischen Kampf zum Terrorismus über. So wurde z.B. der bekannte Nationalistenführer Stepan Bandera 1934 in Polen zum Tode verurteilt, nachdem der polnische Innenminister bei einem Attentat ermordet worden war.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der Kampf zwischen beiden Völkern noch gewalttätiger. Viele ukrainische Nationalisten (aber bei weitem nicht alle Ukrainer!) standen auf der Seite des Deutschen Reiches und stellten sich willig für Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten zur Verfügung. Diese Formtionen waren nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Belarus, am Judenmord und an der Partisanenbekämpfung inklusive Massenerschießungen beteilgt. Einer der bekanntesten ukrainischen SS-Offiziere war der Hauptsturmführer Roman Schuchewitsch.
Zugleich entstand ein bewaffneter polnischer Untergrund (Heimatarmee etc.), der auch gegen die ukrainischen Nationalisten kämpfte. In Wolhynien, wo eine gemischte polnisch-ukrainische Bevölkerung lebte, bekämpften sich beide Seiten erbittert, um die ethnische Vorherrschaft zu gewinnen. Dort - tief im Hinterland der deutschen Wehrmacht - gab es wahre Massaker. Historiker sprechen heute von mehreren hunderttausend Toten. Die Ukrainer erfreuten sich dabei der mehr oder minder offenen Duldung deutscher Stellen. (Das Thema Wolhynien ist seit einigen Jahren verstärkt in der polnischen Öffentlichkeit, auch durch Buchpublikationen, präsent. Und die Abneigung gegen die "Banderowcy" ist in Polen ebensogroß wie in der Ostukraine und Rußland.)
Nach Ende des Krieges wurden von den polnischen Behörden dann alle noch auf polnischem Staatsgebiet lebenden Ukrainer entweder in die Sowjetunion ausgesiedelt oder in die "wieder gewonnenen", ehemals deutschen Gebiete verschickt. Damit sollte den ukrainischen Untergrundkämpfern der UPA, die noch bis Mitte der 1950er Jahre Anschläge verübten, das Wasser abgegraben werden.
Der polnische Aspekt - Gegenwart
Heute erfreuen sich Bandera, Schuchewytsch und ihre UPA-Kameraden vor allem in der Westukraine großer Beliebtheit, wo sie als Helden verehrt werden. Ein Bandera-Porträt ziert dieser Tage auch den "Revolutionsstab" im Kiewer Gewerkschaftshaus. Dieser Bandera-Kult kann Warschau nicht unbeeindruckt lassen, bekräftigt man dort doch immer wieder, daß das Todesurteil gegen ihn aufrechterhalten werde. Ebensowenig kann man in der polnischen Hauptstadt ignorieren, wenn - wie gestern in Lwiw geschehen - ukrainische Nationalisten einer ominösen "Volksgarde" versuchen, ein Waffendepot zu stürmen, um sich in den Besitz von Schußwaffen zu bringen.
Die mögliche Eroberung eines ukrainischen Atomkraftwerkes durch Aufständische wäre ob der daraus resultierenden Risiken für Polen vielleicht sogar Anlaß für eine "humanitäre Intervention" in seinem Nachbarland. Letzteres ist kein Hirngespinst! Am Wochenende gab es Meldungen, wonach "Europakämpfer" vom "Maidan" das Kernkraftwerk Riwne gestürmt hätten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch das zuständige Energieministerium in Kiew in der Hand der Putschisten.
Später wurde die Meldung zwar dementiert, doch angesichts der zur Zeit unübersichtlichen Informationslage bleibt offen, ob die ganze Geschichte eine Zeitungsente war oder ob es tatsächlich einen Angriff gegeben hat, der jedoch von den Sicherheitskräften des Kraftwerks zurückgeschlagen werden konnte. Jedenfalls hat das Energieministerium amtlich mitgeteilt, daß die Bewachung aller Atomanlagen verstärkt worden ist.
