Geschäft mit dem Leerstand

Geschäft mit dem LeerstandAm kommenden Samstag (23. Oktober 2010, 13 Uhr Uni-Campus) ruft ein breiter Unterstützungskreis in Hamburg zur einer Demonstration „Leerstand zu Wohnraum!“ auf. Alle, die es wollen, können sich sogar auf facebook mit der Initiative befreunden. Im Aufruf heisst es:

Die Mieten in Hamburg steigen kontinuierlich. In den innerstädtischen Vierteln ist es kaum noch möglich, eine Wohnung unter 10 Euro/qm zu finden. Gleichzeitig stehen zahlreiche Gebäude leer, der Leerstand an Büroflächen beträgt momentan 1,17 Mio. Quadratmeter und trotzdem wird immer mehr Büroraum gebaut.

Hamburg ist damit kein Einzelfall. Trotz wachsender Leerstandszahlen in Bürogebäuden sind in vielen Städten immer noch Neubauprojekte gewerblicher Immobilien zu beobachten. Zum Teil sind die Neubauprojekte sicher von der Hoffnung getragen, den aktuellen Bedarfen einer modernen Büronutzung besser zu entsprechen und deshalb gegenüber bestehenden (älteren) Büroanbietern konkurrenzfähig zu sein. Der Umfang der Leerstände in den lokalen Büroimmobilienmärkten verringert sich dadurch natürlich nicht. Viele fragen sich: Wäre es nicht sinnvoll, statt des Leerstandes wenigstens eine kleine Einnahme aus einer preiswerteren Nutzung zu erzielen?

Doch das Geschäft mit den Immobilien fragt – wie alle anderen Kapitalverwertungsstrategien – nicht nach dem Sinn eine Unternehmung, sondern nach deren Zweck. Und der besteht in der Rendite. Mit fatalen Folgen für die Stadtentwicklung – denn einer unkomplizierten Umwidmung in beispielsweise preiswerte Wohnräume stehen eine Reihe von wirtschaftlichen Barrieren gegenüber. So absurd es klingen mag: im Vergleich zu einer preiswerten Vermietung lohnt sich der Leerstand.

Vier Gründe dafür seien hier aufgeführt…

Einige immobilienwirtschaftlichen Argumente für das Geschäft mit dem Leerstand:

Eine Steuerabschreibung für den Substanzverlust durch Alterung eines Gebäudes in der Höhe von 2 Prozent (des Gebäudewertes) kann jährlich von der Einkommenssteuer abgesetzt werden. Berechnet wird der Einkommensteuer absetzbare Betrag in der Regel als lineare Abschreibung des Gesamtwertes ohne den Grundstückswert. Als Basis für die Berechnung kann der Ertragswert einer gewerblichen Immobilie herangezogen werden. Dieser errechnet sich aus der Diskontierung der erwartenden Einnahmen (z.B. 12fache der Jahreseinnahmen) Ausschlaggebend für die Höhe der Abschreibung sind also die zu erwartenden Einnahmen (z.B. Mietpreise). Reduzieren sich die Einnahmen durch einen deutlich geringeren Mietpreis auf einer vertraglichen Basis, sinkt der Ertragswert und damit der steuerlich absetzbare Betrag.

Verlustzuschreibungen für die „Verluste aus Vermietung und Verpachtung“ können ebenfalls steuerlich geltend gemacht werden. Dabei werden die Mieteinnahmen mit den Ausgaben für das Gebäude verrechnet – etwa die Kosten für die Baufinanzierung (nur Darlehenszinsen ohne Tilgungsanteil), für einen Makler (Mietersuche), Instandhaltungsarbeiten (in bestimmten Grenzen), für Gebäudeversicherungen oder Wasser, Strom, Gas und Müllabfuhr. Die Differenz dieser Verrechnung kann steuerlich als Verlust angerechnet werden. Ein aktuelles Urteil des Bundesfinanzhof (BFH) hat diese Abschreibungsmöglichkeit jedoch deutlich erschwert: „Verluste aus Vermietung und Verpachtung“ können künftig nur noch dann steuerlich geltend gemacht werden, wenn der Vermieter nachweist, dass er mit der beabsichtigten Vermietung auch tatsächlich Einkünfte erzielen wollte (BFH, Urteil vom 20.07.2010, Az: IX R 49/09).

Buchwerte bezeichnen in Konzern- und Unternehmensbilanzen den Wert des auf die Unternehmensinhaber entfallenden Eigenkapitals. Immobilienbestände gehen in die Aktiva der Bilanzrechnung ein. Auch hier wird in der Regel der (fiktive) Ertragswert der Immobilien zur Grundlage gelegt. Müssten die Ertragswerte reduziert werden, hat dies Einfluss auf die gesamte Konzernbilanz. Leerstand kann auch aus dieser Perspektive wirtschaftlich rationaler sein, als die Vermietung zu günstigeren Kontitionen.

Beleihungswerte einer Immobilie bestimmen nach dem seit 2005 geltende Pfandbriefgesetz (PfBG) die Obergrenze der durch Kreditinstitute zu gewährenden Kredite für ein Objekt. Basis der Beleihungsgrenze ist die „Bewertung der zukünftigen Verkäuflichkeit einer Immobilie unter Berücksichtigung der langfristigen, nachhaltigen Merkmale des Objektes, der normalen regionalen Marktgegebenheiten sowie der derzeitigen und möglichen anderweitigen Nutzungen.“ Der Verkaufswert einer Immobilie wiederum orientiert sich u.a. am Ertragswert. Zwar reagieren Kreditinstitute zunehmend zurückhaltender, bei der Vergabe von Krediten für Gewerbe-Immobilien, doch haben sie in der Mehrzahl auch ein Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung der laufenden Kreditlinien und ziehen sich bei der Bewertung auf die langfristig zu erzielenden Erträge zurück. Bei einer Vermietung unterhalb der dabei zu Grunde gelegten Ertragswerte der Immobilienfirmen ließe sich die Fiktion künftiger Erträge auch für die Kreditinstitute nicht länger aufrechterhalten.

Die scheinbar Irrationalität von Büroleerstand ist also ökonomisch gar nicht irrational, sondern ein konsequenter Ausdruck der steuerrechtlichen und finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Immobiliengeschäftes. Irrational ist Leerstand ‘nur’ aus der Perspektive der Bewohner- und Nutzer/innen – aber der soziale und gesellschaftliche Nutzen steht bei der Orientierung an den Tauschwerten einer Immobilien nicht im Mittelpunkt.



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