Es gibt eine Waffe, die für alle Zwecke ausreicht – das Horn der zornvollen Festlichkeit (kro bo rol ba‘l rwa zor). Dieses Horn sollte vom rechten Horn eines Drong oder eines Yaks aus dem Dschungel des südlichen Tibet – kyilgyi sin – stammen. Wenn ein solches Horn nicht erhältlich ist, dann kann man auch das rechte Horn von einem gewöhnlichen Yak, einem Dzo oder einem Ochsen nehmen. Gemäß der Belehrungen der inneren Tantras füllt man das Horn mit Gift, Blut und verschiedenen anderen Hexensubstanzen an und dann wird das Horn geworfen.
Es gibt zwei Arten von Blut: giftiges Blut und gemischtes Blut. Giftiges Blut ist ein Gemisch aus drei schwarzen Blutarten: tsenduk nakpo, tharnu nakpa und bongwa chen nakpa. Am Besten ist es, wenn man alle drei bekommen kann. Wenn allerdings alle drei nicht erhältlich sind, dann sollte man wenigstens eines davon haben. Diese Gifte wachsen an Felsabhängen, Höhlen und anderen Orten, die von den Sonnenstrahlen nicht erreicht werden. Gemischtes Blut beinhaltet das Herzblut eines Kriegers, der bei einem Handgemenge getötet wurde. Wenn dies nicht erhältlich ist, dann muss man das Blut einer Person bekommen können, die von einer der drei Dinge – Pfeil, Messer oder Speer – getötet wurde. Diese Verbindung mit dem Gemisch aus den drei Blutarten wird „gemischtes Blut“ genannt. Dies wird für die Abbildrituale und die Aktivitäten mit dem Horn der magischen Waffen benötigt.
Auf jeden Fall ist es absolut notwendig, dass jene, die diese Aktivitäten ausführen, Zeichen der Vollendung der Annäherung sowie der Vollendungs- und Aktivitätsstufen der Drei-Wurzel-Sadhana hervorgebracht haben. Man muss eigentlich die Macht haben, zuerst die zehn Arten der hinderlichen Wesen zu versammeln, sie zu befreien und sie schließlich in die reinen Bereiche führen. Man muss ein tantrischer Meister sein.
Es gibt zwei Arten von Ngakpas – jene der Familienlinie (rigs rgyud) und jene der Dharma-Linie (chos rgyud). Bei den Ngakpas der Familientraditionen erfolgt die Nachfolge von den Vätern der Ngakpas auf ihre Söhne von Generation zu Generation. Gegenwärtig sind die Halter der Familientraditionen einige der großen Lamas der Nyingma-Tradition, Minling Trichen Rinpoche und Sakya Trinzin Rinpoche, der Thron-Halter der Dharma-Potrang-Linie.
Es gibt Ngakpas der Dharma-Linie sowohl bei den Nyingmas wie auch in der Sarma-Tradition. Sobald man in ein tantrisches Mandala durch den Erhalt der Ermächtigung, der Textübertragung und der praktischen Anweisungen durch einen qualifizierten Lama eingetreten ist, ist es nicht notwendig, in eine Ngakpa-Familientradition hineingeboren zu sein. Sobald man dies Übertragungen in geeigneter Form erhalten hat, muss man mit den Sadhana-Praktiken der Annäherung, der Vollendung und der Aktivtät beginnen.
Ngakpas wie diese lassen ihr Haar lange wachsen und schneiden es nicht. Sie kleiden sich in einfachen weißen Gewändern. Ihr Geist verweilt im ungekünstelten, natürlichen Zustand. Dies sind die drei Aspekte der Ungekünsteltheit eines Ngakpas (ma bcos rnam gsum gyi sngags pa).
Weiters gibt es in der Umgangssprache einen Brauch, die Ngakpas als „weiße“, „schwarze“ und „vielfarbige“ einzuteilen. Jene, die sich auf Almosen und die Extraktion der Essenz als Essen stützen, die mystische Hitze praktizieren und sich nur mit einem einzigen Stück Stoff kleiden sowie ihr Leben vollständig der Sadhana-Praxis widmen werden „weiße Ngakpas“ genannt. Weiters werden jene, die sich der Sadhana-Praxis im Einzelretreat für nur drei Monate im Jahr widmen und Rituale für die Laien ausführen, als „vielfarbige Ngakpas“ bezeichnet. Ähnlich dazu sind Ngakpas, die die Familien- oder Dharma-Linie halten und weniger als sieben Tage im Retreat verbringen, aber Dorfriten ausführen, als „schwarze Dorf-Ngakpas“ bekannt. Dies sind sehr bekannte Bezeichnungen in der Umgangssprache.