In dem Gebiet um Lemberg gewinnen die Unruhen einen antipolnischen Akzent und richten sich mitnichten nur gegen die Regierung und Präsident Janukowitsch in Kiew. So haben Aufständische eine Autobahn besetzt und mittels brennender Barrikaden blockiert. Allerdings keine Autobahn, die nach Kiew führt, sondern die Verbindung von Lwow nach Polen, also in den Westen, nach "Europa". Das hat dazu geführt, daß sich die Autos schon bis zur Grenze stauen. 
Auf selbiger Straße haben die Nationalisten in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag einen polnischen Reisebus mit Touristen gestoppt und diese terrorisiert. Die Fahrgäste mußten z.B. den Kampfruf "Ruhm der Ukraine! Ruhm den Helden!" anstimmen und wurden von den betrunkenen Heldes des "Euromaidan" bedroht.
Das offizielle Polen ist zwar nach wie vor auf der EU-weiten Einheitslinie und unterstützt die ukrainische Opposition im Kampf gegen die Regierung. So wurden heute von Warschau aus z.B. Helme zu den Demonstranten geschickt (das Tragen von Helmen ist, nebenbei bemerkt, nicht nur im ukrainischen, sondern auch im deutschen Versammlungsrecht verboten). Insgeheim dürfte man sich aber auf andere Szenarien vorbereiten. Die Besorgnis wächst.
In der polnischen Gesellschaft regt sich jedoch Widerstand gegen die Unterstützung der Bandera-Anhänger. So warnt ein katholischer Geistlicher in seinem Blog vor dem UPA-Kult auf dem Maidan und äußert seine Abscheu vor der "revolutionären Raserei" des Mobs. Er bezichtigt die politische Klasse seines Landes der Heuchelei und schreibt weiter, wenn in Warschau Barrikaden errichtet und Demonstranten den Sitz des Ministerpräsidenten stürmen würden, dann wären Michnik und Bauman die ersten, die den Staatspräsidenten auf Knien um die Verhängung des Ausnahmezustandes bäten.
Und eine in Lwow lebende Polin hat einen Brandbrief veröffentlicht, in welchem sie die Unterstützung der Opposition tadelt und Präsident Janukowitsch für seine Politik lobt. Vor allem hat sie Angst vor dem zunehmenden Chaos in der Ukraine und den damit einhergehenden neonazistischen Umtrieben. Ferner stellt sie die ganze Revolutionsromantik in Frage und erinnert an die demokratische Legitimation des jetzigen Staatschefs. Sehr lesenswert.
In anderen polnischen Medien wird schon offen über mögliche Auswirkungen eines Bürgerkrieges in der Ukraine diskutiert. Doch ob es dann nur bei Flüchtlingslagern auf polnischem Staatsgebiet bliebe?
Die polnische Strategie
Für Polen ist die Ukraine ein komplexes und diffiziles Problem, für das es keine einfachen Lösungen gibt. Das politische Fernziel besteht darin, die Ukraine ganz an Polen zu binden (ggf. über den Umweg der EU) und das Land politisch, wirtschaftlich und kulturell von Rußland zu trennen, um letzteres zu schwächen.
Daß das heute nicht mehr so geht wie anno 1918/20, also mit säbelschwingenden Kavalleriekolonnen, ist klar. Daher die EU-Partnerschaftspolitik, welche maßgeblich in Warschau konzipiert worden war. Mit dem Assoziierungsabkommen bliebe die Ukraine zwar formell ein selbständiger Staat, der jedoch der EU und ihren Forderungen (einschließlich der Forderung, den Handel mit der RF zurückzufahren) weitgehend schutzlos ausgeliefert wäre. Doch dieses Projekt dürfte vorerst gescheitert sein.
Eigentlich wünscht sich Warschau eine rußlandfeindliche und zugleich polenfreundliche Regierung in Kiew. Doch beides zugleich geht in der Ukraine nicht. So braucht man etwa die westukrainischen Nationalisten als Schlägertrupps für den Straßenkampf in Kiew und anderen Städten. Ohne die Bandera-Jünger ist die gewünschte Revolution unmöglich.Nur diese Typen sind fähig, die Menschen in der Ostukraine derart zu terrorisieren, daß sie sich auch bei Wahlen dem von der EU gewünschten Ergebnis nicht mehr entgegenstellen. (Daß sie diese "Kunst" beherrschen, haben sie 1941/44 bewiesen.)
Doch falls der Umsturz tatsächlich gelänge, würden aus der Partei Swoboda und ihrem Umkreis natürlich Forderungen nach einer Regierungsbeteiligung erhoben werden. Das jedoch wäre für Warschau ein Albtraum: Die Bandera-Anhänger an der Macht und mit dem Zugriff auf die staatlichen Machtmittel. Idealerweise würde sich, nach dem Sieg über die Ostukraine und der Einverleibung des Landes in den polnischen Einflußbereich, die Erde auftun und die Nationalisten mitsamt ihrer Polenfeindlichkeit verschlingen. Der Mohr hätte seine Schuldigkeit getan und könnte gehen.
Das polnische Idealbild der Ukraine ist m.E. der Zustand vor den polnischen Teilungen (wobei die heutige Ostukraine nie zu Polen-Litauen gehört hat): Die Polen als unumschränkte Herren des Landes und alle übrigen Bewohner als mehr oder weniger rechtlose Untertanen, auf die man keinerlei Rücksicht nehmen muß. Doch das Eintreten dieser Variante ist unwahrscheinlich. Daher wird sich die polnische Regierung entscheiden müssen: Geht es ihr primär um den Kampf gegen Rußland, dann muß sie die "Kröte" eines Pakts mit den Bandera-Anhängern schlucken und die damit einhergehenden Risiken und Probleme - z.B. evtl. Gebietsforderungen an Polen - akzeptieren.
Oder geht es ihr zuvörderst um die Sicherheit des eigenen Landes - etwa vor marodierenden bewaffneten Banden im Lemberger Raum oder in besetzten Atomkraftwerken -, dann muß sie auf eine rasche Beruhigung der Lage und auf eine politische Lösung in Kiew dringen, welche die dortigen politischen Verhältnisse nicht prinzipiell antastet. Mit anderen Worten: Janukowitsch bliebe Präsident und dürfte seine bisherige Politik mehr oder minder fortsetzen, außerdem treten ein paar Oppositionspolitiker ins Kabinett ein. Zumal Janukowitsch aus polnischer Sicht kein schlechter Partner war, man denke insoweit nur an die gemeinsame Abneigung gegen Stepan Bandera und dessen Mischpoke.
Für die letztgenannte realpolitische Variante könnte den Polen allerdings die ihnen eigene Revolutionslyrik und Freiheitsromantik im Wege stehen. Man hat Janukowitsch in den letzten Monaten - wie die gesamte EU - massiv diffamiert und hätte nun Probleme, ihn der eigenen Öffentlichkeit als akzeptablen Verhandlungspartner zu verkaufen.
Die weitere Eskalation der Gewalt würde wohl unweigerlich zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg führen. Ein solcher wäre für Warschau unkalkulierbar, nicht nur hinsichtlich des Ausgangs innerhalb der Ukraine, sondern auch bezüglich der direkten Auswirkungen auf Polen.
Sollte die Lage in der Ukraine unkontrollierbar werden, bliebe auch der Weg der direkten Intervention. Das durch langjährige Sparmaßnahmen geschwächte ukrainische Militär stellt für die formidablen polnischen Streitkräfte keine ernsthafte Hürde dar, zumal es bei einem Bürgerkrieg wahrscheinlich ohnehin schon zerfallen wäre. Zudem ist die Ukraine kein Mitglied irgendeines Militärbündnisses und verfügt über keine ABC-Waffen. Für einen "Ostfeldzug" bräuchte Warschau mithin nicht einmal direkte Unterstüzung aus anderen NATO-Staaten. Für begrenzte, eher polizeiartige Zwecke - etwa zur Bewältigung einer konkreten Gefahrenlage in Grenznähe - wäre dies eine durchaus realistische, einigermaßen berechenbare Option. Denkbar ist insofern z.B. die Einrichtung einer Pufferzone.