Einmal bei einer früheren Gelegenheit in Dharamsala in Indien organiserte das tibetische Büro für Dharma-Angelegenheiten eine fünftägige Veranstaltung zu den allgemeinen und besonderen Aspekten der tibetischen Religion und der weltlichen Angelegenheiten. Die Sangha der Mönche, Nonnen und Ngakpas kam zusammen, um die 100.000fache Tsog-Ansammlung aus dem Rigdzin Dungdrup von Rigdzin Gödems Nördlichen Schätzen auszuführen. Bei dieser Gelegenheit wurden die Ngakpas anfänglich geringschätzig behandelt und „phagen“ genannt. Obwohl es eine allgemeine Anweisung gab, dass das Büro für Dharma-Angelegenheiten jeden mit fünf Rupien pro Tag unterstützen würde, wurde den Ngakpas nichts gegeben. Am nächsten Tag entschieden ein anderer Ngakpa und ich, dass wir zur Festzusammenkunft in unseren weißen Kleidern und der vollen Ngakpa-Ausstattung erscheinen würden, und wenn uns dann nicht der angemessene Respekt erwiesen und uns das Geld dementsprechend gegeben werden würde, wir dies nicht nur sofort dem Dalai Lama, sondern auch den Medien mitteilen würden. Am nächsten Morgen gingen wir wie geplant hin. Als wir am Tor der Versammlungshalle ankamen, saßen ein paar Beamte vom Büro für religiöse Angelegenheiten auf Stühlen im Gang herum und sammelten die Spenden. Sobald sie uns beide sahen, sagte einer von ihnen: „Schau mal! Ein paar schön anzusehende Ngakpas sind angekommen!“ Der andere antwortete: „Das sind Ngakpas von Tso Pema.“ Sogleich erhielten wir unsere fünf Rupien ohne irgendeine Begründung.
Es ist unser eigener Fehler, dass die Ngakpas gering angesehen werden. Es ist fein für einen Ngakpa Vater zu sein, aber wenn Ngakpas die Versammlungshalle betreten und sich fürchten, in der Versammlung zu sitzen, dann rasieren sie sich die Köpfe oder tragen klösterliche Gewänder, dann tragen sie gewöhnliche Chupas und sie kleiden sich nicht in den verschiedenen Ausstattungen eines Ngakpas. Das geschieht dann.
In den Grenzländern wie Bhutan oder Sikkim gibt es Ngakpas, die ihr Haar nicht lang tragen oder keine weißen Gewänder tragen. Sie kleiden sich in Mönchsgewänder, aber haben Frauen und sind Familienlinienhalter. Sie werden „Serkyim“ Ngakpas genannt. In Tibet gibt es ein paar solcher Tempel, die dann „Wonpo“ (bdon po) genannt werden. Wiederum haben an diesen Orten die Ngakpas kahle Köpfe und tragen einfache Chupas. Sie geben vor Ngakpas zu sein, aber sie verbringen ihr Leben mit Arbeit und dem Ausführen von Ritualen für alltägliche Anliegen, daher sind sie weder Ngakpas noch Mönche. Die einfache Chupa ist das Gewand für weltliche Laien.
Bei einem früheren Anlass bat mich der Prinz von Sikkim, ein Zentrum für ein Drei-Jahres-Retreat zu gründen. Als der ernannte Retreat-Meister die Praktizierenden aus den Retreat-Grenzen entließ, kam Chatral Rinpoche und sagte, dass nun das Retreat vollbracht wäre. Sikkim war ein äußerst heiliger Praxisplatz für Guru Rinpoche. Von da an wäre es für das Land glückbringend, wenn alle Retreat-Praktizierenden ihr Haar ungeschnitten belassen und Ngakpa-Kleidung tragen würden. Er sagte zum Prinzen, dass dieser nicht Junggeselle bleiben sollte, und dass er eine gutherzige Gefährtin für ihn finden würde. Seine Anweisungen waren sehr klar. Über die letztendliche Dharma-Linie und die Ngakpa-Familienlinie, jene Wesen, die die äußergewöhnlichen Halter der Lehren der Praxislinie, die großen Vidyadharas von Indien wie auch die überragenden tibetischen Meister der Kama- und Terma-Traditionen, die die drei edeln Qualitäten der Gelehrtheit, liebende Güte und die Macht besitzen, die die Möglichkeit des Ausdrucks übersteigt, kann nicht mehr geschrieben werden.
Weiters besagt das siebte Samaya, die geheimen Lehren vor den fühlenden Wesen, die nicht vollständig gereift sind, zu behüten. Daher wird das geheime Mantra-Fahrzeug so genannt, weil es geheim ist. Die geheimen Mantra-Lehren sind ohne Fehler und müssen daher vor Wesen, die ungeeignete Gefäße sind oder eine falsche Sicht haben, verborgen bleiben. Es gibt tatsächlich viele Yogis und Yoginis im Verborgenen, die diese Übungen der Tantra-Klassen des höchsten Vajrayana gemeistert haben und die zweifachen Siddhis verwirklicht haben.
Kolophon:
Diese kurze Darstellung der weiß gekleideten, langhaarigen Ngakpas wurde auf Bitten von ein paar Dharma-Freunden, die den Namen Ngakpa tragen, besonders dem Ngakpa-Linienhalter Tenzin Samphel und der französischen Frau Kechog Zangmo, gegeben.
Basierend auf dem Verständnis, dem Gewahrsein und der Erfahrung von Kunzang Dorje, einem Ngakpa der Horja-Familienlinie, wurde diese kurze Ngakpa-Geschichte in seinem 70. Lebensjahr, dem Jahr des Erd-Hasen, in Tsogyel Gephel Jong, das am Fuße von Yangleshö, einem heiligen Ort in Nepal liegt, niedergeschrieben.
Übersetzt im März 2004 mit der Unterstützung von Lopon P. Ogyan Tanzin.
Im Jahr des Eisen-Hasen vom Ngak’chang Rangdrol Dorje aus dem Englischen ins Deutsche zur leichteren Lesbarkeit für die Sangha übertragen. Möge es von Nutzen sein!
Sarva Mangalam!