Doch ließe sich damit nicht das polnische Fernziel der Schwächung Rußlands erreichen. Dazu müßte Polen die gesamte Ukraine erobern. Auch das könnte die polnische Armee schaffen, doch würden sowohl West- als auch Ostukrainer - aus unterschiedlichen Motiven - Widerstand leisten. Eine effektive Besetzung wäre folglich sehr schwer und ginge wohl nur mit der gesamten NATO. Zudem würde sich die Frage stellen, wie Rumänien und Rußland reagieren (dazu weiter unten ausführlicher).
Im Fall einer (teilweisen) polnischen Okkupation der heutigen Ukraine würde ein de jure unabhängiger ukrainischer Staat weiterexistieren. Polen wird nicht noch einmal den Fehler begehen und die querulatorischen Ukrainer in den eigenen Staat aufnehmen. In diesem Fall wäre Warschau ironischerweise in derselben Lage wie die Deutschen 1941 ff. Einerseits darf der westukrainische Nationalismus nicht stark werden, denn er könnte sich gegen die neuen Herren richten. Andererseits benötigt man einheimische Kollaborateure zur Verwaltung des Landes und für Aktionen gegen die Menschen in der heutigen Ostukraine und Rußland.
Das ist, aus polnischer Sicht, das selbe Dilemma wie heute hinsichtlich des "Euromaidan", nur in leicht gewandelter Gestalt. In der Haut der Warschauer Strategen möchte ich wirklich nicht stecken.
Der rumänische Aspekt
Vorab: Zum besseren Verständnis dieses Teilproblems sei auf den Artikel "Das instabile Dreieck Rumänien-Ukraine-Moldawien" aus dem Jahr 2011 verwiesen.
Wieso taucht nun plötzlich das EU- und NATO-Mitglied Rumänien als Faktor in der ukrainischen Staatskrise auf? (Überhaupt: Was wissen wir Deutschen eigentlich über Rumänien, seine Geschichte und Politik?)
Ganz einfach: Im südlichen Teil der Region Odessa gibt es Gebiete, die früher einmal zu Rumänien gehörten und die man dort gern zurück hätte. Beide Staaten haben sich auch schon vor dem Internationalen Gerichtshof über Grenzverläufe gestritten. Am vergangenen Wochenende erschienen nun in der rumänischen Presse plötzlich Artikel, in denen die Folgen eines ukrainischen Bürgerkrieges erörtert wurden, einschließlich einer "Verteidigung" der früheren rumänischen Territorien. Die Ukraine sei ohnehin ein "künstlicher Staat" (was durchaus stimmt).
Das strategische Ziel Bukarests ist somit begrenzt und besteht in der Rückgewinnung (vulgo: Eroberung) aller ehemals rumänischen Gebiete nördlich der jetzigen Staatsgrenze.
Im Vergleich zu Polen fallen zwei Unterschiede auf: Rumänien geht es um die Annektion konkreter Territorien. Das ist ein konkreter, begrenzter Zweck. Polen hingegen möchte gerade keine Annektion, will dafür aber weitreichenden Einfluß in der Ukraine ausüben und diese als Vehikel zur Schwächung Rußlands gebrauchen. Diese polnische Absicht ist viel weitreichender als die rumänische. Außerdem scheinen Bukarest die kompexen historisch-geopolitischen Träume der Polen abzugehen. Daher erscheinen seine Ziele leichter erreichbar zu sein.
Allerdings wäre Rumänien dafür auf den Zerfall des ukrainischen Staates infolge eines Bürgerkrieges angewiesen. Während Polen eher daran interessiert sein dürfte, einen solchen Bürgerkrieg wegen der Rückwirkungen auf das eigene Land zu vermeiden bzw. zu begrenzen, liegt das rumänische Interesse eher im Schüren des Kriegsfeuers. Nur so hätte Bukarest Gelegenheit, unter irgendeinem humanitären Vorwand Truppen zu entsenden. Denn einen offenen Eroberungskrieg, der auch vor der Weltöffentlichkeit als solcher erscheint, werden die Rumänen natürlich vermeiden. Doch wenn die Ukraine ohnehin zerfällt und die begehrten Territorien einem wie eine reife Frucht in den Schoß fallen ... Bereits jetzt soll ein Teil der dort lebenden Menschen Inhaber der rumänischen Staatsbürgerschaft sein.
Käme es dazu, würde Moldawien wohl unweigerlich und vermutlich freiwillig auf seine Eigenstaatlichkeit verzichten und sich mit Rumänien wiedervereinigen. Transnistrien, welches nie zu Rumänien gehört hatte, hat sich schon Anfang der 1990er Jahre von der Republik Moldau abgespalten, bereitet insofern also keine Scherereien mehr. Vielleicht schlösse sich dieser Kleinstaat ja in der Folge mit einem Überbleibsel der heutigen Ukraine zusammen.
Fazit: Rumänien verfolgt - anders als Polen - begrenzte und mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erreichbare Ziele, ist für die Realisierung aber unbedingt auf eine weitere, drastische Verschärfung der Lage innerhalb der Ukraine angewiesen.
Die Ostukrainer und Rußland
Es ist unbestreitbar, daß der Osten und Süden der Ukraine zum allergrößten Teil von Menschen besiedelt ist, die man in ethnischer und kultureller Hinsicht als Russen bezeichnen muß, die sich also von den "ukrainischen Ukrainern" im Westteil des Landes unterschieden. (Ich hatte diesen Aspekt dieser Tage schon erörtert.) Selbst in der Hauptstadt Kiew ist für zwei Drittel der Einwohner Russisch und nicht Ukrainisch die Muttersprache.
Diese Menschen sind allgemein nicht so politisch aktiv und engagiert wie die Westukrainer. Die Leute arbeiten hart und kümmern sich nicht allzu viel um Politik. Doch seit Wochen wächst dort der Unmut. Richtete er sich zunächst nur gegen die Randalierer in Kiew, wurde daraus zunehmend eine Stimmung gegen die EU-Assoziation, welche oft als "Euroanschluß" tituliert wird. Statt in Richtung EU hält man an der traditionellen Orientierung an Rußland fest.
Das hat zum einen die genannten kulturellen Gründe. Hinzu kommen die zahlreichen familiären Bindungen. Und schließlich der wirtschaftliche Aspekt: Die Ostukraine ist das industrielle Zentrum und die Staaten der Zollunion (Belarus, Kasachstan, Rußland) sind für die dort ansässigen Betriebe die wichtigsten Handelspartner, weitaus bedeutender als die EU-Mitglieder. Für diese Menschen hätte die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens und die daraus zwangsläufig folgende Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zur Zollunion (Ukraine wäre von der EU gezwungen, Verträge zu kündigen), drastische Folgen. Ihr im Vergleich zur Westukraine relativ großer Wohlstand würde absehbar sinken.
Zudem droht, sollte der "Euromaidan" siegen, ein neuer Kulturkampf wie weiland unter Präsident Juschtschenko. D.h. es gäbe wieder Verbote hinsichtlich des Gebrauchs der russischen Sprache in der Öffentlichkeit, insbesondere in Medien und Bildungseinrichtungen. Die "Ukrainifizierung" des Landes ginge weiter (mehr dazu im nächsten Kapitel). Das wollen die Bürger im Ostteil einfach nicht hinnehmen, zumal sie einen Großteil des BIP der Republik Ukraine erwirtschaften.
Sollte es also tatsächlich zu einer Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens inklusive der damit einhergehenden IWF-konformen Maßnahmen wie Rentenkürzungen etc. kommen, dann droht in der Ostukraine ein weiteres Wachsen des Unmuts mit den Herrschenden. Sollten in Kiew gar die Lemberger Nationalisten an die Macht kommen (was nur infolge eines Putsches, wie er gerade abläuft, denkbar ist), dann ist zu befürchten, daß es zu offenen Sezessionsbestrebungen kommen wird. Schon am Sonntag waren auf Kundgebungen ganz vereinzelt rußländische Flaggen zu sehen. Im Internet tauchen auch schon entsprechende Losungen auf.
 Falls die Westukrainer den Gesamtstaat kapern und den Bandera-Kult verbindlich machen, werden die Menschen im Osten nicht tatenlos daneben stehen und sich an den Rand drängen lassen. Das hat das letzte Wochenende gezeigt.
 Wie verhält sich nun Rußland zur Lage in der Ukraine? Zurückhaltend. Offiziell werden die Ausschreitungen verurteilt, doch es mangelt an Solidaritätsbekundungen mit Präsident Janukowitsch. Er hat auch gegenüber Moskau zu oft sein eigenes Spiel gespielt, als daß man ihn dort für den besonderen Freund Rußlands hielte, als der er in den deutschen Medien gilt. Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, Verehrung für die mutigen Polizeibeamten, die sich dem Chaos entgegenstellen und dabei vom Pöbel in Brand setzen lassen, ohne von der Schußwaffe Gebrauch zu machen - das findet man in Rußland durchaus. Aber nicht in Bezug auf den Präsidenten.
Deshalb wird die Rußländische Föderation auch keine Polizeikräfte oder gar Militär nach Kiew schicken. Erstens scheinen die ukrainischen Sicherheitskräfte die Lage noch einigermaßen im Griff zu haben. Und zweitens würde das russophobe Ausland jegliche praktische Unterstützung von Janukowitsch als Angriff auf die Unabhängigkeit der Ukraine deuten. (So geschehen nach dem verheerenden Angriff georgischer Truppen auf Südossetien mit mehreren hundert Toten am 8. August 2008, der in unseren Medien regelmäßig als Aggression des pösen Rußlands gegen das arme, kleine, unschuldige Georgien dargestellt wird.) 
Bevor sich die RF in der Ukraine mit anderen als diplomatischen Mitteln - also mit Truppen - engagiert, müßten andere Staaten den Rubikon überschritten und ihrerseits Militär auf ukrainisches Staatsgebiet entsandt haben. (Wie am 22. Juni 1941: Man wußte zwar, daß der deutsche Angriff kommen wird, aber die Rote Armee hatte strikte Weisung, stillzuhalten und sich nicht auf Provokationen einzulassen. Die deutschen Truppen sollten, vor aller Welt sichtbar, in die SU einfallen, um Legendenbildungen über einen angeblichen deutschen Verteidigungskrieg gegen die "asiatisch-bolschewistischen Horden" unmöglich zu machen.)
Polen oder Rumänien müßten also den ersten Schritt tun und in einen Bürgerkrieg militärisch eingreifen. Dann würde wahrscheinlich auch Rußland Truppen schicken, um die bis jetzt ziemlich ruhigen Gebiete im Osten und Süden (einschließlich Krim und Odessa) zu sichern. Die dortigen Einwohner hätten wohl nichts dagegen.
Dort könnten dann auch die Flüchtlinge aus der West- und Zentralukraine untergebracht werden. In einem solchen Szenario käme mittelfristig auch ein staatsrechtlicher Zusammenschluß dieser Regionen mit der RF in Betracht.
Doch in der RF wird eine solche Entwicklung wohl nur von den wenigsten für wahrscheinlich gehalten. Man glaubt - anders als in der EU - nicht wirklich daran, daß jetzt die Entscheidungsschlacht um die Ukraine begonnen hat. Vielmehr rechnen Beobachter eher mit einer Fortsetzung der typisch ukrainischen Politik des Lavierens zwischen allen Stühlen. Damit würde sich auch für diese Krise letztlich eine politische Lösung finden lassen.
Die diversen Bürgerkriegs- und Aufteilungsszenarien haben allerdings den Charme, angesichts der vertrackten Lage in der Ukraine relativ einfache Ansätze für dauerhafte Lösungen zu bieten. Deshalb hat die EU den Konflikt im November und Dezember eskalieren lassen: Die Ukraine soll sich endlich endgültig festlegen. Aber die Ukraine in ihrer heutigen Gestalt kann das eben nicht.
Die Westukrainer
Diese Menschen sind die eigentlichen, die "ukrainischen Ukrainer". Die fehlende Wirtschaftskraft wird durch ein überbordendes Nationalbewußtsein und den weitverbreiteten Haß auf Russen, Juden, Polen und Weißrussen kompensiert. Wenn sie könnten, wie sie wollen, würden sie ihre partielle Sprache, Kultur und Geschichtsbild allen Bürgern des Landes aufzwingen. Wozu sie fähig sind, ist seit den von ihnen begangenen Genoziden der 1940er Jahre allseits bekannt.
Die Ostukrainer werden von ihnen verächtlich "Moskowiter" genannt. Im Internet finden sich zahllose weitere kollektive Beschimpfungen ihrer Mitbürger. Dafür, daß sich die Ostukraine dem galizischen Aufstand widersetzt, wird sie aktuell bei Twitter z.B. als "Krebsgeschwür", das natürlich ausgemerzt werden muß, diffamiert. Einerseits hassen die Galizier die Ostukrainer, andererseits können sie aus ökonomischen Gründen nicht ohne sie auskommen. Allein deshalb wird dich die Westukraine einer eventuellen Aufteilung des Landes entgegenstellen. Lieber entsenden sie Sturmabteilungen in die Ostukraine, um die Gebietshauptstädte zu erobern und die Einwohner zu terrorisieren und so gefügig zu machen. Andererseits böte ein eigener Staat den Westukrainern unschätzbare Vorteile. Sie wären dann endlich unter sich, ohne Russen, Juden und andere "minderwertige Geschöpfe", und könnten ihre eigene, besonders hochstehende Kultur - inklusive Bandera-Kult und NS-Symbolik - zelebrieren. Industrie gäbe es zwar nicht viel, aber dafür könnte man z.B. Ärzte, Putzfrauen und andere Arbeitskräfte nach Deutschland und Polen exportieren - wie in der guten, alten Zeit zwischen 1941 und 1945.
Sollte es zu einem Zerfall der Ukraine in ihrer heutigen geographischen Gestalt kommen, würde der Westen schon aus geographischen Gründen unter polnischer Kontrolle stehen. Formal wohl ein selbständiger Staat wäre er doch de facto nur ein Protektorat der EU, ausgestattet mit minderen Rechten (so, wie sich manche Westeuropäer Osteuropa wünschen). Ob das den Galiziern längerfristig behagen wird? Aber immerhin: Sie wären dann ein Teil des mythischen "Europa", was realiter jedoch nichts mit der EU zu tun hat.
Eigentlich könnten also auch die Westukrainer von einer Aufteilung des Landes profitieren. Wenn sie denn endlich wirtschaftlich auf die Beine kämen. Aber vielleicht schickt ihnen die heißgeliebte EU ja ein paar Milliarden Fördermittel, um ihren Traum vom ungestörten Leben im eigenen Staat, den man mit niemandem mehr teilen muß, zu realisieren?
Die Deutschen und die Ukraine
Die derzeitige Politik der BRD gegenüber der Ukraine scheint vom selben hemmungslosen Beherrschungswillen wie anno 1941 geprägt. Zu Recht gilt Vitali Klitschko vielen Ukrainern als "Mann der Deutschen". Doch während viele sich von diesem ausländischen Geschöpf mit Grausen abwenden, verehren ihn andere gerade deshalb. Sie machen sich die Hoffnung, daß sie Klitschko nur in ein politisches Amt bringen müßten und alles weitere würde sich automatisch regeln. Berlin würde "seinen Mann in Kiew" schon nicht im Regen stehen lassen und Milliarden an Hilfsgeldern für die heldenhaften Vorkämpfer der europäischen Integration locker machen.
Wenn diese Menschen wüßten, daß weder Deutschland noch die EU insgesamt gewillt oder auch fähig sind, diese finanziellen Wünsche zu erfüllen ... Doch so wiegen sich manche Ukrainer noch in der Illusion, man müsse nur die blaue EU-Flagge recht eifrig schwenken, um Eingang ins Schlaraffenland zu finden. Am Tag des bösen Erwachens möchte ich nicht in deren Nähe sein ...
Wir Deutschen stöhnen doch schon, wenn ein paar Tausend Bürger (meist Vertreter einer besonders mobilen ethnischen Minderheit) aus unseren EU- und NATO-Bruderstaaten auf dem Balkan zu uns kommen und hier Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Da werden wir wohl kaum bereit sein, Millionen von Ukrainern durchzufüttern. Oder ist uns die ersehnte "europäische Integration" plötzlich so viel wert?
Ausländische Intervention unterhalb eines Militäreinsatzes
Die Lektüre polnischer Medien bringt interessante neue Erkenntnisse. So berichtete gestern z.B. die Gazeta Wyborcza ganz offen, daß 2004 an der Orangenen Revolution in Kiew auch "tausende junger Menschen aus Polen" teilgenommen haben. Bisher war das Thema hierzulande meist tabuisiert, in den Hauptstrommedien wurde meist jede ausländische Beteiligung am ersten Maidan geleugnet. Doch jetzt, 2014, sind die Masken gefallen. Die Beteiligung auswärtiger Mächte am Aufruhr in der Ukraine ist offenkundig, man braucht keine Tarnung mehr. Wieviele polnische Agenten wohl heute in Kiew sind?
Ein anderes polnisches Internetportal teilt mit, ehemalige Soldaten der Spezialeinheiten Weißrußlands und Rußlands seien auf dem Weg nach Kiew, um sich an die Seite "des Volkes" zu stellen und den "Euromaidan" zu "verteidigen". Was an dieser Meldung dran ist, muß offen bleiben.
Gesicherter sind dagegen die zahlreichen Informationen, wonach mittlerweile mehrere namentlich bekannte Organisatoren von "bunten Revolutionen" in Kiew eingetroffen sind, um dem stockenden Staatsstreich mit ihrer Erfahrung und Expertise neuen Schwung zu geben.
Resümee
Allem Anschein nach haben die meisten Bürger des ukrainischen Staates die Nase voll voneinander. Sie wollen nicht mehr zusammen leben, die Gemeinsamkeiten sind erschöpft. Deshalb wäre eine Teilung des Landes wohl für alle eine gute Wahl. Aber bitte möglichst nicht in einem ausgewachsenen Bürgerkrieg, sondern auf dem tschechoslowakischen Weg. Fragt sich nur, ob die EU einen solchen mittelfristigen Ausgang akzeptieren würde oder ob sie unbedingt, auf Biegen und Brechen, die gesamte Ukraine vereinnahmen will.
(Die größten Verlierer einer solchen Lösung wären wohl die Russinen. Sie leben im Westteil des Landes, stehen aber ethnisch und sprachlich den Russen näher als den "ukrainischen Ukrainern". Im aktuellen Konflikt stehen sie eher auf der Seite von Präsident Janukowitsch.)
Der Gang der weiteren Entwicklung hängt maßgeblich von der heutigen Sondersitzung des Parlaments ab, zu der auch die Oppositionsabgeordneten erscheinen werden, obwohl sie die Legitimität der Kammer bestreiten. Selbst wenn es zu einer Einigung mit den gemäßigten Teilen der Opposition käme (lassen deren ausländische Strippenzieher das zu?), ist aber immer noch fraglich, was die Randalierer auf den Straßen und die aufgehetzten Menschen in Lemberg und Umgebung davon halten. Kann ihre Partei Swoboda eine solche Niederlage einfach hinnehmen oder würde sie zur totalen Gewalt greifen?
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